Die falsch gestellten Weichen. Von Kuehnelt-Leddihn Erik

Die falsch gestellten Weichen - Von Kuehnelt-Leddihn Erik


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und von C. L. v. Haller den Flammen übergeben wurden. (Davon lernten dann die Nationalsozialisten!) In Berlin, Wien und Petersburg schlug man Alarm. Und nicht viel später wurde der Staatsrat und Lustspieldichter Kotzebue von einem nationaldemokratischen Terroristen, einem Studenten, erdolcht. Demokratie und Nationalismus arbeiteten in perfekter Gleichschaltung wie später dann Nationalismus und Sozialismus. Der echte Patriotismus mit der vaterländischen Freude an der Vielfalt wich dem Nationalismus, der in seiner Unduldsamkeit alles über einen Leisten schlagen wollte. Wir begegneten auch damals der Gestalt des „Turnvaters Jahn“, eines nationaldemokratisch gesinnten Priegnitzers, der die Massengymnastik erfunden und mit eigener Wortschöpfung „Turnen“ genannt hatte. Dieser brave Mann kam mit den siegreichen Alliierten nach Paris, wo er in einem altdeutschen Phantasiekostüm herumspazierte, mit verschränkten Armen und bösem Blick auf dem Gehsteig Passanten anrempelte und schließlich geschickt wie ein Affe auf den Arc de Triomphe hinaufkletterte, um dem Engel die Tuba aus der Hand zu schlagen, was ihm aber nicht gelang.22 Ihm verdanken wir auch den herrlichen Ausspruch, er sähe es lieber, daß seine Tochter eine öffentliche Dirne würde, als daß sie die französische Sprache erlernte. Unter der „reaktionären“ Regierung Friedrich Wilhelms III. wurde dieser schrullige, aber viel bewunderte und ideengeschichtlich nicht ungefährliche Kauz eingesperrt. Ein Vorläufer des Nationalsozialismus? Zweifellos.23

      Die „Reaktion“ war natürlich da, aber reine Reaktionen werden leider selten von der Klugheit geleitet. Die geistig-politische Entwicklung Europas ging, wenn wir von der konservativen Romantik absehen, in die linke Richtung, weil in Europa ein gewaltiges Vakuum eingetreten war, in das die linken Ideen weiter einströmen konnten. Geben wir aber zuerst einmal ruhig zu, daß das Ancien Régime (wie seine besten Vertreter sehr gut wußten) nicht nur reformbedürftig gewesen war, sondern auch einfach nicht dort fortgesetzt werden konnte, wo es aufgehört hatte. Hier muß man sich noch einmal vor Augen halten, daß der königliche Absolutismus eine Degenerationserscheinung der traditionellen europäischen Staatsform gewesen war, und daß die Existenz einer beratenden und in manchen Domänen auch sogar entscheidenden Volksvertretung keineswegs einen Bruch, sondern einen Anschluß an die Vergangenheit bedeutete. Wäre die Revolution mit dem Jahr 1790, mit dem nationalen Verbrüderungsfest auf dem Champ de Mars, beendet worden, hätte auch die Geschichte Europas eine andere Wendung genommen. Vergessen wir nicht, daß der aufgeklärte Absolutismus in einer liberalen Richtung höchst reformfreudig gewesen war und die ständischen Vertretungen in anderen Ländern nur eine gewisse „Modernisierung“ notwendig gehabt hätten. Doch die Mischung von verfahrener Philosophie, religiöser Krise und aufgewühlten Leidenschaften brachte den zu schnell fahrenden Zug zum Entgleisen. Ohne Französische Revolution wäre der Regierungskurs Franz II. (Franz I.) auch ein ganz anderer geworden.24) (Ohne KPI hätte es auch keinen italienischen Faschismus und ohne KPD keinen Nationalsozialismus gegeben.)

      Sehr schmerzlich fehlte eine Ideologie, die ebenso dynamisch, aber innerlich ganz anders als damals die Französische Revolution, hoch und niedrig ergriffen und begeistert hätte, eine Ideologie, die gleichzeitig zum Herzen, zum Verstand und zu den Sinnen sprechen sollte. Das aber muß man gestehen, ist ein Problem, das das restliche, freie Europa bis auf den heutigen Tag noch immer nicht gelöst hat.

      Was sich also im „Vormärz“ wiederum ankündigte, war Ortegas „Rebellion der Massen“,25 die mit dem Bürgertum-Kleinbürgertum schon eine große Schlacht gewonnen hatte, dann die Hefe des Volkes mobilisierte und erst später auf das rasch entstehende industrielle Proletariat übergriff. Die Metastasen entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts in richtige Krebsgeschwüre. Die Militärinterventionen der Heiligen Allianz, die Miguelitenkriege und Karlistenkriege in Portugal und Spanien, die Erhebung der Griechen, die belgische, die polnische und vor allem die Juli-Revolution in Frankreich waren unheilverkündende Wetterleuchten. Die Juli-Revolution rief den Bürgerkönig Louis Philippe auf den Thron; er war aber nicht mehr König von Frankreich, sondern König der Franzosen, also nicht mehr Vater des Vaterlandes, sondern eine Art Anführer der Nation. Er war bezeichnenderweise ein Sohn des infamen Philippe Égalité, des verkommenen Königsmörders aus der Revolutionszeit, Chef des Orléans-Zweiges des Hauses Bourbon. Er und sein reformierter, liberaler Kabinettschef Guizot „langweilten“ jedoch die Franzosen, und beide mußten 1848 nach der Errichtung einer Zweiten Republik nach England flüchten.26)

