Footprint. Bert Beyers
den, der Ressourcen erneuern kann.
Beispiel fossile Energie: Seit der industriellen Revolution greift der Mensch massiv auf die natürlichen Vorräte von Kohle, Öl und Gas zurück; dabei handelt es sich um nicht-erneuerbare, genauer: nur in gewaltigen Zeiträumen erneuerbare Ressourcen. Er holt sie aus der Erdkruste und bringt sie an die Oberfläche und damit in die Biosphäre ein. Bei den Berechnungen des Footprint spielt die Menge an Kohle oder Öl selber keine direkte Rolle. Sie ist ja nicht Teil der lebendigen Natur, sondern über Jahrmillionen entstanden, und eher ein Wertgegenstand, wie ein Stück Gold oder ein Gemälde von Picasso. Die Nutzung der Kohle oder des Öls aber braucht Natur. Das misst der Footprint. Wenn diese Mengen fossiler Energieträger verbrannt werden, wird Kohlendioxid freigesetzt. Damit muss die Biosphäre fertig werden, denn dies ist neues Kohlendioxid, das nicht bereits in den natürlichen Kreisläufen zirkuliert. Damit die Konzentration des Kohlendioxids in der Atmosphäre nicht ansteigt und langfristig das Klima destabilisiert, sollte es wieder entfernt werden – was bislang jedoch nur marginal geschieht. Die Aufgabe wird vielmehr der Natur überlassen. Ein guter Teil des überschüssigen Kohlendioxids wird mittlerweile von den Ozeanen aufgenommen (die dadurch weiter übersäuern), aber der Rest muss von Ökosystemen an Land absorbiert werden. Sonst bleibt es in der Atmosphäre zurück. Die Methode fragt daher: Wie viel Fläche, wie viel Wald ist notwendig, um die Restmenge an Kohlendioxid zu absorbieren? Forschungen belegen, dass ein durchschnittlicher Hektar Wald auf diesem Planeten, der im Sinne des Klimaschutzes bewirtschaftet wird, jährlich etwa die Menge Kohlendioxid aufnehmen kann, die bei der Verbrennung von 1 500 Litern Öl freigesetzt wird.3
Verfügbare Biokapazität
in globale Hektar pro Person nach Ländern
Daten von 2011
In den vergangenen 200 Jahren hat der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre um rund ein Drittel zugenommen von 270 ppm auf über 400 ppm. Offensichtlich setzen wir nicht genug biologische Kapazität auf unserem Planeten ein – vor allem Wälder und Ozeane –, um die Verbrennungsrückstände in eben der Geschwindigkeit abzubauen, wie sie erzeugt werden. Theoretisch gäbe es dafür zwar immer noch ausreichend Fläche, aber dann könnten wir deutlich weniger Biokapazität für anderes einsetzen: Essen, Fasern, Brennholz, Stadtflächen. 2011 besetzte der weltweite Carbon Footprint allein 85 Prozent der Biokapazität des Planeten. Da bleibt nicht mehr viel für alles andere.
Ähnlich ist es mit anderen nicht-regenerativen Rohstoffen wie Stahl, Kupfer oder Mineralien. Diese Stoffe sind nur begrenzt Teile der lebendigen Natur. Die meisten mineralischen Substanzen entnehmen wir der Erdkruste. Um sie zu konzentrieren und zu verarbeiten, benötigen wir die Dienste der Natur. Der Footprint berücksichtigt diese Substanzen daher, in dem er die Menge an Energie, die bei der Gewinnung, beim Transport und bei der Verarbeitung anfällt, bilanziert. Das ist die Rechnung, die wir der Natur stellen. Damit sind wir wieder beim Kohlendioxid. Und bei der Biokapazität, die erforderlich ist, um eine bestimmte Menge Kohlenstoff mit Hilfe der Photosynthese in fester Biomasse zu binden. Mit anderen Worten, mineralische Substanzen und Erze sind Wertgegenstände, wie Gold oder Aktien, nur benötigen sie im Gebrauch zusätzliche Energie. Auch die kostet Biokapazität.
Lange wurde den nicht-erneuerbaren Ressourcen des Naturkapitals die meiste Aufmerksamkeit geschenkt. Der wichtigste Grund dafür war die Einsicht, dass die Vorräte an fossilen Energieträgern, aber auch an bestimmten Erzen und Mineralien, endlich sind, früher oder später erschöpft sein werden oder nur noch in geringer Konzentration vorliegen und damit schwer zu fördern sind. Die Sorge ist verständlich, da die industriellen Produktionsprozesse auf diese Stoffe angewiesen sind. Und einige Stoffe sind tatsächlich schon knapp. Erst in jüngster Zeit rückt aber die Tatsache in den Vordergrund, dass die erneuerbaren Ressourcen mit ihren lebensunterstützenden Funktionen noch stärker gefährdet sind.4
Erneuerbare Ressourcen – Wälder, Fischpopulationen, Feuchtgebiete – können durch Übernutzung zur Gänze aufgebraucht werden. Und zwar dann, wenn der Mensch die erneuerbaren Ressourcen schneller ausbeutet, als sie sich regenerieren können. Während die nicht-erneuerbaren Ressourcen für die direkte Erhaltung des Lebens geringere Bedeutung haben, sind die erneuerbaren Ressourcen eine conditio sine qua non für die Existenz allen Lebens auf der Erde. Aus diesem Grund stellen gerade die erneuerbaren Ressourcen, und damit auch das Regenerationspotenzial der Biosphäre insgesamt, den eigentlich limitierenden Faktor dar, um menschliches Leben und Wohlergehen aufrecht zu erhalten. Dasselbe gilt für die mehr als zehn Millionen Tier- und Pflanzenarten auf der Welt.
