Ich, eine schlechte Mutter. Marguerite Andersen
Sie hieß Clémentine. Eine Korsin, in Schwarz gekleidete Witwe, klein, stolz, Postangestellte, energisch und dünnhäutig.
Alt, wie mir schien.
Sie brachte ihren Sohn Jean und mich, die schwangere Schwiegertochter, in ihrer Wohnung in der Rue de Bretagne Nr. 43 unter, klein, beengt, mit abgenutzten Möbeln aus lackiertem Holz.
Morgens reicht mir Clémentine ein Glas Pferdeblut, gut für die werdende Mutter, sobald ich huste – nur ein ganz klein wenig, während dieses verregneten Frühlings –, bietet sie an, mich zu schröpfen. Um sie nicht zu kränken, lasse ich sie machen.
Sie hingegen macht sich über mein Verlangen nach heißen Bädern lustig:
– Also wirklich, Marguerite, Sie haben sich an Luxus und Verschwendung gewöhnt!
Ich mag es nicht, wenn man mich ein verzogenes Kind nennt.
Meine Eltern zählten niemals zu den Reichen.
Ich halte etwas Abstand. Bemühe mich, nicht zu viel Platz einzunehmen. Lächle höflich. Schweige.
Schweige auch dann, als die alte Frau mit einem lebenden, an den Beinen gefesselten Huhn vom Markt zurückkommt, Anstalten macht, dem sichtlich nervösen Vogel die Kehle durchzuschneiden, mich bittet, den Teller voller fein gehackter Zwiebeln zu halten, um das Blut aufzufangen:
– Das gibt einen feinen Braten!
Schweige immer noch, als Mutter und Sohn über das enthauptete Tier lachen, das in der engen Küche hin und her rennt.
– Fang’s doch ein, ruft mir der Sohn zu.
Ich lächle nicht mehr.
Nein! Nicht dass mir die Worte fehlten.
Ich habe Angst, das, was ich sagen möchte, herauszuschreien.
Durch das Meer von allem getrennt, was ich kenne,
fürchte ich die unbekannte Zukunft
den Mann, von dem jetzt
mein tägliches Leben abhängt
die alte Frau, über die er zu mir sagt,
sie könne in Rage geraten, »wenn es sie überkommt«.
Es – was soll das sein?
Das Kind wird in meine Ungewissheit hineingeboren werden.
PRESSEN SIE, MADAME!
Juni 1946. Ich liege auf einem gynäkologischen Tisch im Kreißsaal der Klinik Saint-Augustin, jenes Heiligen, der die Frauen für ewig gesegnet hielt.
Um mich herum ist alles weiß:
die Wände
die Decken
die Türen
die Rahmen der Fenster und ihre Vorhänge
die Betten und ihre Laken
die Tracht der Nonnen
Krankenschwestern und Hebammen
alles strahlend weiß
das OP-Besteck aus Edelstahl klirrt.
Mir ist kalt.
Die Hebamme hält meine Hand, der Geburtshelfer lässt sich auf einem Hocker zwischen meinen Beinen nieder, die an Steigbügeln befestigt sind.
Ich bin die Gebärende.
– Pressen Sie, Madame, sagt die Hebamme, pressen Sie!
Was denn pressen?
Niemand hat mir den Mechanismus der Niederkunft erklärt. Wehen, Dehnung, Austreibung, Nachgeburt …
Ich habe davon keine Ahnung.
– Pressen, pressen!
Ich würde gern schlafen.
Aber schon gleitet das Kind aus mir heraus, ich höre es schreien. Man trennt die Nabelschnur durch, wiegt das Neugeborene, säubert es von allen möglichen schleimigen Substanzen, wickelt es, legt es mir in den Arm und verkündet, es sei ein Junge, nimmt es mir wieder weg, legt es in ein weißes Bettchen. Der Arme. Ob ihm von diesem ganzen Hokuspokus schwindlig wird?
– Alles in Ordnung, Madame, sagt der Arzt, bevor er geht.