      Schon 1840 war es zu einer gefährlichen Spannung zwischen der liberalen Monarchie und den deutschen Ländern gekommen. Damals wurde die Wacht am Rhein von Schneckenburger gedichtet, die allerdings erst im Kriege 1870–71 dank ihrer Vertonung durch K. Wilhelm größte Popularität erlangte und auch im Ersten Weltkrieg neben dem Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“ die beliebteste Kampfmelodie wurde. Mit der napoleonischen Herrschaft war das deutsche Nationalgefühl zusätzlich aufgerüttelt worden.27) Gerade die Krise von 1840, die auch in Frankreich die nationale Begeisterung anfachte, zeigte deutlich, daß die Kriege von nun an wirkliche Volkskriege zu werden drohten. In den Revolutionen des Jahres 1848, sowohl in Frankreich als auch in Österreich, Ungarn und Italien war es offenbar geworden, daß der Aufbruch, der damals stattfand, zugleich politisch, national und nicht zuletzt auch „sozial“ war. Es regten sich alle kollektiven Kräfte. Diese Revolutionen und Rebellionen waren alle linksdrallig und nährten sich offensichtlich von den Ideen der Französischen Revolution.

      Was ist aber im Gegensatz zu ‚rechts’ nun wirklich ‚links’? Hier müssen wir zuerst einmal ein wenig Etymologie betreiben. Erinnern wir uns daran, daß in fast allen Sprachen der Begriff ‚links’ eine pejorative und ‚rechts’ eine positive Bedeutung hat. Im Deutschen ist ‚rechts’ mit dem Recht, rechtlich, gerecht, richtig und redlich verwandt, während linkisch so viel wie ungeschickt bedeutet. Ähnlich ist es im Englischen und in den romanischen Sprachen. Im Italienischen ist sogar il sinistro (der Unglücksfall) dem Wort sinistro (links) entnommen. (Das französische gauche kommt vielleicht aus dem deutschen ‚wanken’.) In den slawischen Sprachen ist prav nicht nur die Wurzel von ‚rechts’ und dem Recht, sondern auch von ‚Wahrheit’, im Ungarischen ist jobb ‚besser’ sowohl auch als ‚rechts’, balsors hingegen ist das ‚linke Schicksal’, also das Unglück. Im Japanischen ist hidarimae, das ‚vor dem Linken Seiende’, das Ungemach, und im Sanskrit haben ‚rechts’ und ‚links’ jeweilig einen positiven und negativen Sinn.28) Auch die Bibel spricht dieselbe Sprache. So sagt uns Ecclesiastes 10,2 gegen alle Anatomie, daß das Herz des Weisen auf der rechten, das des Narren aber auf der linken Seite schlägt. Beim Jüngsten Gericht sind die Geretteten auf der rechten, die Verdammten aber auf der linken Seite des Herrn. Es ist also völlig legitim, diese beiden Begriffe wertend zu verwenden, und zwar links für den animalisch-kollektivistischen, rechts für den human-personalistischen Aspekt der menschlichen Psyche. Im parlamentarischen Leben gab es jedoch andere Regeln: So saßen die Vertreter der Regierung oft rechts und jene der Opposition links, oder auch waren die ‚Konservativen’ rechts und die ‚Progressisten’ links. Es war sicherlich ein verhängnisvoller Fehler in den Tagen der Weimarer Republik, die Nationalsozialisten auf die äußerste Rechte des Reichstags zu setzen. Als Nationalisten und Sozialisten gehörten sie auf die extreme Linke!29)

      Was ist aber nun praktisch und politisch links? Die linke Vision, die linke Utopie ist eine monolithisch-kollektivistische – das Reich mit einer Partei, einem Führer, einer Ideologie, einer zentralistischen Regierung, einer Sprache, einer Rasse, einer Klasse, einer Einkommensstufe, einem Schultyp, einer Flagge, einer religiösen oder atheistischen Konfession (die auch Staatsreligion ist), einer Behandlung für beide Geschlechter, einem Gesetz für alle und eben nicht Ulpians Prinzip des suum cuique: „Jedermann das Seine.“ Die rechte und daher auch richtige Stellungnahme ist jener der linken entgegengesetzt: sie steht für die Vielfalt und die Person und nicht für die Einfalt und Kollektivität. Sie erinnert an die Botschaft des Heiligen Stefan, König von Ungarn, an seinen Erben, den Heiligen Emmerich: „Mein Sohn, ein Land von nur einer Sprache und einer Sitte ist ein schwaches und dummes Ding.“30) Für den Menschen von heute, der in seiner Mehrheit linksdrallig ist, muß diese Feststellung völlig unverständlich sein. Er steht unbedingt (auch in liberalen Demokratien) für die Uniformität, die Gleichschaltung aller ursprünglichen Verschiedenheiten,


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