STECKSCHUSS. Ernst Rabener

STECKSCHUSS - Ernst Rabener


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meldete, mit »Herr Achtziger« angesprochen: Im ersten Moment war er vollkommen überzeugt, es sei dessen Stimme, die ihm vom dienstäglichen Vorabendprogramm her so vertraut war.

      Was er zu hören bekam, verursachte ihm kurzzeitiges Herzrasen – ein Grund, warum er das folgende Gespräch nur mit einem gelegentlichen »Aha!« und »Jaja!« bereichern konnte.

      Es war in zweifacher Hinsicht aber auch gar zu abenteuerlich, was er erfuhr: Kriminalrat Beyschlag überfiel ihn, nachdem er ausführlich geschnieft hatte, als Erstes mit dem Hinweis, dass er, Karl Harlander, die Leitung der Ermittlungen im Mordfall Schöderlein übernehmen müsse, wegen absoluten Personalnotstands. Die letzten verfügbaren Leute seien seit heut’ Früh im Einsatz, wegen einer Sache – der Kriminalrat konnte, bei aller Förmlichkeit seiner Rede, nicht anders, als krachend aufzulachen – »also wegen einer Sache, die glaubt man kaum! Hören S’ zu!«

      Dem Befehl versuchte Karl dienstfertig zu gehorchen, glitt aber während der langen Erzählung, so sehr er sich auf sie zu konzentrieren versuchte, in Gedanken immer wieder ab: Da paradierte vor seinem geistigen Auge eine ganze Kompanie von Fernsehkommissaren, männlich wie weiblich, auf breiter Bühne vorbei, von Wallander über van Veeteren und Dupin bis zu Bella Block und der Chefin. Auch nach dem Telefonat konnte er lange nicht fassen, dass er sich von hier und heute an in dieser illustren Reihe befinden sollte, beschäftigt mit einem echten Mordfall, auch wenn er im Augenblick noch keinerlei Vorstellung vom Hergang der Tat hatte, ja im Gegensatz zu Paul nicht einmal vom Tatort.

      Was Kriminalrat Beyschlag zur Begründung des Personalnotstands ausführte, war indes zu kurios:

      »Man glaubt’s ja nicht, was es für Pappnasen gibt!« Wieder schniefte er hörbar und hüstelte.

      »Müssen S’ sich vorstellen, Kollege Harlander: Fährt heut’ Früh um sechse beim Wiggerl in Pfuhl, bei Ihnen da um die Ecke, also beim Bayern-Spieler, dem Maier Wiggerl – da fährt einer mit ’nem alten Opel Kadett vor, Vollbremsung, dass es staubt, springt raus aus der Karre, Fußballerhose, blauweißes Dress und auf ’m Kopf ’ne Kaiser-Wilhelm-Sturmhaube. Springt raus vorm Stall, hat ja ’nen Pferdestall, der Wiggerl, wie S’ wahrscheinlich wissen, nicht. Schreit: ›Komm raus, du rote Sau!‹, dreimal. Der Wiggerl haut endlich die Stalltür auf und will den da draußen wegen seiner saublöden Schreierei zusammenscheißen, seine Lederhosen hat er ang’habt, die Heugabel in der Hand… Müssen S’ sich immer vorstellen, nicht, Kollege Harlander! Also…«

      Der Kriminalrat schnäuzte sich ungeniert direkt am Hörer und redete weiter, als wär’ nichts gewesen.

      »Als der Narr den Wiggerl sieht, mit der Heugabel, schreit er, so laut er kann: »Sechzig, Sechzig, Sechzig!« und ballert auch schon los, dreimal, viermal, der Wiggerl wirft sich geistesgegenwärtig auf den Boden, mitsamt der Mistgabel. Seine Frau…«

      Wieder folgte gedehntes Schniefen. Entweder, dachte Paul, ist der Herr Kriminalrat vergrippt oder er zieht sich Schmalzler in die Nase, womöglich auch Koks. Von Kommissar Marthaler bis Mathias: Alle leitenden Ermittler waren grundsätzlich schwer im Stress und entsprechend anfällig für Suff, gar nicht so selten auch für sanftere Rauschgifte.

      »…die Elli, die kommt also dazu, im Dressurreiteranzug, Stiefel über der Reithosen, verstehen S’, und kreischt auf, ›ja um Gottswillen, Wiggerl! Wiggerl! Mei Wiggerl!‹, und wirft sich auf den Wiggerl drauf, weil sie meint, es hätt’ ihn erwischt, den Wiggerl, während der ander’ den Rauch von der Mündung pustet wie in ’nem schlechten Western und abhaut und dabei recht saudumm lacht. Ab mit seinem Kadett, dass es quietscht. Hat die Elli aber schon ’s Handy rausgeholt aus der Dressurreiterhosen und ruft die Hundertzehn…«

      Sofort sah sich Karl zusammen mit dem mächtig dicken Polizeihauptmeisters Krause aus dem Polizeiruf 110 den Bösewicht jagen, erinnerte sich an einen Fall aus dieser Serie vor zwei Jahren, wo ein Öko-Bauer tot in der Odelgrube des Nachbarhofs gefunden wurde, und stellte sich unter Schaudern vor, wie der Wiggerl in einer solchen versank, mit geballter Faust, die als Letztes von ihm sichtbar blieb, ehe auch sie von der Jauche geschluckt wurde. Schrecklich!, entsetzte er sich, furchtbar, was da im neuen Amt alles auf ihn zukommen konnte!

