Die falsch gestellten Weichen. Von Kuehnelt-Leddihn Erik

Die falsch gestellten Weichen - Von Kuehnelt-Leddihn Erik


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viel Sex, wenig Arbeit und wenig Schlaf mit kolossal viel Romantik und spielerischer Zerstreuung abwechselten. Die Phalanster, klosterähnliche Gebäude, beherbergten an die 1600 Menschen, was an Morellys „Stämme“ erinnert. Alle Phalanster sollten wirtschaftlich unabhängig sein, jeder mit seinen Feldern und Arbeitsstätten. Doch in der Vision Fouriers feierte der paranoide Utopismus wahre Orgien. Da der Wahnsinn eine Synthese von eiskaltem Verstand und einer von aller Wirklichkeit losgelösten Phantasie ist, stehen wir bei Fourier dem Irrsinn in einer sehr reinen Form gegenüber. Überraschenderweise (oder eigentlich gar nicht so überraschend) war die Reaktion auf Fouriers Ideen doch recht beeindruckend und auch nachhaltig. Immer wieder wurden Anstrengungen gemacht, den Traum dieses Commis Voyageur zu verwirklichen. Russen passionierten sich dafür nicht weniger als Amerikaner.

      Fourier ist wirklich ein interessanter Fall, denn wir begegnen hier einem wahrhaft geistig Kranken, so Kranken, daß seine Exegese der Vergangenheit und seine Pläne für die Zukunft auch einen neurotischen Intellektuellen wie Marx begeistern mußten. Fourier „nahm an“, daß die Erde einmal einen zweiten Satelliten hatte, der Phoebe hieß und dann auf die Erde herabstürzte. Die Zerstörungen und Verwirrungen infolge dieser Naturkatastrophe bewirkten das Entstehen von 150 neuen Schlangenarten und 43 Rassen von Wanzen. Fourier bestand auch darauf, daß die Bewohner der Planeten und die solariens, die um die Sonne herum lebten, ein Körperorgan hatten, das die Menschen hier auf Erden nicht besaßen. Dieses Glied hatte die folgenden Eigenschaften: Schutz gegen das Umfallen, kraftvolle Verteidigung, herrlicher Schmuck, gigantische Kraft, beachtenswerte Geschicklichkeit und Hilfe bei allen anderen Bewegungen des Leibes. Seiner Beschreibung nach mußte dieses Organ ein Rüssel oder ein Schweif sein, und man kann sich vorstellen, welch wunderbare Karikaturen der solariens damals den Weg in die Zeitungen und Zeitschriften fanden.

      Die Geschichte aber wurde in die folgen Phasen eingeteilt:

      A) Die Vorgeschichte.

      1) Menschenlos.

      2) Paradiesisch.

      3) Tatenlos.

      B) Geteilte Betätigung.

      4) Patriarchalismus oder Kleinfabrikation.

      5) Barbarismus oder mittelindustriell.

      6) Großindustriell („Zivilisation“).

      C) Vereinte Industrie.

      7) Garantismus oder Halbvereinigung.

      8) Soziantismus oder einfache Vereinigung.

      9) Harmonie oder Vollvereinigung.

      In der „Harmonie“ (das Endziel) wird die Erde in 60 Reiche von ungefähr gleicher Größe aufgeteilt. Sie haben keine Armeen und führen nur wirtschaftliche und technische Aufgaben durch. Das Geschlechtsleben kennt keine Begrenzungen oder Bindungen. Täglich und nächtlich gibt es neue Partnerschaften.

      Die wahre Einheit ist der Phalanster, in dem das intensivste Gesellschaftsleben stattfindet. Man schläft von zehn Uhr nachts bis drei Uhr früh, bis vier Uhr wäscht, kleidet und putzt man sich, um für die Morgenversammlung richtig vorbereitet zu sein. Dort wird dann die Nachtchronik vorgelesen, die einem berichtet, wer mit wem geschlafen hat. Damit wird auch die gesunde Neugier befriedigt. Eine halbe Stunde später wird die délite, das erste Frühstück, eingenommen, dem die Industrieparade nachfolgt. Um fünf Uhr früh geht man dann auf die Jagd und um sieben Uhr geht man fischen. Von acht bis neun wird erst richtig gefrühstückt, während um neun Uhr die Zeitungen verteilt und gelesen werden. Um zehn Uhr ist ein Gottesdienst angesetzt. Bis elf Uhr kann man den Fasanen zuschauen, während die Zeit nach elf Uhr für die Bibliothek und ein wenig Arbeit eingeräumt wird. Die Hauptmahlzeit ist um ein Uhr, worauf man sich zu den Glashäusern, den exotischen Pflanzen und den Fischteichen begibt. Wieder wird ein bißchen gearbeitet, aber nur ein bißchen, denn um sechs Uhr fängt ein Champagnergelage an, gefolgt von einem Besuch bei den Merino-Schafen. Um acht Uhr ist Börsenzeit, Abendessen um neun und dann tanzt man bis zehn. Dann, nach diesem erschöpfenden Tageswerk geht’s marsch ins Bett!

