Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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entschlüsseln könnte«, sagte Karcharoth. »Ganz zum Schluss, als die Entscheidung des Rates gefallen war, fügte ich noch einige hinzu. Ich konnte nicht zulassen, dass meine Schöpfung auf diese Weise dem weiteren Schicksal der Welt entzogen wird! Ich wusste, sie würden das Herzstück besonders sorgfältig vergraben. Sie würden einen besonders tiefen, dunklen Winkel aussuchen und tödliche Fallen errichten. Ich ließ den Markstein schlafen, bis einer der Schädel gefunden würde. Sie stehen auf eine Art und Weise in Verbindung, die Euch nicht zu interessieren hat. In der Zwischenzeit ist er erwacht, sein Gegenzauber entschärft die Fallen und wird dafür sorgen, dass jemand ihn aus seinem Gefängnis befreit, und das Spiel kann von neuem beginnen.«

      »Oh«, sagte der kleine Mann im Beschwörungszirkel erstaunt, »ich, äh – ich sehe den Markstein. Vor meinem inneren Auge, meine ich. Wie …?«

      »Ich erlaubte mir, Euch ein Bild zu schicken«, sagte Karcharoth. »Es ist mein ureigenes Interesse, mein Werk vereint zu sehen. Ihr vollendet womöglich, wozu mir die Zeit fehlte.«

      »Ich will Euch nicht zu nahe treten«, sagte der kleine Mann, »aber das sollte nicht sein. Ich meine, schließlich habe ich Euch beschworen und nicht umgekehrt. Ihr hättet zumindest fragen können. Der Höflichkeit halber.«

      »Ihr werdet nicht ernsthaft von einem Toten Höflichkeit erwarten«, sagte Karcharoth. Die geliehene Stimme gab seinen Zynismus nur unzureichend wieder, aber es genügte, um das mentale Band, das der kleine Mann aufrecht hielt, bis zum Zerreißen anzuspannen.

      »Sieh in den Weissager, kleiner Zauberer«, sagte Karcharoth. »Er gibt dir Aufschluss über den Weg des Marksteins. Falls er noch funktioniert. Oder, noch genauer, falls er wieder funktioniert. Der Rat hat es selbstverständlich nicht versäumt, einen Bann über ihn zu legen, so dass ich ihn nicht benutzen konnte.«

      »Aber ich kenne mich nicht aus mit solchen … Götter! Ich kenne mich aus! Ich weiß, wie … Meister Karcharoth! Ihr sollt nicht … Oh, Götter! Das ist toll!«

      »Ihr habt mich gerufen, damit ich Euch diene«, sagte Karcharoth mit wölfischem Lächeln. »Und ich diene Euch auf jede erdenkliche Art.«

      »Ja«, sagte der kleine Zauberer. »Äh … danke. Und nun wollen wir Eure ewige Ruhe nicht länger stören. Es wird wirklich Zeit, dass Ihr uns verlasst.«

      »Wird es?«, fragte Karcharoth. »Warum?«

      »Weil, äh … nun ja, dieser Körper gehört einem anderen, und er möchte ihn gerne zurückhaben – sie, genau genommen …«

      »Was immer sie ist, ihre Qualitäten als Verbündete sind ärmlich gegen die meinen. Ihr sucht Macht? Nun, Ihr habt sie gefunden.«

      »Verbindlichen Dank«, sagte der Zwerg, »aber wir verbünden uns nicht mit toten Leuten. Nehmt es nicht persönlich.«

      »Skrupel?«

      »Ordnungsliebe.«

      »Beschränktheit«, korrigierte Karcharoth.

      »Ihr wisst, Ihr könnt nicht unter den Lebenden verweilen«, sagte der kleine Zauberer. »Euer Platz ist bei den Toten.«

      »Niemand hat es bisher versucht«, sagte Karcharoth. »Niemand hatte bisher den Mut, es zu versuchen.«

      »Und Ihr werdet nicht der erste sein, denn ich schicke Euch nun zurück.« Karcharoth spürte, wie der kleine Zauberer ihm seinen Willen entgegen stemmte. Er wich ein wenig zurück, tiefer in den Körper seines Gastgebers, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.

      Da sind Schmerzen. Dieser Körper ist beschädigt.

      Karcharoth zuckte zusammen. Das Gefühl war ungewohnt, so lange hatte er ohne einen Körper existiert, die Erinnerung traf ihn mit Macht und brachte ihn ins Wanken.

      Ich habe Jahre so verbracht. Schmerz. Hunger, Müdigkeit, Gelenksteife. Kurzsichtigkeit. Schmerzen beim Wasserlassen. Vergesslichkeit. Altersschwäche. Ein Gefäß, das immer weiter zerfällt, das Geist und Willen und Scharfsinn ausströmen lässt wie Wasser aus einem löchrigen Eimer.

