Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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      »Menschen versprechen viel«, sagte Fenrir.

      »Und manche sprechen einfach ein bisschen zu wenig«, sagte Lomir und warf Fenrir einen bösen Blick zu. Der erwiderte nichts, sondern wandte sich zum Gehen.

      »Warte!«, sagte Lomir. »Wohin willst du diesmal?«

      »Rauf auf die oberste Plattform«, sagte Fenrir. »Frische Luft atmen und nach Schiffen Ausschau halten.«

      »Und du glaubst, das Thema wäre damit beendet?«

      »Für mich ist es das.« Ohne ein weiteres Wort verschwand Fenrir treppauf und ließ Pintel und die Zwerge in der großen Halle zurück.

      »Was für Idioten!«, schrie Lomir. »Das ist doch nicht zu fassen! Mit was für Idioten bin ich eigentlich unterwegs?«

      »Der Plural gefällt mir nicht, weißt du«, sagte Nardon.

      »Was?«, sagte Lomir, aus dem Konzept gebracht. »Ach so. Anwesende natürlich ausgenommen.«

      »Oh, Götter«, sagte Pintel geknickt. »Was für ein Mist. Ich glaube, ich könnte jetzt tatsächlich auch einen Schluck Zwergenschnaps vertragen.«

      »Wende dich an Krona«, sagte Nardon. »Ich befürchte aber, du kommst zu spät.«

      »Ist vielleicht besser so«, sagte Pintel. »Ich vertrage nicht sehr viel.«

      »Was ist mit dieser Kugel?«, fragte Lomir etwas ruhiger und deutete auf den Weissager. »Können wir sie mitnehmen, und wollen wir das?«

      »Nein, und nein«, sagte Pintel. »Sie ist fest verankert. Wir müssten die Säule kaputtmachen, und dann weiß ich nicht, was passiert, wenn man sie von ihrem angestammten Platz entfernt. Es ist ein unnötiges Risiko.«

      »Schade«, sagte Lomir. »Ich hätte einen guten Preis dafür bekommen.«

      »Man kann nicht alles verkaufen, nur weil es herumsteht und keiner es braucht«, sagte Pintel.

      »Ist ja gut. War nur eine Idee. Was machen wir jetzt?«

      »Wir tragen Möbel und andere brennbare Dinge zusammen«, sagte Nardon.

      »Hä?«, sagte Lomir.

      »Leuchtfeuer auf der Turmspitze«, erklärte Nardon. »Es gibt ja wohl keinen anderen Weg von dieser Insel als mit einem Schiff. Na ja, und irgendwie muss es doch erfahren, dass es anhalten soll.«

      »Logisch, wie immer«, sagte Lomir. »Gute Idee. Ein bisschen Möbelrücken wird mich von meinem Zorn ablenken.«

      Am Morgen des zwölften November entdeckte Kapitän Dellinger Eisensporn, der mit einem Laderaum voller Steckrüben von Lichtenau nach Bergen unterwegs war, zu seiner Überraschung ein Leuchtfeuer auf dem Turm der angeblich verlassenen Festung Sturmwacht. Einige Stunden später nahm er eine Truppe an Bord, die skurriler nicht hätte sein können: ein kleiner, niedergeschlagen wirkender Mann, ein großer Mensch mit unruhigem Blick, eine Kriegerin, die offensichtlich an den Nachwirkungen eines fürchterlichen Vollrausches litt und zwei Zwerge, an denen nichts seltsam war außer der Tatsache, dass sie ein Schiff betraten. Der eine von ihnen wartete denn auch mit einer haarsträubenden Geschichte von einer verlorenen Wette auf, Eisensporn glaubte ihm kein Wort, verbrachte aber eine vergnügliche halbe Stunde und war vollends mit seinen seltsamen Passagieren versöhnt, als der Zwerg ihm seine Dankbarkeit in klingender Münze nahe brachte.

      In Neuhafen gingen sie von Bord. Die Stadt hatte sich in einen dichten, kalten Regenschleier gehüllt, in dem sich die schmutzig weißen Möwen bewegten wie dicke Fische. Fenrir hatte die gesamte Fahrt über geschwiegen. Jetzt näherte er sich Krona, die unsicheren Fußes über die schwankende Planke an Land kletterte.

      »Geht es dir gut?«, fragte er und fasste sie am Arm, um ihr bei den letzten Schritten zu helfen.

      »Prima«, knurrte Krona, den Rucksack über einer Schulter, und drehte sich um sich selbst, während sie nach dem zweiten Riemen angelte.