      Kurioserweise war Fourier auf seine Art und Weise „gläubig“. Der gute Mann war überzeugt, daß der liebe Gott den Menschen mit Leidenschaften, aber nicht mit viel Vernunft ausgestattet hatte. Diese war zudem nur rein-menschlich. Daher sollte man den Leidenschaften nicht widerstehen, sondern sie lediglich klug ins Spiel bringen. Zum Unterschied von den späteren Sozialisten-Kommunisten war jedoch Fourier ein Epikuräer und kein Asket. Als guter Franzose legte er in seiner Utopie großen Wert auf eine erlesene Küche, die von „Gastrosophen“ geleitet werden sollte.

      Natürlich sollte es in „Harmonie“ eine Einheitsschule (Gesamtschule) geben und außerdem für die Kinder zwei Verbände: die „Kleinen Banden“ zu zwei Drittel aus kleinen Mädchen und zu einem Drittel aus sanften Buben und daneben die „Kleinen Horden“ in umgekehrter Ratio. Letztere sollten „tatarische Kostüme“ tragen, die so bunt wären, daß schließlich die „Kleinen Horden“ wie Tulpenfelder aussähen. Die „Kleinen Horden“ hatten eine sehr noble Aufgabe: über die richtige Aussprache und Orthographie der Erwachsenen zu wachen! Die „Kleinen Banden“ aber sollten – da Kinder doch so gerne mit Schmutz spielen! – als Müllsammler figurieren. Die Adoleszenten hingegen, je nach dem Grad ihrer Geschlechtstriebe, sollten in Vestalinnen und Vestalen, in Damoiselles und Damoseaux eingeteilt werden.

      Mit ihren Arbeitsarmeen (wiewohl sie nur an die zwei Stunden per diem im Einsatz waren) sollten gewaltige Projekte ausgeführt werden. Eine vordergründige Aufgabe war der Suez- und der Panama-Kanal, eine weitere die Fruchtbarmachung der Sahara. Außerdem sollte das nördliche Eismeer parfümiert werden. Durch Zuchtversuche sollte man die Schöpfung um einen „Antilöwen“ bereichern, ein herrliches, zahmes und „elastisches Haustier“, dreimal so groß wie die vorsozialistischen Löwen, auf dessen Rücken man von einer Ecke Frankreichs in die andere galoppieren konnte. „Wie herrlich, in einer Welt leben zu dürfen, in der es so wunderbare Dienstleistungen gibt“, schrieb Fourier dazu. Wir wollen dem Leser das Resumé von hunderten von Seiten ersparen, in denen sich der gute Fourier in paradiesischen Schaubildern erging. Man wäre dabei nur zu leicht versucht einzuwenden, daß sich der „utopische“ vom „wissenschaftlichen“ Sozialismus scharf unterschied, daß zwischen beiden ein Abgrund gähne, doch wäre eine solche Annahme höchst irrig.

      Friedrich Engels in seinem Anti-Dühring pries Fourier in den höchsten Tönen, besonders aber für seine Haltung den Frauen gegenüber wie auch für die Geschicklichkeit, mit der er die „Dialektik“ handhabe. In dieser Beziehung verglich Engels Fourier mit Hegel, dessen Zeitgenossen. In den Revolutionsjahren 1848–1849 spielte Victor Considérant, Fouriers wichtigster Jünger, eine große Rolle als Helfer des Oberdemagogen Ledru-Rollin.13) Considérant war früher ein Student der sehr elitären École Polytechnique gewesen und wurde Chefredakteur von La Phalange nach dem Tode Fouriers. Er überredete einen reichen Engländer, einen Phalanster in Condé-sur-Vêgre in Zentralfrankreich zu finanzieren. Dieses Unternehmen brach aber genau so wie die Zeitschrift zusammen. Diese aber wurde durch La démocratie pacifique ersetzt. Doch Considérant schrieb auch fast so phantastische Bücher wie Fourier und dennoch wurde er 1848 und wiederum 1849 in die Assemblée Nationale gewählt, war also genügend verrückt, um auch populär zu sein und Stimmen zu bekommen. Er floh dann über Belgien in die Vereinigten Staaten, um in Texas einen weiteren Phalanster einzurichten, der „Réunion“ genannt wurde und sich bei San Antonio in Texas befand. Auch diesem Unternehmen war kein Erfolg beschieden. 1869 wurde ihm erlaubt, nach Frankreich zurückzukehren, wo er 1893 im Alter von 85 Jahren starb.

      Doch erhielt der amerikanische Linksintellektualismus nicht aus Texas „fourieristische“ Impulse, sondern durch die sogenannten New England Transcendentalists, die wie George Ripley antirationalistische Neigungen hatten und sich als „Intuitivisten“ gebärdeten. Trotz ihrer ursprünglichen Mitgliedschaft in der unitarischen Kirche14) unterlagen sie „monastizistischen“ Idealen, und es ist deshalb gar nicht so paradox, daß aus dieser Bewegung der katholische Konvertit und spätere Pater Isaac Hecker hervorging, der zur Bekehrung Amerikas den Paulistenorden (Paulist Fathers) gründete. Auch er hatte in der Brook Farm bei Boston gearbeitet.

      Im


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