Footprint. Bert Beyers

Footprint - Bert Beyers


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Makroinstrument. Im Kleinen wie im Großen kann man so quantitativ abschätzen, was die Natur uns anbietet, und auch wie wir sie nutzen.

      Der Footprint beschreibt in erster Linie, was ist. Die Tatsache, dass wir Biokapazität überhaupt messen und damit objektivieren können, ist in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. Ein Beispiel: Wir wissen heute, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, um das Klimasystem des Planeten einigermaßen stabil zu halten. Die Auswirkungen von Kohlendioxid, dem primären Treibhausgas, auf die biologischen Systeme sind gewaltig. Rund die Hälfte des gesamten Footprint der rund sieben Milliarden Menschen heute ist eine Folge der Nutzung fossiler Energie. Der Carbon-­Footprint ist dabei rasant gewachsen. Seit 1961, dem Beginn der statistisch gesicherten Daten der Vereinten Nationen, hat er sich mehr als ­verdoppelt. Der Energieverbrauch ist noch schneller gestiegen, besonders für Erdgas, das aber weniger CO2 intensiv ist und somit einen kleineren Carbon Footprint pro Energieeinheit aufweist. Allerdings nur, solange wenig vom Methan des Erdgases unverbrannt entweicht. Denn Methan ist ein potentes Treibhausgas. Schon kleine Methanverluste in der Gasförderung und -verteilung machen den Vorteil des Gases gegenüber Kohle wieder wett.

      Die Nachfrage nach Ressourcen ist nach oben kaum beschränkt. Was damit zu tun hat, dass man in größeren Häusern leben kann, und nahezu beliebig viel Auto fahren oder fliegen kann – ­vorausgesetzt, das Geld dafür ist ­vorhanden. Beim Essen nimmt der Footprint zu durch längere Transportwege der Nahrungsmittel, mehr Fleisch und raffiniertere Zubereitung.

      Die Kohlendioxid-­Emissionen sammeln sich in der Atmosphäre an und führen zu langfristigen, in einigen Regionen sogar zu massiven Auswirkungen auf das Klima und den Wasserhaushalt. Mit Hilfe des Footprint kann man abschätzen, was geschähe, wenn man erhebliche Teile der Energieversorgung auf nachwachsende Rohstoffe, zum Beispiel Agrotreibstoffe, verlagern würde. Die Atmosphäre mag zwar in den meisten Fällen entlastet werden – aber wird dadurch vielleicht an anderer Stelle Druck auf die biologischen Systeme ausgeübt? Das erfasst der Footprint. Die meisten gebräuchlichen Techniken, um Energie aus regenerativen Quellen zu gewinnen – Wasserkraft, Windkraft und Biomasse –, weisen einen verringerten Ausstoß an Kohlendioxid auf, aber gleichzeitig brauchen sie eben auch biologisch produktive Flächen. Bei der Gewinnung von Energie aus Biomasse gibt es unterschiedliche Verfahren. Bislang werden ausschließlich die Früchte der Agrarprodukte – zum Beispiel Maiskörner, Rapssamen oder Palmölkerne – verwendet; die Techniken der zweiten Generation nutzen dagegen die gesamte Pflanze, der Wirkungsgrad ist entsprechend höher. Trotzdem: Wird dabei nicht dringend benötigte Biokapazität eingesetzt, die der Nahrungsmittelproduktion verloren geht? Der Footprint, das werden wir noch sehen, kann die unterschiedlichen Verfahren quantifizieren, vergleichbar machen und die Fragen damit beantworten.

      Das Klimaproblem an sich ist gewaltig. Und doch ist es nur ein Ausschnitt eines umfassenderen Bildes: dem des erstaunlich robusten, aber zugleich auch verletzlichen Planeten Erde mit seiner gesamten Biologie. Das Ganze sehen, das ist die eigentliche Perspektive des Footprint.

      Er funktioniert dabei wie eine Landkarte. Seinem Grundgedanken folgend übersetzt er die Ansprüche an Ökosysteme und bringt sie auf „einen Nenner“. Im Hintergrund steht ein ebenso umfangreiches wie genaues Datenset, eben wie bei einer Landkarte. Die zeigt uns freilich nur das Wesentliche: Städte, Straßen, Ländergrenzen. Würde sie jeden einzelnen Baum, jedes Haus erfassen, könnten wir sie gar nicht lesen. Diese Komplexitätsreduzierung ist es gerade, die uns hilft, ein unübersichtliches Terrain zu erfassen. Analog ermöglicht es der Footprint, unsere Welt, unseren Planeten mit seinen überaus vielfältigen und bewunderungswürdigen natürlichen Regelwerken besser zu verstehen, auch, wie tief wir darin eingreifen dürfen. Kurz, er hilft uns, Risiken und Möglichkeiten zu beurteilen. Um einen gangbaren Weg zu finden.