Wir sehen die Welt also wie einen Bauernhof. Wie groß ist er? Wie viel gibt er her? Was brauchen wir im Vergleich zur Produktion des Bauernhofs? Bauern denken auch in Fläche – es sind eben diese Flächen, die die ökologischen Dienstleistungen bereitstellen.
Die Sicht des Bauern auf die Natur übersetzt sich in ein wissenschaftliches Buchhaltungssystem. Hinter der Footprint-Methode steht ein Gerüst, das Millionen von Zahlen, die mit Hilfe von Satelliten, Handelsstatistiken, Volkszählungen und Fragebögen gewonnen werden, zusammenführt. Seit dem Jahr 1961 erheben die Vereinten Nationen für den Globus komplette Datensätze. Von diesem Zeitpunkt an kann der Footprint von Nationen konsistent berechnet werden. Das geschieht heute für alle 220 Länder der UN-Statistiken. Für jedes einzelne Land benötigt die Methode derzeit rund 6 000 Daten. Und zwar jährlich. Auf diese Weise ergibt sich für jedes Land auch ein Footprint-Wert für den durchschnittlichen Verbrauch seiner Bewohner, außerdem eine Berechnung der Naturkapazität des Landes.
Noch einmal: Wie viel Biokapazität braucht ein Mensch? Diese Frage lässt sich im statistischen Sinne heute zwar immer genauer beantworten, eines wissen wir aber mit Gewissheit: dass die Resultate aufgrund der Komplexität der Realität ungenau sind. Sie zeigen zwar in die richtige Richtung, können überprüft und verbessert werden, absolut präzise sind sie aber nicht. Und doch sind sie die besten verfügbaren Antworten auf unsere Fragen. Global Footprint Network, seine Partnerorganisationen und andere Institutionen arbeiten stetig an der wissenschaftlichen Verbesserung. In der Folge werden die Ergebnisse immer verlässlicher.
Die Ergebnisse für 20115 haben eine überaus große Bandbreite. Sie repräsentieren den „globalen Bauernhof“ – Wald, Fischgründe, Weide und Ackerfläche –, der nötig ist, um den Ressourcenverbrauch zu stillen und die Abfälle aufzunehmen. Somit liegt der durchschnittliche Footprint eines Menschen aus Haiti – ein Land, dessen ökologischer Kollaps von wirtschaftlicher Turbulenz und heftigen politischen Erschütterungen begleitet wurde – bei 0,54 globalen Hektar6. Die Nachfrage nach Biokapazität im krisengeschüttelten Afrika beträgt 1,2 globale Hektar pro Person. Ein Deutscher dagegen nutzt 4,4, ein Franzose 4,2, ein Amerikaner 6,8 und ein Bewohner der Vereinigten Arabischen Emirate 8,1 globale Hektar.
Im Internet gibt es eine Reihe von Footprint-Rechnern7, mit deren Hilfe man ohne großen Aufwand seinen eigenen Footprint ermitteln kann. Ähnlich wie bei einem Quiz antwortet man auf Fragen nach der eigenen Ernährung – zum Beispiel wie oft man in der Woche Fleisch isst –, nach den Wohnbedingungen und nach Mobilitätsgewohnheiten.8 Der Footprint für einen Einzelnen lässt sich mit diesen Indizien grob abstecken.
Die Methode ist aber nicht nur auf Lebensstile anwendbar, sondern ebenso auf alle möglichen Aktivitäten, Produkte und Dienstleistungen, vom Frühstück bis zur Flugreise – insgesamt vollständig skalierbar.
Der Footprint eröffnet dabei eine neue Wahrnehmung. Wir sehen, was die Dinge, die wir Tag für Tag benötigen, die uns ein reiches und erfülltes Leben ermöglichen, tatsächlich „kosten“, wie viel Biokapazität in ihnen steckt. Unser Dasein ist dabei direkt mit der ökologischen Kapazität des Planeten verknüpft. Aus dieser Perspektive sind Material- und Energieflüsse nicht irgendwo da draußen, jenseits der ökonomischen Sphäre. Vielmehr verstehen wir das menschliche Leben und die Wirtschaft als Teilsystem der