Footprint. Bert Beyers
Klarheit, dass wir die biologische Grundlage unseres Lebensunterhalts deutlich schneller verbrauchen, als sie erneuert werden kann. Kurz, wir leben über unsere Verhältnisse.
Als biologische Wesen sind wir eben auf diese biologische Grundlage angewiesen. Es gibt keinen Ersatz. Das merken die Astronauten in der internationalen Raumstation, der ISS, die die Erde mit 27 000 Stundenkilometern auf 370 km Höhe umkreist, noch viel direkter. Haben sie genug Sauerstoff, Wasser und Essen?
Die Folgen der Übernutzung unserer Ressourcengrundlage sehen wir in sozialen Konflikten (wie dem „Arabischen Frühling“ und seinen Spätfolgen) und der andauernden Finanz- und Wirtschaftskrise. Und doch verblasst die Gefahr einer wirtschaftlichen Rezession gegenüber den ökologischen Herausforderungen. Wer sie als nachgeordnetes Problem behandelt, dem man sich widmen kann, wenn die Wirtschaftsmaschine wieder läuft, manövriert sich selber ins Aus.
Zwischen Ökonomie und Ökologie gibt es durchaus Parallelen. Misswirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass man mehr ausgibt, als man einnimmt; dass man darauf baut, dass der Wert von Immobilien dauerhaft steigt, obwohl sich an den Objekten nichts ändert; wenn man wachsende Schuldenberge aufhäuft, in der vagen Hoffnung, dass sie in der Zukunft schon irgendwie getilgt werden; wenn man Geld in Umlauf bringt, wofür es keinen physischen Gegenwert gibt – und dann noch davon ausgeht, dass alles unendlich so weitergehen kann. Die meisten wissen, dass das nicht funktioniert. Warum sollte es mit den Ressourcen dann anders sein? Warum kurbeln wir die Wirtschaft wieder an, um mit noch höherem Ressourcenverbrauch immer mehr zu produzieren? Warum soll beschleunigter Konsum das Problem lösen, wenn Überkonsum es erst geschaffen hat? Warum vergessen wir so oft, dass Einkommen von Ressourcenverfügbarkeit abhängt?
Nach Footprint-Berechnungen hat die Menschheit das „biologische Budget der Natur“, also die Biokapazität des Planeten, im Jahr 2011 bereits um 54 Prozent überzogen. Also die Menschheit braucht die Natur 54 Prozent schneller, als sie sich erneuert. Unsere Schätzung für 2015 kommt gar auf 62 Prozent, also nochmals 8 Prozent mehr, trotz der Finanzkrise. Dieses Phänomen nennen wir Overshoot. Nach den meisten Prognosen wird die Zahl der Menschen von rund sieben Milliarden bis zum Jahr 2050 auf neun bis zehn Milliarden anwachsen. Und die Bewohner der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) werden – Krise hin oder her – weiterhin hart dafür arbeiten, ihren Lebensstandard zu erhöhen. Ressourcenknappheit wird zur zentralen Herausforderung des 21. Jahrhunderts.
Manche fragen sich, ob wir in einer Wasser-, Klima-, Fischerei- oder Nahrungskrise stecken. Die Antwort, dass alle diese Krisen in einer Ursache, unserem Ressourcenhunger, wurzeln, liegt auf der Hand. Wir brauchen nur den menschlichen Stoffwechsel mit der Natur (Metabolismus) genauer zu betrachten.
Im 21. Jahrhundert steht das Wort Ökologie für ökonomisches und physisches Überleben, und zwar im eigenen Interesse. Ob Klima, Fischbestände oder biologische Produktivität – viele Ökosysteme des Planeten sind übernutzt und geschwächt. Sollten wir in eine ernsthafte Ressourcenkrise geraten – ob Öl, Wasser oder Nahrungsmittel –, werden wir die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise mit neuen Augen sehen. Manche werden sich danach zurücksehnen.
Die Krise verschafft dem Globus eine kleine Verschnaufpause. Ressourcen- und Abfallströme wachsen nicht ganz so schnell, teilweise sind sie sogar rückläufig. Aber das ist nicht das Ziel. Die Frage ist: Wie können wir den Metabolismus der Menschheit zurückfahren, ohne die Wirtschaft abzuwürgen und ohne die Benachteiligten noch weiter an den Rand zu drängen? Wie können wir uns schnell genug aus dem Overshoot hinausmanövrieren und gleichzeitig die Lebensqualität aller sichern?
Dies ist ein guter Zeitpunkt, innezuhalten. Was wollen wir wirklich? Vielleicht wollen wir ja alles einfach behalten. In Europa kann man den Eindruck gewinnen, das wäre möglich. In vielen architektonischen Details sehen Paris und London aus wie vor 100 Jahren. Der rasche Wandel fällt dort kaum ins Auge – eine Illusion. Dennoch leben wir in einer äußerst dynamischen Zeit: 79 bzw. 82 Prozent aller fossilen Energieträger, die die Menschheit je verbraucht hat, wurden in der Lebenszeit der Autoren verbrannt. Wie viel Prozent der gesamten je genutzten fossilen Energie wurde seit Ihrer Geburt verbrannt? Die Tabelle im Anhang auf Seite 206 zeigt: Wurden Sie 1975 geboren so waren es 67 Prozent bis 2015.