      Erstmalig leben im 21. Jahrhundert mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Und obgleich die besiedelten Flächen nur einen kleinen Teil der Oberfläche des Planeten ausmachen, ist bereits heute klar: Das Schicksal der Erde wird sich primär in den Städten entscheiden. Es kommt darauf an, wie sie ihre Bewohner mit Wasser, mit Lebensmitteln und Energie versorgen. Und wie ihre Architektur, ihre Siedlungs- und Infrastruktur beschaffen sind. In Zeiten knapper werdender Ressourcen stellt sich die Frage immer deutlicher: Wie kann man eine hohe Lebensqualität mit einem intelligenten Einsatz von Ressourcen erreichen? Der Footprint gibt Hinweise in die richtige Richtung.

      In einem entlegenen Gebiet des amerikanischen Bundesstaats Arizona entstand zwischen 1987 und 1989 ein gewaltiger Kuppelbau aus Glas. Darunter befand sich ein geschlossenes Ökosystem: mit Savannen, tropischen Regenwäldern, einem Mangrovensumpf, mit Wasserflächen, die den Ozean darstellen sollten, aber auch mit intensiv bewirtschafteter Ackerfläche und Wohngebäuden. Der Name des Projekts Biosphere 2 zielte bewusst auf den Lebensraum unseres Planeten, also die Biosphäre 1. Sinn und Zweck des Experiments war es, ein autarkes Biotop zu schaffen und damit Erfahrungen zu sammeln, wie man sie zum Beispiel für bemannte Basen auf dem Mond oder dem Mars einmal benötigen könnte.

      Am 26. September 1991 schloss sich die Luftschleuse hinter den ersten acht Bewohnern von Biosphere 2. Rund zwei Jahre lebten sie in den futuristisch anmutenden Gebäuden, die untereinander verbunden und insgesamt hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen waren. Mit der Zeit wurde das Leben in der artifiziellen Welt immer mühsamer. Es stellte sich heraus, dass man Stahlbeton verbaut hatte, der während seines langfristigen Härtungsprozesses den vorhandenen Sauerstoff aus der künstlichen Atmosphäre verbrauchte und Kohlendioxid abgab. Schließlich musste man von außen sogar Sauerstoff einleiten. Weitere Überraschungen stellten sich ein. Mikroben im Ackerboden erhöhten den Gehalt von Stickstoff und Kohlendioxid in der Atmosphäre von Biosphere 2 stärker als geplant. Kakerlaken und Spinnen fühlten sich in den Hightech-Gebäuden besonders wohl und vermehrten sich rasant. Offensichtlich ist es nicht ganz einfach, die komplexen Regelkreisläufe der Natur zu imitieren, in Gang zu setzen und am Laufen zu halten.

      Übertragen wir das Bild von Biosphere 2 in einem Gedankenexperiment auf eine beliebige moderne Stadt, gleich ob Berlin, London oder New York. Über dieser Stadt wölbt sich eine umgedrehte gigantische Glasschüssel.9 Weder Luft noch Wasser noch Lebensmittel, auch keine Energieträger wie Öl oder Gas, kein Baumaterial, weder Steine oder Sand, dringen von außen in das künstliche Biotop hinein. Es ist vollkommen abgeriegelt. Sogar die Abwässer, die Autoabgase und der Hausmüll bleiben unter der Glaskuppel eingeschlossen. Einzig das Sonnenlicht hat ungehinderten Zugang zu der futuristischen Stadt, so ist es tagsüber zumindest hell. Mit der Sonneneinstrahlung gelangt auch eine gewisse Menge an Energie hinein. Ob Insekten und Nagetiere diese künstliche Stadt als besonders paradiesisch empfinden werden – niemand weiß es.

      Das Gedankenexperiment kommt der Idee des Footprint nahe. Die entscheidende Frage lautet: Wie groß müsste die Glaskuppel über der Stadt tatsächlich sein, um die Bewohner mit allem, was sie zum Leben benötigen, versorgen zu können? Oder einfach: Wie viel Biokapazität braucht eine Stadt?

      Tatsächlich verfügen wir heute über wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine ziemlich genaue Antwort auf diese Frage geben. Eine der am besten untersuchten Städte ist London. Die Studie City Limits10 kommt zu dem Ergebnis, dass ein durchschnittlicher Londoner Bewohner 6,6 globale Hektar, also etwa acht Fußballfelder, an biologisch produktiver Fläche benötigt, um sein gewohntes Konsumniveau zu halten und sich seines Abfalls zu entledigen.11 In Haushalten, in der Industrie und bei Bautätigkeiten fällt in der britischen Hauptstadt jedes Jahr so viel Müll an, dass man damit die riesige Royal Albert Hall mit mehr als 40 Metern Höhe 265 Mal füllen könnte.

      Bemerkenswert ist auch, wie viel die Bewohner der Stadt tagtäglich zu sich nehmen: Lebensmittel machen mit 41 Prozent einen großen Teil des Londoner Footprint aus. Fasst man den Flächenbedarf aller Londoner zusammen, kommt man auf 49 Millionen globale Hektar, also 300 Mal das geographische Territorium der Stadt; und mehr als die Hälfte der Biokapazität des gesamten britischen Königreichs.

      Natürlich sind die Ressourcen, auf die eine Stadt zurückgreift, lokaler wie globaler Natur und die Quellen finden sich weit über den Planeten verstreut. Für London gilt das seit langem.


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