Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


Скачать книгу
oder von den Möwen gefressen.«

      »Oder zum Nestbau verwendet«, ergänzte Lomir fröhlich.

      »Seid still!« Pintel verdrehte schaudernd die Augen. »Wenn ich mir das nur vorstelle!«

      »Macht nicht so viel Aufhebens um einen Haufen Papier«, sagte Fenrir. »Kommen wir lieber zum eigentlich Wichtigen.« Er deutete über seine Schulter und machte einen Schritt zur Seite.

      Krona zuckte zusammen. Ein Bett stand unter dem Fenster, von dem noch Reste einer Strohmatratze hingen und graue Fetzen, die einmal Bettzeug gewesen sein mochten. Auf ihnen verstreut lagen braun verfärbte, fleckige Knochen und ein Totenschädel, dem der Unterkiefer fehlte.

      »Du meine Güte«, sagte Krona. »Und das ist …?«

      »Ja«, sagte Pintel traurig. »Die kümmerlichen Reste eines genialen Mannes. Fehlgeleitet, aber genial.«

      »Wer hat ihn so zugerichtet?«

      »Ratten und Möwen«, sagte Nardon. »Es finden sich überall Fraßspuren an den Knochen, und das Skelett ist auch nicht vollständig. Sie haben ihn komplett abgenagt.«

      »Woher wisst ihr dann, dass er es war?«

      Nardon holte etwas aus seiner Manteltasche und zeigte es Krona auf der ausgestreckten Handfläche. Es war ein goldener Siegelring, der ein verschlungenes K zeigte, umgeben von einem Kranz winziger Runen.

      »Wir haben dieses Zeichen auch auf seiner Korrespondenz gefunden«, berichtete Nardon. »Und dieser Ring steckte noch an einem Fingerknochen. Nachdem wir davon ausgehen können, dass mangels Interesse niemand an der Leiche manipuliert hat, ist das Beweis genug.«

      »Warum liegt er hier noch? Ich meine, warum hat man ihn nicht begraben? Das ist doch barbarisch.«

      »Laut Pintel war er zum Zeitpunkt seines Todes etwa hundertachtzig Jahre alt. Er hat damit vermutlich länger gelebt als jeder andere Mensch. Seine direkten Angehörigen, so er welche hatte, waren längst tot. Es hatte also niemand ein Interesse daran, ihn zu begraben.«

      »Was ist mit seinen Bediensteten und Lehrlingen?«

      »Die offenbar auch nicht«, sagte Nardon mit Bedauern in der Stimme. »Selbst der Arkane Rat hatte wohl längst das Interesse an ihm verloren. Die Zauberer, die sein Exil verfügt hatten, waren längst tot, und ihre Nachfolger wollten sich ganz offenbar nicht recht um diesen Altfall kümmern.«

      »Wie tragisch«, sagte Pintel, »einfach so vergessen zu werden.«

      »Tu mir einen Gefallen«, fauchte Fenrir, »und hör endlich auf mit dieser Mitleidsnummer! Der Kerl hat bekommen, was er verdient!«

      »Du kannst das nicht verstehen«, gab Pintel böse zurück. »Du bist kein Zauberer!«

      »Und ich bin froh darum, wenn es bedeutet, dass Zauberer keinen Sinn für Gerechtigkeit haben.«

      »Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun!«

      »Jungs«, sagte Krona mit erhobener Stimme. »Lasst es gut sein. Dies ist nicht der richtige Ort für einen sinnlosen Streit. Erklärt mir lieber Plan B.«

      »Plan B klingt zunächst etwas eigenartig«, sagte Lomir, nachdem Pintel fortfuhr, Fenrir böse anzufunkeln, und nicht reagierte. »Alles hab ich auch nicht verstanden, aber es läuft wohl darauf hinaus, dass wir den Hausherren selbst zu unserem Problem befragen.«

      »Wie bitte? Man muss kein Arzt sein, um zu sehen, dass der Herr hier sich zu nichts mehr äußern wird, oder?«

      »Pintel?«, sagte Lomir Hilfe suchend.

      »Was?«, fragte Pintel und unterbrach sein Duell der Blicke.

      »Plan B«, sagte Lomir.

