Kolonie 85 – Staffel 1: Die Verschwörung. Pia Fauerbach
erzählt, was aber auch daran lag, dass sie bei ihrer Entlassung aus dem Militärdienst eine Geheimhaltungsklausel unterzeichnet hatte.
»Ja. Mit Sicherheit waren Berater und Wissenschaftler der WSA und viele Mitglieder der Union da. Aber du hast recht. Ich kann dort nicht helfen. Die brauchen keine Archäologin, mehr eine Forensikerin.«
»Jetzt mach dich nicht kleiner, als du bist. Du leistest wertvolle Arbeit bei der Erhaltung unserer Altertümer und hast zwei wundervolle Kinder. Und da ist es egal, ob du ein Colonel-Lieutenant bist oder nicht«, brüskierte sich die alte Frau emotionsgeladen.
»Du meinst sicher einen Lieutenant-Colonel.« Alia musste schmunzeln. Es war immer wieder erstaunlich, wie die zierliche Frau energisch ihre Meinung kundtat, aber nach all den Jahren in einem Militär-Haushalt die einzelnen Ränge trotzdem nicht auseinanderhalten konnte. Aber das war Alia egal. Zarah liebte die Kinder und kümmerte sich aufopferungsvoll um sie, wenn sie selbst bei der Arbeit war.
Doch schnell wurde sie von der Realität eingeholt. Die ersten Namen der Opfer wurden in einem Laufband eingeblendet.
Schon einen der ersten kannte Alia. Dr. Andrew Summers. Er war auf dem Mars einer der leitenden Wissenschaftler der WSA gewesen. Und er hatte in zwei Monaten Leandra Thuis heiraten wollen.
Alia schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Lee hatte ihr vor kurzer Zeit eine Einladung zur Hochzeit zukommen lassen, die sie aber abgelehnt hatte, obwohl sie sich für Lee freute. Ihr war nach ihrer Entlassung nahegelegt worden, den Kontakt mit den anderen früheren Crewmitgliedern zu meiden.
Die Navigatorin hatte es damals auf dem Schiff der Konföderierten am härtesten getroffen. Alia erinnerte sich, dass Lee selbst Monate nach den Erlebnissen oft geistig abwesend war oder unvermittelt in Tränen ausbrach. Weder Mike noch sie konnten ihr damals helfen, die Ereignisse zu verarbeiten.
Alia blickte wieder zum Holoprojektor, als sie sah, dass inzwischen der Vorsitzende der WSA ein Interview gab.
»Über den derzeitigen Aufenthaltsort von Michael Barnetti haben wir im Moment keine Kenntnis. Bis jetzt wissen wir nur, dass er nicht im Gebäude war«, erklärte der Vorsitzende. Man sah ihm an, wie sehr ihn diese Katastrophe erschütterte.
»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass Barnetti etwas mit den Explosionen zu tun haben könnte?«, fragte der Reporter weiter.
»Ich deute gar nichts an. Das Interview ist beendet.« Alia sah fassungslos zu, wie der Vorsitzende sich von der Kamera entfernte. Dann wurde wieder das Gesamtbild der Zerstörung gezeigt.
»Das kann doch nicht ...« Alia fehlten die Worte. Offensichtlich verdächtigte man Mike, an den Anschlägen beteiligt zu sein. Obwohl sie Mike fast fünf Jahre nicht gesehen hatte, glaubte sie nicht, dass er sich derart verändert haben konnte. Sie erinnerte sich, dass er ihr kurz vor seiner Amtseinführung eine Nachricht hatte zukommen lassen, wo er im Notfall erreichbar war. Wie von der Tarantel gestochen sprang Alia auf und rannte in ihr Arbeitszimmer. Die fragenden Blicke von Zarah ignorierte sie. Hektisch begann sie zu suchen.
»Irgendwo muss es doch sein ...«, sagte sie zu sich selbst, als sie ihre Unterlagen durchwühlte. Damals hatte sie es für das Beste gehalten, den Kontakt mit Mike abzubrechen, und das nicht nur, weil man es ihr militärisch untersagt hatte.
»Endlich!« Alia hoffte, dass sie Mike unter den Kontaktdaten noch erreichte.
***
Mike konnte den Blick nicht von seinem Holoprojektor lösen, erst recht nicht, als die zweideutige Äußerung des WSA-Vorsitzenden über Mikes Aufenthalt ausgestrahlt wurde.
Er fragte sich, was den Vorsitzenden dazu bewegt haben mochte, eine solche Aussage zu treffen. Bislang hatte er den Eindruck gehabt, als hätten sie eine fast freundschaftliche Beziehung zueinander, und plötzlich beschuldigte er ihn inoffiziell, hinter diesem Attentat zu stecken. Dabei war es doch kein Geheimnis, dass er in seinem Apartment in Genf war. Die Einladung zur Teilnahme an der Konferenz hätte ihm ausreichend Zeit für ein entspanntes Frühstück gelassen … wenn nicht just in diesem Moment die schlimmste Katastrophe seines Lebens eingetreten wäre.
