Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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Und es erklärt, warum sie noch nicht verhungert sind, falls du dich das gefragt hast.«

      »Bisher nicht«, sagte Krona. »Ich hab nur gemerkt, dass sie ganz schön hungrig waren. Aber wieso erklärt es das?«

      »In einem Bannkreis ist die Zeit aufgehoben«, erklärte Pintel. »Deshalb können sich die Eingeschlossenen nicht bewegen. Jede Bewegung basiert ja auf einer zeitlichen Abfolge, das heißt, erst hebst du den Arm, dann nimmst du ihn wieder runter, und so weiter. Wenn nun jemand die Zeit anhält, bist du quasi eingefroren. Und kriegst damit auch keinen Hunger.«

      »Aha.«

      »Es ist eine bemerkenswerte Leistung, einen Zauber zu weben, der sogar über den Tod des Zauberers hinaus so lange anhält«, sagte Pintel mit leuchtenden Augen. »Er muss ja bis vor kurzer Zeit noch gewirkt haben. Das sind dann fast drei Jahre! Das heißt, es darf sich im Spruchgewebe nicht der geringste Fehler eingeschlichen haben. Es muss makellos gewesen sein, um so lange zu bestehen. Und weißt du, wie schwer das ist? Ein winziger Kiekser in deiner Stimme während der Beschwörungsformel, und schon hast du einen Fehler drin. Ein winziges Muskelzucken, vielleicht nur ein falscher Atemzug, und schon …«

      »Danke«, unterbrach ihn Krona energisch. »Es reicht. Ich kann’s mir vorstellen.«

      »Ich schweife ab«, stellte Pintel fest und zog den Kopf ein.

      »Geringfügig.«

      »Zurück zum eigentlichen Thema«, sagte Lomir. »Das Ergebnis unserer Suche ist, dass wir keines haben. Kein Ergebnis, meine ich. Wie bereits erwähnt, wir vermuten, dass jemand alle Unterlagen über die Schädel von der Insel entfernt hat. Falls es hier jemals welche gegeben hat.«

      »Du willst mir aber nicht andeuten, dass diese ganze Aktion umsonst war?« Krona schlug sich die Hand vor die Augen. »Das darf doch wohl nicht wahr sein?!«

      »Vielleicht nicht ganz umsonst«, sagte Pintel vorsichtig. »Das kommt darauf an, was du zu unserem Plan B sagst, den wir entwickelt haben.«

      »Was für ein Plan B?«

      »Du solltest mitkommen, wenn du kannst«, sagte Pintel. »Es gibt dazu etwas zu sehen.«

      »Selbstverständlich kann ich«, knurrte Krona. »Ich hab schon Krieg geführt mit schlimmeren Wunden.« Sie schwang die Beine von der Liege und stand auf. Wütender Schmerz schoss durch ihr Bein, und sie stützte sich stöhnend auf Lomirs Schulter, der eilig zur Stelle war.

      »Mach langsam«, sagte er. »So eilig haben wir’s dann auch nicht.«

      »Du kannst den hier nehmen«, sagte Pintel eifrig und brachte von irgendwoher einen dicken, knorrigen Stab, der doppelt so lang war wie der kleine Zauberer selbst. Glatt poliertes Wurzelwerk saß wie ein geschnitzter Knauf an seiner Spitze.

      »Nimm das weg!«, fauchte Krona erschreckt. »Wer weiß, vielleicht spuckt es Blitze!«

      »Er ist völlig harmlos«, versicherte Pintel.

      »Harmlos?! Du hast gesagt, Kreidestriche auf dem Boden sind gefährlich, und jetzt fuchtelst du mit diesem Ding?!«

      »Die Stecken, die Zauberer bei sich tragen, werden gemeinhin überschätzt«, erklärte Pintel. »Die meisten sind nichts als Gehhilfen. Natürlich wird kein Zauberer das zugeben, wenn er merkt, welchen Eindruck er damit macht. Und dieser hier ist wirklich harmlos. Ich habe ihn untersucht. Nun komm schon, du kannst nicht ewig Lomir als Stütze nehmen.«

      Zögernd ergriff Krona den Stab, noch nicht überzeugt, dass er sich nicht doch sogleich in etwas verwandeln würde, das Zähne hätte und sie anfiele. Sie lehnte sich probeweise auf den Stab. Nichts passierte.

      »Na gut«, sagte sie knurrig. »Versuchen wir’s. Aber bevor ihr mir irgendetwas zeigt, zieh ich mir meine andere Hose an. Die hier habt ihr ja ruiniert.«

      »Ist gut«, sagte Nardon zu Lomir, der empört zu einer Richtigstellung ansetzte. »Die wird schon wieder. Die braucht das jetzt.«

      Lomir atmete tief und hörbar aus.