Nun bin ich allein, in einem Zimmer, in einem Bett. Ich fühle mich leicht, in meinem Bauch steckt niemand anderes mehr. Neun Monate sind verstrichen. Mein Körper gehört wieder ganz mir selbst.
Aber bin ich wirklich allein?
Nein.
Neben meinem Bett ist ein Bettchen, ein Baby, ein Kind, mein Kind, mein Sohn.
Ich setze mich auf, beuge mich leicht über das Nachbarbett, betrachte das kleine Männlein, das aus mir hervorgekommen ist.
So ist das also, ein Kind zu haben?
Schwarzer Schopf. Das Gesicht etwas rötlich. Er ruht sich aus.
Atmet. Schläft. Wovon träumt er?
Kann er schon träumen?
Ich berühre seine Finger.
Er nimmt von mir keine Kenntnis.
Ich war vierzehn, als Christa ihr erstes Kind bekam, ich habe gesehen, wie sie es versorgt hat, ich werde meins auch versorgen können. Eine Zeitlang. Ein paar Jahre lang. Zwanzig?
Lange, so viel ist klar.
Eindeutig, meine Dame.
Jetzt bin ich Mutter. Endgültig. Unwiderruflich Mutter, ein Leben lang.
Eine Art nie gekannter Sanftmut kommt in mir auf.
Dabei habe ich Angst, ihn zu berühren.
Angst und Lust. Angst, ihm weh zu tun, Lust, ihn kennenzulernen.
Ich habe es ja nicht eilig. Wir haben Zeit. Er und ich.
Wir werden gemeinsam leben.
Ich drehe den Kopf zum Fenster.
Alleen, Zierbecken, Rasenflächen. Der Belvédère-Park.
Pinien, niedrige Palmen, hohe Palmen, Eukalyptus, überall Blumen, dicke Büschel von scharlachroten Bougainvilleen und rosa Oleander. Hügel in der Ferne. Der Himmel noch blau. Bald bricht die Nacht mit ihren Sternen herein … Schlafen.
Ich weiß gar nicht, was mich erwartet: ein mühsames Leben in einer Sprache, die noch nicht die meine ist, in einem Umfeld von Kolonialherrschaft, in einem Land, das sich durch seine blendend weiße Architektur auszeichnet, hervorgehoben vom Blau der Nageltüren und der Maschrabiyya aus himmelfarbenem Schmiedeeisen. Ein Land, das ich mangels Zeit und Geld nicht erkunden werde, nein, ich muss mich um das Kind kümmern, den Haushalt, die Wäsche, sie auf der Terrasse aufhängen, unter dem immerblauen Himmel, mich kurz an den Ausblick auf die weiße Stadt erfreuen, schnell wieder runtergehen, zum Markt im Zentrum eilen, während der Kleine schläft, die Fülle an Obst und Gemüse bewundern, davon das billigste kaufen, mit einem voll beladenen Korb heimeilen, das Mittagessen zubereiten und es dem Mann servieren, der aus dem Büro gekommen ist, das Geschirr spülen, dem Kind die Windel wechseln, es ins Bett bringen, mit dem Mann Mittagsschlaf halten, die Wäsche holen, die Hemden dieses Mannes bügeln, zwei pro Tag, mit Metalleisen, die auf dem Gasherd angewärmt werden, wieder und immer wieder dem Kind die Windeln wechseln, es im Kinderwagen spazieren fahren, es entlang der Avenue Jules-Ferry schieben, die bei der Befreiung zur Avenue Habib-Bourguiba werden wird, bis zum herrlichen Grünstreifen, der den Blumenhändlern vorbehalten ist – mir kauft keiner Blumen –, zügig nach Hause zurückkehren, das Abendessen zubereiten und servieren, das Geschirr spülen, es einräumen, das Kind ins Bett bringen, müde einschlafen, nach der Liebe, auf die ich oft keine Lust habe, morgens aufstehen, voller Energie, das ja, aber überfordert angesichts der vielen alltäglichen