Footprint. Bert Beyers

Footprint - Bert Beyers


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hatte sie einen Footprint, der in der Geschichte beispiellos war. Ein Autor aus der damaligen Zeit beschreibt das folgendermaßen: „Die Ebenen Nordamerikas und Russlands sind unsere Getreidefelder, Chicago und Odessa unsere Kornkammern, Kanada und der Ostseeraum unsere Holzlieferanten, Australien hält unsere Schafherden und in Argentinien und auf den westlichen Prärien Nordamerikas weiden unsere Rinderherden; Peru schickt Silber, und das Gold Südafrikas und Australiens strömt nach London. Die Hindus und die Chinesen bauen für uns Tee an. Und unsere Kaffee-, Zucker- und Gewürzplantagen liegen in Westindien. Spanien und Frankreich sind unsere Weinanbaugebiete und unsere Obstgärten liegen im Mittelmeerraum. Unsere Baumwollfelder, die lange Zeit im Süden der Vereinigten Staaten gelegen haben, dehnen sich jetzt überall in den warmen Regionen der Erde aus“12.

      Heute, 150 Jahre später, gibt es Dutzende vergleichbare, auch deutlich größere Städte auf allen Kontinenten. Sie konkurrieren um dasselbe globale Angebot von Naturkapital. Eine Stadt, die bei geringerem Footprint pro Einwohner eine vergleichbare Lebensqualität bietet, ist eben auch weniger abhängig von Importen und damit wettbewerbsfähiger.

      Erstaunlich ist, dass der Footprint des Bewohners einer italienischen Stadt nur etwa ein Drittel von dem des Bürgers einer typischen nordamerikanischen Stadt beträgt. Wobei die amerikanische Siedlungsstruktur geprägt ist von weit ausladenden Vorstädten, meist nur mit dem Auto erreichbar. Die europäische, insbesondere die mediterrane, Stadt dagegen ist kompakt, fußgängerfreundlich und verfügt in der Regel über ein besseres Angebot an Bahnen und Bussen als die amerikanische. Die Vorliebe der Italiener für frische, saisonale und lokal angebaute Lebensmittel kommt nicht nur der Küche und der Gesundheit zugute, sondern trägt auch entscheidend zur besseren ökologischen Bilanz bei. Übrigens, ganz ohne Hightech.

      Der Amerikaner sieht die Italiener in kleinen Wohnungen und Häusern eingepfercht. Für die Italiener aber ist die ganze Stadt ihr Wohnzimmer. Sie leben also in einem großzügigen Zuhause. Umgekehrt sehen die Italiener die Amerikaner im suburbanen Haus isoliert und ihr Leben begrenzt sich auf das eigene Grundstück. Denn der Amerikaner kann kaum kurz um die Ecke zur Bar oder mal schnell auf die Piazza spazieren gehen. Mit anderen Worten, der Naturverbrauch sagt wenig aus über das Lebensgefühl, das der Verbrauch ermöglicht.

      Wie Städte ausgelegt sind, bestimmt nicht nur die Lebensqualität, aber auch ihre ökonomische Stabilität. Denn Städte stehen in weltweiter Konkurrenz. Sie kämpfen um kreative und unternehmerische Talente ebenso wie um Standortvorteile. Ein wesentlicher Vorteil ist die Ressourceneffizienz. Denn Ressourcenkosten prägen alle Weltstädte, denn sie müssen sich alle um Ressourcen bemühen, die global gehandelt werden. Große Footprints werden zunehmend zu einem wirtschaftlichen Risiko.

      Der Footprint bietet gerade für Städte und Regionen ein Werkzeug, um Planungsprozesse sinnvoll steuern können. Angefangen bei der Analyse, indem man die Verbräuche identifiziert, etwa in den Bereichen Mobilität, Bauen oder Energie. Denn, nur was man messen und vergleichen kann, kann man auch managen. Nur so kann man sinnvoll planen und sich konkrete Ziele setzen. Die Verantwortlichen einer Stadt oder einer Region können ihre lokalen Ressourcen (im Sinne unterschiedlicher Flächen) besser bewirtschaften oder auch ihre Ressourcenimporte (sei es Energie für Mobilität, sauberes Wasser oder Holz zur Papierproduktion) reduzieren und folglich die Abhängigkeit und Verletzbarkeit der Kommune minimieren. Ob Naturkapital oder Finanzkapital, ob realer Stoffwechsel oder Balance von monetären Ausgaben und Einnahmen: beide Bereiche brauchen eine verantwortliche Haushaltsführung.

      An diesem Punkt kommt wieder die kommunikative Stärke des Footprint ins Spiel. So vielschichtig die Fragen in der ­Realität auch sein mögen – beim Wohnungsbau, bei der Planung eines Industriegebiets oder eines Fußballstadions –, das Resultat ist stets nur eine einzige Kennzahl, nämlich die für Dienstleistungen der Natur benötigte Fläche. Durch diese Transparenz kann es gelingen, Gesprächspartner aus Wirtschaft, Behörden, Politik und nicht zuletzt die Bürger der Stadt in den Planungsprozess ­einzubinden.

      In einer ökologisch begrenzten Welt mit steigendem Ressourcenverbrauch wird es für Städte und Länder immer riskanter, von großen Mengen Biokapazität abhängig zu sein. Es wird zum Wettbewerbsnachteil.