      »Plan B in der Kurzversion für Nicht-Zauberer«, ergänzte Krona, die ahnte, was da auf sie zu kam. »Und einen Stuhl für mich. Ich muss ja vielleicht nicht stehen, wenn es nicht nötig ist.«

      »Plan B klingt zunächst etwas gruselig und erfordert erheblichen Aufwand«, begann Pintel, während Lomir Krona einen Stuhl brachte. »Er kann uns aber, wenn er funktioniert, ein großes Stück weiter bringen. Ganz davon abgesehen, dass wir im Augenblick keine anderen Ideen haben. Du erinnerst dich an die Geister im Südturm? So etwas Ähnliches wollen wir hier veranstalten. Wir wollen Karcharoths Seele beschwören.«

      »Was?!«, sagte Krona entsetzt.

      »Ausgehend davon, dass die Seele sich nicht einfach auflöst, wenn der Körper stirbt, nimmt die Zaubereitheorie an, dass sie sich nach dem Tod auf eine andere Existenzebene begibt. Die Theorie sagt, dass es eine Vielzahl verschiedener Existenzebenen gibt, die übereinander gelagert sind wie, sagen wir, ein Stapel Pfannkuchen. Nur dass in diesem Stapel jeder Pfannkuchen jeden berührt.«

      »Hä«, sagte Krona.

      »Es sind ja extradimensionale Pfannkuchen«, erklärte Pintel. »Der Grundsatz, dass Materie zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur einen bestimmten Ort einnehmen kann, gilt für sie nur bedingt, da sie ohnehin völlig ohne Materie funktionieren. Was allerdings nicht heißt, dass nicht Existenzen aus anderen Ebenen in unserer Ebene materialisieren können. Siehe die Feuerfrau.«

      »Äh«, sagte Krona. »Ist dieses – Pfannkuchen-Dings – irgendwie wichtig für Plan B?«

      »Na ja«, sagte Pintel. »Es ist die Grundlage.«

      »Wir wollen Karcharoths Seele – oder seinen Geist, wenn dir das lieber ist, von welchem Ort auch immer hierher zurückholen und ihm ein paar Fragen stellen«, fasste Nardon zusammen.

      »Laienhaft ausgedrückt«, sagte Pintel. »Und nicht sehr präzise.«

      »Danke«, sagte Krona. »Jetzt hab ich’s verstanden. Was mich zu meiner nächsten Frage bringt: Seid ihr eigentlich noch ganz bei Trost?«

      »Keiner von uns ist begeistert von dieser Sache«, sagte Nardon. »Aber wir sehen keine andere Möglichkeit. Außer, unverrichteter Dinge von dieser Insel wieder abzuziehen.«

      »Und wie soll das im Einzelnen aussehen? Ihr beschwört da so ein durchsichtiges Dings wie im Südturm?«

      »Schön wäre es«, sagte Pintel betrübt. »Das würde bedeuten, dass ich ein wirklich fähiger Zauberer wäre. So etwas herzustellen ist enorm aufwendig. Man bringt eine extradimensionale Kraft dazu, die Form bestimmter Materie anzunehmen und dann auch auf die umgebende Materie einzuwirken, sprich Töne zu erzeugen, ohne dass da ein materieller Sprechapparat wäre. Die armen Jungs im Südturm sind ja eher zufällig entstanden. Sprunghafte arkane Übertragung.«

      »Also nein«, sagte Krona.

      »Richtig.«

      »Und was dann, wenn kein durchsichtiges Dings?«

      »Er wird durch einen von uns sprechen.«

      »Wie bitte?!«

      »Es klingt erschreckender als es ist«, beeilte sich Pintel zu versichern. »Sein Geist wäre sozusagen zu Gast in einem von uns und würde seinen Sprechapparat benutzen. Das ist wesentlich einfacher, als eine Manifestation zu beschwören. Du musst wissen, dass Beschwörungen nicht mein Spezialgebiet sind. Wenn die Voraussetzungen hier nicht wirklich ideal wären, würde ich es gar nicht in Betracht ziehen. Aber hier an diesem Ort hat er so viele Jahre verbracht, hier befinden sich noch so viele seiner persönlichen Gegenstände …«

      »Manche sogar äußerst persönlich«, warf Lomir ein und deutete auf die Knochen.

      »Außerdem haben wir bereits gesehen, dass etwas an diesem Gemäuer den Geist festhält«, fuhr Pintel unbeirrt fort. »Vielleicht sind auch Reste von Karcharoths Geist noch unterwegs. Das würde die Sache vereinfachen.«

      »Ihr spinnt ja«, sagte Krona. »Das wollt ihr wirklich tun? Und wer von euch ist der glückliche Auserwählte?«

      Fenrir schnaubte böse und wandte sich ab.

      »Eine wirkliche Auswahl haben wir nicht«, sagte Pintel. »Je ähnlicher, je einfacher. Also


Скачать книгу