      »Komm«, sagte Nardon. »Wir gehen einstweilen nach nebenan, bis die Dame sich in Ruhe umgezogen hat.«

      »Ich seh hier keine Dame«, murrte Lomir, folgte seinem Freund aber zur Tür.

      Krona ließ sich Zeit. Sie zog sich nicht nur um, sondern goss auch Wasser aus ihrem Wasserschlauch auf ein Tuch und rieb sich damit Gesicht und Arme ab, es gab ihr wenigstens das Gefühl, sich gesäubert zu haben. Mit einigen Schwierigkeiten wechselte sie die Hose und zog ihre Stiefel an, wobei sie eine weitere hässliche Quetschung an der Wade entdeckte und Kratzspuren von nadelspitzen Zähnen am entsprechenden Stiefel. Leise fluchend versuchte sie ein paar Schritte. Sie war nicht besonders schnell, aber sie würde vorankommen. Sie gürtete ihr Schwert und verstaute ihre Messer, dann machte sie sich, auf den Stab gestützt, auf die Suche nach den anderen.

      Sie trat aus der Tür und befand sich in der Treppenhalle dieses Stockwerks. An den Wänden entlang steckten Fackeln in schmiedeeisernen Halterungen; sie brannten mit unnatürlichem Gleichmaß, kaum jemals zuckte eine Flamme. Krona brachte ihre Hand in die Nähe: Sie strahlten keinerlei Wärme ab. Auf dem Boden und zwischen den Fackeln an der Wand befanden sich Teppiche. Sie waren in besserem Zustand als die im Wohnraum: Verblasst, aber noch erkennbar zeigten sie verschlungene Blumenmuster, Jagdmotive und verschiedene liebliche Landschaften. Krona zog die Nase kraus.

      Blümchenteppich, aber ein Keller voller Monster. Das nenne ich einen ausgefallenen Wohngeschmack.

      Mehrere Türen und fackelerleuchtete Gänge führten aus der Halle hinaus. Entfernt hörte sie die Stimmen ihrer Gefährten. Krona machte sich auf den Weg in die entsprechende Richtung. Die Teppiche schluckten ihre Schritte, nur der schwere Eichenstab verursachte ein dumpfes dunk, jedes Mal, wenn sie ihn aufsetzte.

      Neben der Treppe befand sich eine steinerne Säule oder ein Podest, rund von der Grundfläche und etwa von der Höhe eines Tisches. Krona blieb stehen, um einen näheren Blick darauf zu werfen. Die Machart war ihr ein Rätsel, die Säule schien wie ein Tropfstein aus dem Boden zu wachsen, sie verjüngte sich nach oben und bildete eine Schale, in der eine Kugel aus dunklem, matt glänzendem Material ruhte. Krona beugte sich darüber. Eine dicke Staubschicht bedeckte die Kugel, doch darunter schienen graue Nebelschleier zu wirbeln. Ein ungutes Gefühl beschlich Krona, und sie wandte den Blick ab, gerade als Pintels warnende Stimme hinter ihr ertönte:

      »Krona! Fass es nicht an!«

      Pintel war in einer der Türen erschienen und kam nun eilig zu ihr hinüber.

      »Was ist das?«, fragte sie und entfernte sich vorsichtshalber einige Schritte von der seltsamen Kugel.

      »Das weiß man nie so genau«, sagte Pintel. »Man nennt sie Weissager. Es sind sehr mächtige Artefakte, die zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden können. Man kann mit ihnen ferne Orte betrachten oder Botschaften übermitteln, es heißt sogar, man könne damit in die Zukunft sehen. Ich hatte noch nie mit einem zu tun.« Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Podest. »Aber vielleicht werde ich das, bevor wir diesen gastlichen Ort wieder verlassen«, fügte er hinzu.

      »War es das, was ich mir ansehen sollte?«, fragte Krona.

      »Nein.« Pintel zog sie mit sich. »Du sollst den Hausherrn begrüßen.«

      »Wie bitte?!«

      »Keine Sorge. Er ist mausetot. Das Begrüßen war eher scherzhaft gemeint.«

      Sie durchquerten die Halle, dunk, dunk, und betraten auf der anderen Seite einen weiteren verschwenderisch eingerichteten Raum, in dem Fenrir und die Zwerge bereits warteten. Möwengeschrei drang durch die Fensterschlitze, und auch hier waren die Möbel und Teppiche von der salzigen Luft angegriffen. Lange, leere Regale standen auf der Innenseite des Raumes, eines davon beherbergte ein verlassenes Möwennest.

      »Jemand hat all seine Bücher mitgenommen«, sagte Pintel. »Er muss eine riesige Bibliothek gehabt haben. Es ist so schade drum! Ich hätte etwas darum gegeben, mal einen Blick in seinen Bücherschrank werfen zu dürfen.«

      »Der


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