      Diese Tatsache zeichnet sich bei vielen Entscheidungen bereits ab. Zum Beispiel zeigen seit den 1990er Jahren Griechenland, Spanien, Italien und Portugal einen stark steigenden Ressourcenverbrauch. Und dies bei kleinerem Bruttosozialprodukt als Länder in Nordeuropa – doch mittlerweile mit ähnlich großem und schnell wachsendem Biokapazitätsdefizit. Dieses Defizit, multipliziert mit den seit dem Jahr 2000 stark wachsenden Ressourcenpreisen, ist für diese Länder zu einer immer größeren wirtschaftlichen Last geworden. Für Griechenland beispielsweise sind die Kosten für Ressourcen, die es importieren muss, nach unseren groben Abschätzungen von 4 Prozent ihres Volkseinkommens 1998 auf 14 Prozent im Jahr 2008 hochgeschnellt. Dieser wachsende Kostenfaktor wirkt wie eine zusätzliche internationale Steuer – wie Sand im Getriebe. Dass die Griechen unverlässliche Steuerzahler sind ist kein neues Phänomen, das plötzlich 2008 erwacht ist. Das neue Problem, vielleicht das Zünglein an der Wage, war die neue Ressourcensituation: Der neue, zusätzliche Druck waren die hochschnellenden Ressourcenkosten. Die griechische Regierung hat sich zuerst mit finanziellen Defizitausgaben durchgerungen, bis es nicht mehr ging. Den Rest konnten wir den Zeitungen entnehmen. Die Folgen produzieren weiterhin Turbulenz und Leiden.

      Schon heute sind Ressourcentrends bestimmende Wirtschaftsfaktoren. Nur handeln wir nicht entsprechend. Oder tun so, als wäre die Wirtschaftssituation nur ein zyklisches Problem, nicht eines der wachsenden ökologischen Knappheit.

      Ressourcenüberlegungen helfen uns, besser zu investieren. Etwa wenn Investitionen in die Infrastruktur, seien es Straßen, Schienenwege, Brücken oder Häfen, anstehen. Diese Bauwerke haben eine Lebensdauer von vielen Jahrzehnten. Ein Autobahnsystem zum Beispiel, das die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern nicht nur verstärkt, sondern auf lange Zeit festschreibt, gießt den Footprint gleichsam in Beton. Ein Umsteuern ist dann kaum noch möglich. So entstehen Investitionsfallen – oder „stranded assets“ (gestrandete Güter) wie es auf Englisch genannt wird.

      Gehen Sie mal ins Zentrum Ihrer Stadt und suchen sich einen angenehmen Ort zum Verweilen.13 Schauen Sie sich ruhig um. Die Menschen, die Häuser, die Autos werden Ihnen bekannt vorkommen. Nun versuchen Sie, eine andere Perspektive einzunehmen, und zwar entlang der Frage: Wo überall ist Energie enthalten? Natürlich in der Beleuchtung, in der Heizung oder Kühlung oder beim Transport. In Wasserpumpen, Fahrstühlen und einer unübersehbaren Anzahl von Haushalts- und Bürogeräten. Darüber hinaus gibt es viele Dinge, worin Energie gespeichert ist, ohne dass sie sofort sichtbar würde. Um Beton herzustellen, braucht es beispielsweise eine Menge davon. Das Gleiche gilt für das Glas der Schaufensterscheiben oder den Stahl, aus dem die Fahrzeuge gefertigt sind. All diese Energie nutzen wir, meist ohne daran zu denken. Der Footprint aber vergisst sie nicht.

      Und das aus gutem Grund. Wie bereits erwähnt, geht die Hälfte des globalen Footprint der Menschheit auf das Konto der fossilen Energie. Davon wiederum wird ein Großteil von urbanen Zentren und ihren Transportsystemen verbraucht, von denen die meisten in Städten beginnen und dort enden.

      In Nordamerika zum Beispiel legen Nahrungsmittel im Schnitt mehr als 2 000 Kilometer von der Farm bis auf den Teller zurück.14 Industrialisierte Landwirtschaft ist dabei energieintensiv in jeder nur denkbaren Hinsicht. Traktoren brauchen Diesel. Kunstdünger wird aus fossilem Gas gewonnen. Pestizide und Herbizide werden aus Öl synthetisiert. Landwirtschaftliche Güter werden in Plastik eingeschweißt, sie werden gekühlt und wieder erhitzt – größtenteils mit fossiler Energie. So verbraucht jede Kalorie Essen, die uns dann in den Supermärkten der Städte angeboten wird, durchschnittlich 7-9 Kalorien Fossilenergie für die Produktion, Verteilung und Zubereitung.

      Große Mengen Energie gehen auch beim Weg morgens in die Stadt hinein und abends wieder heraus verloren.15 Suburbia, der Traum vom Leben auf dem Land und Arbeiten in der Stadt, hat Unmengen an Ackerland und Waldgebieten verschlungen. Über die vergangenen Jahrzehnte sind viele Städte regelrecht ausgeufert. Zersiedelung ist insbesondere für Städte mit wachsendem Wohlstand typisch. Dabei übertrifft die räumliche Ausdehnung das Wachstum der Bevölkerung deutlich. New York zum Beispiel hat in den vergangenen 25 Jahren rund fünf Prozent mehr Einwohner gewonnen, die besiedelte Fläche ist


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