      »Du warst ziemlich betrunken«, sagte Fenrir und hielt ihr den Riemen hin.

      »Das kommt gelegentlich vor«, sagte Krona.

      »Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach für dich war.«

      »Was genau meinst du?«, fragte Krona und setzte sich in Bewegung, um den Anschluss an die Zwerge nicht zu verlieren.

      »Ich meine diese Sache mit Karcharoth«, sagte Fenrir.

      »Ach was.« Krona machte eine fahrige Handbewegung. »Da ist nichts, was ich nicht unter den Tisch trinken könnte.«

      »Du könntest auch versuchen, darüber zu sprechen.«

      »Und mit wem? Mit dir ausgerechnet, dem ich das Ganze überhaupt zu verdanken habe?«

      Sie verließen die Hafenmauer und bogen, den Zwergen folgend, in eine breite, belebte Straße ein.

      »Ich wusste es nicht«, sagte Fenrir. »Und selbst wenn: Hätte ich es gesagt, und hätte Pintel erkannt, dass ich ungeeignet bin, wäre es trotzdem an dir gewesen, das Medium zu sein.«

      »Das ist das Dämlichste, was ich je gehört habe!«, schrie Krona. Pintel einige Schritte vor ihr drehte sich zu ihr um, wurde aber von Lomir am Ärmel weiter gezogen. »Dir ist schon klar, dass es einen Unterschied macht, ob ich mir das selbst aussuche, oder ob ich vergewaltigt werde?«, fauchte sie mit gesenkter Stimme, aber unvermindertem Zorn.

      »Ich wusste es nicht«, wiederholte Fenrir. »Ich bin es nicht gewohnt, über … meine Natur zu sprechen.«

      Krona wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, auf das der feine Nieselregen ein Netz aus winzigen Tröpfchen legte. »Siehst du«, sagte sie. »Vielleicht ist es gerade das, was ich dir am meisten übel nehme. Dass du nie etwas gesagt hast. Bist einfach abends vom Lager verschwunden und morgens wieder aufgetaucht. Ich hab mir damals schon meinen Teil gedacht, aber wer kommt denn schon auf so etwas?! Götter! Mit wem war ich eigentlich unterwegs in diesem Wald? Was bist du eigentlich? Ein Mensch, der sich in ein Tier verwandeln kann oder umgekehrt? Oh, Götter! Ich darf gar nicht so genau darüber nachdenken! Ich hätte zu allem Überfluss noch mit dir geschlafen, wenn du dich darauf eingelassen hättest!«

      »Und was hätte sich dadurch geändert?«, fragte Fenrir ruhig.

      »Ich weiß nicht«, sagte Krona, hob die Hände und ließ sie wieder fallen. »Ich meine, du bist ein … ein … Wolf, oder was auch immer!«

      »Ich denke, du hast soeben eine recht vollständige Zusammenfassung der Gründe gegeben, warum ich nur über meine Natur spreche, wenn es sich nicht vermeiden lässt«, sagte Fenrir.

      »Hä«, sagte Krona und blieb stehen, als allmählich ihr Zorn von Bestürzung abgelöst wurde. »Oh«, sagte sie nach einer Weile. »Ich verstehe. Glaube ich zumindest.«

      Fenrir nickte und wartete, bis sie sich wieder in Bewegung setzte.

      »Ich brauche einfach etwas Zeit, um mich an den Gedanken zu gewöhnen«, sagte sie. »Ich nehme an, das geht vielen so. Du solltest es deiner Umgebung einfach etwas schonender beibringen.«

      »Du sprichst, als handelte es sich um einen Makel.«

      »Verdammt! Mir scheint, ich mache es nur noch schlimmer. Ich meine es nicht böse, verstanden? Ich meine nicht, dass es ein Makel ist oder irgendetwas, wofür du dich entschuldigen müsstest. Falls ich mich so geäußert haben sollte, tut es mir leid.«

      »Schon gut. Ich bin dir nicht böse.«

      »Momentchen«, sagte Krona. »Was ist eigentlich hier passiert? Ich habe den Schaden, und du bist mir nicht böse? Wie kommst du eigentlich dazu, sag mal?«

      »Du hast keinen Schaden, Hauptmann«, sagte Fenrir vergnügt und klopfte Krona auf die Schulter. »Keinen allzu großen, zumindest.«

      Lomir hatte auf einer Unterbringung im Gasthof Zum blauen Boot bestanden, nicht die billigste Adresse am Platz, aber die einzige, die eigens für Zwerge eingerichtete Zimmer anbot.


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