Palliativ & Zeiterleben. Группа авторов

Palliativ & Zeiterleben - Группа авторов


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Tanja, Prof. Dr. rer. nat.

      Technische Universität München

      Fakultät für Architektur

      Architekturpsychologie am Lehrstuhl für Raumkunst

      und Lichtgestaltung

      Arcisstraße 21

      80333 München

      E-Mail: [email protected]

      Voltz, Raymond, Prof. Dr. med.

      Zentrum für Palliativmedizin Uniklinik Köln

      Kerpener Straße 62

      50937 Köln

      E-Mail: [email protected]

      Wittmann, Marc, lic. phil. Dr. rer. biol. hum. PD Dr. habil. med.

      Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene

      Wilhelmstr. 3a

      79098 Freiburg

      E-Mail: [email protected]

      Vorwort

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      »Eins, zwei, drei im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit.« Wilhelm Busch 1877

      »Nichts […] ist unser wahres Eigentum außer der Zeit.« Lucius Annaeus Seneca 62 n. Chr.

      »Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel, sondern wir schaffen sie selbst; sie liegt in unseren Herzen eingeschlossen.« Fjodor Dostojewskij 1880

      Wesentliche Prinzipien der Palliativversorgung und Hospizarbeit bestehen darin, die Bedürfnisse von Patienten und ihren Angehörigen in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen mit einem ganzheitlichen Angebot an Hilfen zu begegnen – diese Aussage ist zwar korrekt, trifft aber nicht den wesentlichen Inhalt. Eine ganzheitliche multiprofessionelle Begleitung von Menschen sollte eigentlich das Ziel jeder Art von Gesundheitsversorgung in allen Lebenslagen sein, obwohl Palliativversorgung und Hospizarbeit diesbezüglich selbstbervständlich mit gutem Beispiel vorangehen können. Der »weiße Elefant« im Raum, das, was oft ignoriert oder bewusst verdrängt wird, ist jedoch die durch eine Krankheit so offensichtlich bewusst gewordene Begrenzung der eigenen Lebenszeit.

      Die Zeit und ihre Begrenztheit ist der Kern der Palliativ- und Hospizarbeit. Das Anerkennen der begrenzten Zeit und die offene Auseinandersetzung damit bestimmen das Leben der Patienten und die daraus resultierenden Therapieentscheidungen und Wünsche, insbesondere den, die letzte Lebenszeit so gut wie möglich zu verbringen. Sie bestimmt aber auch die Haltung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter. »Time is of the essence« (engl. Redewendung) oder »Die Zeit ist selbst ein Element« wie Goethe 1823 formulierte.

      Wie aber erleben wir die Zeit? Im Alltag sind wir durch die uns alle synchronisierende Uhrzeit getaktet, hetzen von Termin zu Termin, haben keine Zeit, versuchen, mit Achtsamkeitsübungen wieder Zeit zu spüren. Dabei erleben wir Zeit sehr unterschiedlich: im Stau auf der Autobahn vergeht die Zeit sehr langsam, dagegen ist schon wieder ein Jahr vergangen und das Zeiterleben unserer Kinder ist wieder ein anderes.

      Was bestimmt also unser Zeiterleben? Hierzu haben die Neurowissenschaft und Psychologie in letzter Zeit Erkenntnisse und Theorien entwickelt, welche uns helfen, uns selbst besser zu verstehen. Wie lange dauert die gefühlte Gegenwart? Warum vergeht manchmal das Zeiterleben schneller und ein andermal langsamer? Aber auch Philosophie und Theologie haben hierzu ihre je eigene Sichtweise.

      So kompliziert bereits für Gesunde die Antwort auf die Frage ist, was Zeiterleben bedeutet, desto komplizierter wird es noch, wenn dieses Zeiterleben im Rahmen von Krankheitsprozessen verändert wird. Die gedrückte Stimmungslage von Menschen mit Depressionen, mit einer Verlangsamung von Handlung und Denken verändert selbstverständlich auch ihr Zeitempfinden. Was geschieht, wenn wir uns nicht mehr wirklich an gerade Geschehenes erinnern können, sondern nur noch an lang Zurückliegendes, so wie es typisch für Menschen mit demenzieller Entwicklung ist? Und schließlich natürlich im Bereich Palliativmedizin: Was bedeutet der Übergang von Gesundheit über eine potenziell heilbare Erkrankung bis zu der Erkenntnis, dass diese nicht mehr heilbar ist und das Lebensende absehbar vor einem steht? Wie verändert dies die Sichtweise von Menschen? Hier müssen wir sehr genau auf die Berichte und Erfahrungen der Betroffenen hören, weil wir als Gesunde uns dies selbstverständlich in keiner Weise vorstellen können. Aber auch wir selbst durchlaufen in der Trauerphase unterschiedliche Zeiten oder erleben Situationen so eindrücklich, dass wir uns an manche Minuten noch Jahrzehnte später gut und ganz deutlich erinnern können.