      Und plötzlich war da neben dem Willen des Zauberers ein zweiter, der sich gegen ihn warf, getrieben von Panik und maßloser Wut, eine brutale Aggression wurde ihm entgegen geschleudert, die ihn in seinem ohnehin schwankenden Stand taumeln und zurückweichen ließ, er verlor den Halt in seinem Gastkörper, und dann lag der Körper plötzlich unter ihm, reglos und so zerbrechlich, er verharrte einen Augenblick, um ihn zu betrachten, kann es wirklich erstrebenswert sein, eine so unzureichende Hülle zu bewohnen? Er entfernte sich, verspürte eine plötzliche Sehnsucht nach einem Ort, an dem es keinen körperlichen Verfall gab, und da war wieder ein Licht, er bewegte sich darauf zu und wurde von ihm aufgenommen, und seine Verbindung zu den Lebenden riss ab.

      »Puh«, sagte Lomir. »Das war knapp.«

      »Das war ein Debakel«, korrigierte Nardon.

      »Wieso? Wir haben mehr Informationen, als wir zu hoffen gewagt hatten.«

      »Wieso?«, rief Nardon und warf in einem seiner seltenen Temperamentsausbrüche die Hände in die Luft. »Siehst du dich mal um, mein Freund? Wir sind die Einzigen, die noch aufrecht stehen!«

      »Du kannst nicht sagen, dass Fenrir nicht mehr aufrecht steht«, versuchte Lomir den Schaden einzuschränken.

      »Fenrir, mein Freund«, Nardon betonte jedes Wort, »hat sich vor meinen Augen in einen Wolf verwandelt und ist zur Tür hinaus! Das nenne ich nicht mehr aufrecht stehen!«

      »Hm«, sagte Lomir. »In der Tat. Das hat mich auch erstaunt.«

      »Erstaunt?!«

      Lomir trat zu Fenrirs Ausrüstung, die mitsamt seiner Kleidung auf dem Boden lag wie die leere, abgestreifte Haut einer Schlange.

      »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte er und berührte vorsichtig mit der Stiefelspitze Fenrirs Schwert, als erwarte er, dass auch damit eine seltsame Wandlung vonstattengehen würde. »Er ist geradezu eingeschmolzen. Ich glaube, es war der Augenblick, in dem die Beschwörung vollendet war.«

      »Was zwei Möglichkeiten zulässt«, sagte Nardon etwas ruhiger. »Entweder steckte der Impuls für die Verwandlung in der Beschwörung. Oder er steckte in Fenrir selbst.«

      »Ich sage dir etwas«, sagte Lomir. »Ich glaube nicht, dass es die Beschwörung war. Was sollte denn die Beschwörung eines Geistes mit Wölfen zu tun haben? Ich glaube, es war etwas, das in Fenrir drin steckte. Hast du dich mal gefragt, wo er hingeht, wenn er sich abends für ein paar Stunden vom Lager entfernt? Ich glaube, das ist irgendwie seine Natur.«

      »Ein Gestaltwandler?«

      »Gibt es das nicht? Komm schon. Du hast doch sicher mal etwas darüber gelesen. Enttäusch mich nicht.«

      »Nichts, was ich als wissenschaftlich bezeichnen würde. Aber vielleicht kümmern wir uns erst mal um diese beiden hier. Fenrir können wir im Augenblick ohnehin nicht helfen. Wer weiß, wohin er gelaufen ist.«

      »Weit kann er nicht sein«, sagte Lomir grinsend und kramte in seinem Rucksack. »Es sei denn, er wäre der erste Wolf, der Türen öffnen kann.« Er zog die Schnapsflasche hervor und entkorkte sie. »Auf diese Art werde ich noch meinen gesamten Vorrat los«, sagte er und machte einen Schritt hinüber zu Krona, die reglos dort lag, wo sie am Ende der Beschwörung zusammengebrochen war.

      »Stop«, sagte Nardon und deutete auf Pintel, der reglos und blass in der Mitte seines Beschwörungszirkels lag. »Erst diesen hier.«

      »Wieso?«, fragte Lomir.

      »Ganz einfach«, sagte Nardon. »Ich nehme an, sie wird wütend sein, wenn sie aufwacht. Richtig wütend, und mit ihrer Selbstbeherrschung ist es ohnehin nicht weit her. Wir sollten viele sein, um unsere Chancen zu verbessern.«

      »Sagte Pintel nicht etwas davon, dass man sich an derlei möglicherweise gar nicht erinnert?«

      »Und dieses Risiko willst du eingehen?«

      »Na gut«, sagte Lomir. »Ist sowieso egal.«

      Bereits


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