Die Anzahl der Menschen auf dem Globus hat sich mehr als verdoppelt, der Druck auf die Natur verdreifacht. Die Geschichte läuft mit hohem Tempo. Daher wird diese Frage immer wichtiger: Wie können wir es schaffen, innerhalb der Möglichkeiten der Natur zu leben – und zwar gut? Der Footprint liefert uns dafür die erforderlichen Daten.
Zum Beispiel über den Naturverbrauch von Städten, und das für alle grundlegenden menschlichen Bedürfnisse: Nahrungsmittel, Wohnen, Energie, Mobilität und Abfallentsorgung. Wenn der Footprint eines Bewohners von Siena nur ein Drittel von dem eines Bürgers von Houston, Atlanta oder Los Angeles ausmacht, dann ist Siena einfach im Vorteil. Wer sich besser auf das Leben in einer Welt mit knappen Ressourcen vorbereitet, wird zu den Gewinnern gehören. Wer zu lange zögert, zu den Verlierern. Eine vorsorgende Ressourcenpolitik ist im ureigenen Interesse aller Städte, Regionen und Staaten. Und zwar jetzt. Los Angeles kann sich nicht über Nacht in ein Siena verwandeln.
Wenn heute die Mehrzahl der Menschen in Städten wohnt, dann entscheidet sich das Schicksal unserer Zivilisation genau dort. Der Footprint hilft dabei, Infrastruktur und Stadtplanung zukunftssicher zu machen. Beispiel Verkehr: So vielschichtig die Diskussion über Busse, Bahnen und Autos, über Anbindung und Steuerung der Systeme auch sein mag, der Footprint reduziert die Informationen jeweils auf eine einzige Zahl: die notwendige Fläche. Damit lässt sich arbeiten. Der Footprint ist also nicht nur ein Indikator, sondern ein Buchhaltungsinstrument und zugleich ein Managementwerkzeug.
Die Fragen, die sich Städte und Kommunen stellen müssen, lauten: Woher beziehen wir unsere Energie? Unsere Nahrung? Wie viel brauchen wir im Vergleich zu unseren Konkurrenten? Wie viel benötigen wir im Verhältnis zu dem, was es pro Kopf auf der Welt gibt? Immer wieder geht es auch um Effizienz: Nutzen wir bereits alle unsere Möglichkeiten, um mit weniger Ressourcen besser zu leben? Oder um Suffizienz: Haben wir nicht bereits genug?
Für Regionen und Länder ist die Angebotsseite, das Flächen- und Ressourcenmanagement, jedoch mindestens so wichtig. Über welche Ressourcen verfügen wir selber? Verbrauchen wir mehr Biokapazität, als in unserm Land zur Verfügung steht, sind wir ein ökologischer Schuldner. Verfügen wir dagegen über mehr Reserven, als wir verbrauchen, sind wir ein ökologischer Gläubiger. Je mehr Länder und Regionen über ihre Ressourcenbasis wissen, desto besser sind sie gerüstet für eine Zeit schneller Veränderungen. Der Wettbewerb um die verbleibenden Ressourcen wird eine zentrale Herausforderung für die Zukunft werden.
Die Botschaft des Footprint lautet: Das Angebot der Natur kann man messen, den menschlichen Naturverbrauch auch. Nur so kann es gelingen, unsere ökologischen Grundlagen abzusichern und vernünftig zu managen. Nicht zuletzt, um den ökologischen Bankrott im 21. Jahrhundert zu verhindern.
Der Footprint verfügt dabei nicht über fertige Lösungen und Rezepte. Im Gegenteil. Seine Mission heißt Information und Kommunikation: sagen, was ist. Ihrem Wesen nach ist die Methode beschreibend wie ein Kontoauszug. Auf dieser Grundlage werden die Beteiligten zu jeweils eigenen Antworten und Strategien gelangen. Das ist der praktische Teil des Prozesses. Der Footprint als Indikator bleibt dabei deskriptiv, er kann den Fortgang der Ereignisse mit einem Monitoring begleiten. So wird deutlich, ob der eingeschlagene Weg erfolgreich ist oder nicht. Der Footprint hat auch keine vorgefertigte Moral. Er sagt nicht, was jemand zu tun oder zu lassen hat. Mit Hilfe der Methode kann man zwar berechnen, wie viel Biokapazität für jeden Menschen durchschnittlich zur Verfügung steht. Der Footprint plädiert aber nicht für Gleichmacherei. Er zeigt lediglich auf, dass es sehr wohl denkbar ist, allen Menschen auf diesem Planeten ein gutes und erfülltes Leben zu ermöglichen, und zwar innerhalb der Kapazitäten des Globusses. Im Englischen gibt es für diese Idee eine griffige Formulierung: One Planet Living.
Letztlich kommen wir nicht an der Tatsache vorbei, dass wir selber, die Menschen mit ihrer Wirtschaft, mit allen ihren Aktivitäten, Teil der Natur sind. Philosophische und religiöse Schriften versuchen uns seit Jahrtausenden etwas anderes zu vermitteln: Dass der Mensch nämlich außerhalb der Natur stehe und sie ihm zu dienen habe, dass er sie in Kultur nehmen und zivilisieren solle. In diesem