Er nahm das Klingeln zuerst kaum wahr, doch dann bemerkte er, dass jemand versuchte, ihn auf seinem privaten PortCom zu erreichen. Er kannte den Anrufer nicht, weswegen er einen Moment zögerte. Was, wenn es bereits die örtliche Polizei war?
Doch seine Neugier siegte. Die Polizei würde sich nicht lange ankündigen, sie würde ihn vermutlich gleich aufsuchen.
»Ja?«, sprach er dann in sein PortCom, nachdem er es sich hinter das Ohr geklemmt und die Verbindung angenommen hatte.
»Mike, bist du es?« Die Stimme klang vertraut. Er hatte sie ein paar Jahre lang nicht gehört, doch er erkannte sie.
»Alia? Warum rufst du an?« Er hätte sich für diese dümmliche Frage selbst ohrfeigen können. Natürlich rief sie wegen der Nachrichten an.
»Sag mir, dass es nicht wahr ist«, antwortete sie mit angespannter Stimme. Er hatte das Gefühl, als wäre sie kurz davor, in Tränen auszubrechen. Lebhaft erinnerte er sich daran, wie kühl und arrogant sich Alia stets gegeben hatte. So unnahbar und überlegen. Als sie vor ein paar Jahren aber mit Mühe das Zusammentreffen mit der Konföderation überlebt hatten und von der Interstellaren Union gerettet worden waren, zeigte sie ihm, dass auch in ihr ein Mensch mit Gefühlen steckte. Sie hatte einen ihrer Arme verloren, doch von den Ärzten der Union hatte sie ein Transplantat erhalten, das sich schließlich optisch nicht von ihrem echten Arm unterscheiden ließ.
»Ich habe nichts damit zu tun, Alia. Ich bin selbst schockiert darüber, was da passiert ist.«
»Aber warum wird dein Name ins Spiel gebracht?«
Er wunderte sich nicht, dass Alia keine Zeit damit verschwendete, über die vergangenen Jahre zu sprechen. Es gelang es ihr, die Zeit wegzuwischen, als hätten sich die beiden erst Tage zuvor das letzte Mal gesehen. Er war sich nicht sicher, aber machte sie ihm gerade einen Vorwurf? Das hätte ihr zumindest ähnlichgesehen, überlegte Mike kurz.
»Weißt du ...«, setzte er an, doch ein seltsames Geräusch an der Haustür ließ ihn innehalten. Machte sich da jemand am Schloss zu schaffen?
»Was ist?« Mike registrierte, dass Alias Stimme angespannt klang, doch er antwortete nicht. Ein flaues Gefühl in der Magengegend brachte ihn instinktiv dazu, seine Schuhe anzuziehen und die wichtigsten Sachen einzupacken. Jemand war vor der Wohnungstür, so viel stand fest. Und der- oder diejenige war offenbar damit beschäftigt, eben nicht zu klingeln, zu klopfen oder anderweitig Aufmerksamkeit zu erregen, sondern schien Mikes Tür von außen öffnen zu wollen.
»Hier ist jemand«, flüsterte er Alia nur einen Augenblick später zu, als er sich möglichst leise von der Haustür wegbewegte.
»Ist es die Polizei?«, fragte Alia. Wenn es die Polizei war, so überlegte er, dann würden sie vermutlich seine Wohnung umzingeln. Welche Chance hatte er, ihr zu entkommen? Aber etwas sagte ihm, dass es wohl nicht die Polizei war, und er teilte es Alia mit.
»Mach, dass du da wegkommst!«, hörte er noch Alias Stimme, kurz bevor seine Eingangstür mit einem lauten Knall aufsprang. Er blinzelte, und durch den Rauch erkannte er im Türrahmen zwei düstere Gestalten in langen dunklen Mänteln, die beide je eine automatische Handfeuerwaffe auf ihn richteten.
»Mitkommen!«, war das Einzige, was einer der beiden sagte, bevor Mike seine Überraschung abschüttelte und mit einem gewagten Hechtsprung aus ihrer direkten Schusslinie entwich.
Als Antwort darauf hörte er, wie ganze Schusssalven an ihm vorbeisausten und seine Einrichtung trafen. Holz splitterte, Glas zersprang. Diese Kerle waren offenbar bereit, ihn zu töten.
»Verdammter Mist!« Mike rappelte sich auf und rannte zum Fenster. Springen konnte er nicht – er wohnte im 12. Stock. Doch es gab einen Sims, der um das Haus herumführte. Er war nicht breit, doch Mike hoffte, dass er darauf entkommen konnte.
Rasch rannte er in sein Schlafzimmer, zog die Tür zu und schlug im nächsten Augenblick die Scheibe ein, um herauszuklettern. Erneut durchbohrten Schüsse