Kolonie 85 – Staffel 1: Die Verschwörung. Pia Fauerbach
Jungen anrufen, überlegte es sich aber anders und ging an ihr ComTerm. Schnell tippte sie eine für Außenstehende unverfängliche Nachricht ein und hoffte, dass Tim den Hinweis verstehen würde.
Fünf Jahre hatten Alia die Ereignisse seit ihrer Rückkehr nicht gekümmert, doch von einem Moment auf den anderen war sie wieder in Geschehnisse verwickelt, denen sie aus dem Weg zu gehen versucht hatte.
Das PortCom klingelte, und Alia nahm an, dass es sich um Lee handelte, die sie zurückrief. Sie nahm das Gespräch an, aber Alia kannte die Stimme nicht, und mit Sicherheit hätte Lee sie nie mit ihrem alten Militärrang angesprochen.
»Major Scott?«
»Wer ist da?« Gespannt wartete Alia darauf, wer am anderen Ende der Leitung war.
»Mein Name ist Jean Epoc von ANN. Könnten wir eine Stellungnahme zu den Ereignissen …« Alia beendete das Gespräch. »Reporter«, sagte sie leise und warf das PortCom achtlos auf ihren Schreibtisch. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten vor der Tür auftauchten.
»Zarah« Alia ging zurück in die Küche, wo die Frau die beiden Kinder offensichtlich bereits mit der zweiten Fuhre Pfannkuchen versorgte. Fragend blickte sie Alia an. »Lass niemanden außer Salim und seiner Familie ins Haus. Ich befürchte, dass wir bald Besuch von einigen Journalisten bekommen.« Zu ihren Kindern gewandt fuhr sie fort: »Für euch beide gilt das gleiche, klar? Und leider kann ich mit euch heute den Ausflug nicht machen.« Sie sah die enttäuschten Gesichter der Kinder.
»Du hast es aber versprochen, Mama!«, erklärte Ben trotzig, und Alia sah, wie Rhias Unterlippe zu zittern anfing. »Du hast gesagt, seine Versprechen muss man immer halten«, fügte ihre Tochter mit weinerlicher Stimme hinzu.
»Ich weiß. Es tut mir leid, aber einem von Mamas Freunden ist etwas Schlimmes passiert, und deswegen werden hier viele Leute auftauchen, die alle davon erzählt bekommen wollen«, versuchte Alia, sich aus der Situation zu retten, ohne genauer ins Detail zu gehen. Sie wollte die Kinder nicht beunruhigen.
»Hast du deswegen vorhin geweint?«, fragte Rhia und schaute ihre Mutter durchdringend an. Alia nickte nur. Rhias Blick erreichte Ben, und Alia war wieder einmal mehr als erstaunt darüber, dass sich die Kinder ohne ein Wort verständigen und einigen konnten. In diesem Moment sahen sie ihrem Vater so ähnlich. »In Ordnung«, antworteten beide gleichzeitig.
»Schön. Wir werden den Ausflug nachholen, sobald es geht«, sagte Alia darauf. Die Kinder nickten und widmeten sich wieder ihrem Essen. Sie gab Zarah einen Wink, ihr in das angrenzende Zimmer zu folgen.
»Sage bitte Salim, dass er niemanden in die Nähe des Hauses lassen soll, auch wenn er denjenigen kennt. Wenn jemand etwas von mir möchte, soll er mir Bescheid geben, mehr aber nicht.« Alias Stimme war beinahe ein Flüstern.
»Aaliyah, was ist denn los?« Zarah war mehr als besorgt.
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie ehrlich.
»Aber du ahnst etwas«, bohrte sie weiter. Da Alia beharrlich schwieg, fuhr sie fort. »Es hat etwas mit Genf zu tun, oder mit deiner Militärzeit, nicht wahr?«
»Ich befürchte, es hängt alles zusammen«, gab Alia zu.
»Gut. Ich werde mich mit Salim besprechen. Keiner wird auch nur in die Nähe des Hauses kommen. Wozu hat er schließlich so viele Verwandte, die bei der Polizei arbeiten?« Zarah verließ den Raum, und Alia lächelte ein wenig. Es stimmte, ihr Vorarbeiter für die aktuelle Ausgrabung und selbsterklärter Hausmeister im mittleren Alter hatte rund um die Stadt mehr Verwandte und Bekannte, als Alia je Menschen kennen gelernt hatte, und in diesem Moment war sie sehr dankbar dafür, dass Salims uneingeschränkte Loyalität ihr selbst und den Kindern galt.
»Sitt!« Ihr Kindermädchen benutzte diese Anrede nur, wenn Fremde in der Nähe waren. Ohne zu überlegen, stürmte Alia in Richtung Haustür, aus der Zarah gerufen hatte. Es war noch viel zu früh für normale Besucher. Waren schon die ersten Reporter aufgetaucht?
»Wer …« Alia blieb kurz vor der Tür stehen, als sie erkannte, um wen es sich handelte.
»Es tut mir leid. Ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen könnte.« Lee stand mit einer kleinen Reisetasche in der Eingangstür und sah Alia mit verweinten Augen an.
»Mama, wer ist da gekommen?« Ohne Vorwarnung stürmten die Zwillinge zu Alia, blieben hinter ihr stehen und beobachteten die Besucherin.
»Du hast Kinder?« Lee stotterte ein wenig, sie war verblüfft. »Ich hätte … ich hätte nicht herkommen sollen. Entschuldige, ich … gehe besser«, sagte sie und war schon im Begriff, sich umdrehen.
»Nein!« Alia reagierte schnell und hielt sie am Handgelenk fest. »Bleib, Lee. Ich habe schon versucht, dich zu erreichen.« Unmerklich tauschte Alia einen Blick mit Zarah, die nickend verstand und sich um die Kinder kümmerte, während Alia Lee ins Haus zog.
»Weiß jemand, wo du hinwolltest?«, fragte Alia als Erstes.
»Nein, ich wollte nur weg aus Genf … nachdem sie Andrew … gefunden hatten.« Sie kämpfte um ihre Beherrschung. »Sie haben gesagt, dass …, dass er sofort tot gewesen sei …« Lee konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und fiel Alia schluchzend in die Arme.
Alia fühlte sich wieder in die Zeit ihrer Reise nach Proxima Centauri b zurückversetzt. Lee hatte nach ihrer Rettung nur Alia getraut und sich oft bei ihr ausgeweint.
»Lee, beruhig dich erst mal etwas.« Alia sprach mit der gleichen Tonlage, wie sie es tat, wenn eines der Kinder einen Weinkrampf bekam. »Du kannst hierbleiben.«
Lee unterhielt sicher keine Wohnung mehr auf der Erde, und es war wichtig, dass sie zusammenblieben. Es war möglich, dass die gleichen Männer, die Mike verfolgten, auch nach Lee suchten.
Sie schaute Lee an. Die Zeit war an ihr vorbeigegangen, ohne sie älter werden zu lassen. Das einzige, was sich verändert hatte, war, dass sie ihr Haar inzwischen länger trug.
»Komm, wir setzen uns, und dann reden wir.« Alia deutete auf das Sofa, das durch den langen, hellen Flur am Ende des Wohnraums zu sehen war, und Lee nickte. Mit einer kurzen Handbewegung gab Alia Zarah zu verstehen, dass alles in Ordnung war und sie die Tür schließen sollte.
Als sie die Tür zugeschoben hatte, nahm Zarah die Kinder beiseite. Sie verstand, dass Alia und diese Frau etwas Zeit für sich brauchten. Und es gab einige Aufgaben, bei denen die Kinder in diesem Moment weitaus nützlicher sein konnten.
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