      Was bedeutet das nun für unseren Umgang mit der Zeit? Wie gehen wir mit unserer eigenen Lebenszeit um? Welche Konflikte entstehen möglicherweise, wenn unterschiedliches Zeiterleben von betroffenen Patienten und gesunden Helfern aufeinandertreffen? Lassen sich Konflikte manches Mal vielleicht durch das Bewusstmachen unterschiedlichen Zeiterlebens erklären und dadurch sogar lösen? Welche kulturellen Unterschiede im Umgang mit der Zeit sind für unsere praktische Tätigkeit relevant? Und schließlich: Können wir in unserer immer effizienter werdenden Zeit für uns selbst einen guten Umgang mit der eigenen Zeit finden? Wo kann uns vielleicht unsere eigene Spiritualität dabei eine Ressource sein?

      Natürlich hat die derzeitige Corona-Pandemie auf viele Aspekte des Zeiterlebens und auf uns alle sehr unterschiedliche Auswirkungen. Ein verstärktes Bewusstsein der eigenen Endlichkeit, eine geringere äußere Taktung im »gesunden« Leben, körperliche Distanz in Krankheit, Todesnähe und in der Trauer, um nur wenige Aspekte zu nennen. Das Buch wurde vor der Pandemie konzipiert und kann und will daher nicht Aspekte beleuchten, die wir voraussichtlich auch erst mit mehr Abstand umfassend verstehen werden.

      Wir alle gehen mit derartigen Herausforderungen und auch dem Thema Zeit unterschiedlich um – von kognitiv-wissenschaftlich bis visuell-emotional. Darf Humor auch bei begrenzter Zeit unserer Patienten sein? Oder empfinden dies manche als geschmacklos? Auch hier haben wir im Buch bewusst die verschiedenen Ebenen des Umgangs mit dem Thema angeschnitten.

      Wie auch immer Sie derzeit die Zeit erleben, auf wesentliche Fragen soll dieses Buch Denkanstöße und Antwortversuche geben, vielleicht können Sie damit sogar erste Antworten für sich selbst finden.

      Hermann Ewald, Kai Vogeley und Raymond Voltz

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      Was ist Zeiterleben?

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      Zeiterleben als Erleben von … Zeit: ein philosophischer Versuch

      Christian Kupke

      A 1.1 Einleitung

      Was ist Zeiterleben, oder was heißt es, Zeit zu erleben? Was erleben wir, wenn wir Zeit erleben? Wie erleben wir sie? Und welche Bedeutung hat die Gewissheit des Todes für dieses Erleben? – Bevor diese Fragen angegangen werden können, sollen zunächst Form und Status des Zeiterlebens reflektiert werden. Dabei wird sich u. a. zeigen, inwiefern sich eine philosophische von einer wissenschaftlichen Analyse des Zeiterlebens unterscheidet und was daher von der vorliegenden Darstellung, die sich als philosophische versteht, legitimerweise erwartet werden kann und was nicht.

      A 1.2 Zur Form des Zeiterlebens: seine logische Intentionalität

      Sprechen wir vom Erleben der Zeit, so sprechen wir von dem, was in der Phänomenologie als Intentionalität bezeichnet wird (vgl. Husserl 1901, S. 343 ff.): Erleben ist, logisch gesehen, ein intentionaler Akt oder, zeittheoretisch verstanden, ein intentionales Geschehen. Intentionalität bedeutet, dass jedes Erleben ein Erleben von … etwas ist. Das impliziert zwei Aspekte oder ein binäres Schema: Auf der einen Seite – man kann sie die »subjektive« Seite nennen – steht die


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