      »Sanka, Streife, alle natürlich gleich da, Ringfahndung, dann erst stellt sich raus, dass so gut wie nix passiert war: Hatte mit ’ner Schreckschusspistole rumgeknallt, der Volldepp, und der Wiggerl und seine Elli sind Gott sei Dank mit dem Schrecken davon’kommen…«

      »Gott sei Dank!«, wiederholte Karl beflissen und war erleichtert, hatte er den Wiggerl doch schon sich in seinem Herzblut wälzen und sich selbst an der Seite von Hauptkommissar Tauber zu spät kommen gesehen.

      »So ein Granatenhirni, müssen S’ sich vorstellen, Herr Kollege Harlander! Geschnappt haben’s ihn kurz hinter Pfuhl, bei Raisting. ’nen Sechzgerwimpel hatte er an den Rückspiegel gebunden, innen ’nen blauweißen Jubiläumsschal quer über die Rückscheibe gespannt: So fährt der Vollpfosten durch die Gegend, müssen S’ Ihnen vorstellen, nicht, mit ’nem Tragerl Löwenbräu aufm Beifahrersitz, das hat er schon zur Hälfte ausgesoffen gehabt, am helllichten Morgen. War die Nacht über auch auf der Nichtabstiegsfeier in Raisting gewesen und hat sich da, wie sich rausgestellt hat, schon gebrüstet und gewettet, dass er heut’ noch ’nen Roten plattmacht, der Kasperl! Holen ihn die Kollegen ausm Auto raus, schreit er wieder und grölt: ›Siebenundfünfzig, achtundfünfzig, neunundfünfzig, sechzig! sechzig! sechzig!‹, und der eine von den beiden Kollegen, man glaubt’s ja nicht!, schreit auch noch mit, ›sechzig, sechzig, sechzig!‹, während der ander’ den besoffenen Blödmann in den Dienstwagen schiebt. Fußballschuhe hat er ang’habt, über denen die blauweißen Socken rausg’schaut haben. Und sobald ihn die Kollegen was fragen, singt er ihnen was aus der Sechzgerhymne vor, ›Mein Verein für alle Zeit‹ und lauter so ’n Zeug, und so geht das, bis sie aufm Revier sind in Dießen…«

      Es schniefte und rotzte am andern Ende. War das nicht in einem Dortmunder Tatort, wo Kommissar Faber gleich am Anfang herzhaft kokste? Nein, das war ein Bösewicht gewesen, der folgerichtig auch gleich erschossen wurde.

      »…da grölt er dann weiter und schreit nach seinem Löwenbräu, das hab’ er schließlich gekauft und das gehör’ deswegen ihm. Die Kollegen haben ihn erst mal in Gewahrsam genommen, Personalien notiert und so weiter. Ottakringer Gregor heißt er, vielleicht sagt ihnen der Name was. Girgl mussten’s ihn nennen, sonst hat er gleich gar nichts gesagt, der Spinner. Mann o Mann! Aber, verstehen S’, Harlander: Sind halt wieder zwei Mann nicht mehr verfügbar, wieder zwei fällig! Mussten ja zunächst von ’nem Tötungsdelikt ausgehen, wenigstens versuchtes Tötungsdelikt, verstehen S’, allermindestens von Bedrohung mit ’ner Schusswaffe, nicht! Ich kann, verstehen S’, Herr Kollege, ich kann Ihnen niemand schicken von der Kripo, momentan! Ich hoffe, ihr kommt in eurem Fall da bislang alleine klar.«

      »Klar!«, machte Karl sich auch mal wieder bemerkbar und dachte sofort an Winterkartoffelknödel und Dampfnudelblues, wo der Dorfpolizist die Sache immer voll im Griff hatte. »Klar kommt der Karl klar, haha! Sind ja ’n eingespieltes Dreierteam hier und haben auch schon ein paar zielführende Spuren, die wir mit aller Konsequenz verfolgen. Und ein paar Verdächtige, müssen S’ wissen, Herr Kriminalrat! Wir ermitteln in alle Richtungen.«

      »Wunderbar!«

      Kriminalrat Beyschlag gab sich schwer begeistert über den Satz, obwohl Karl nur zitierte, was er am Montag zum x-ten Mal bei der Soko München gehört hatte.

      »Einwandfrei, wunderbar! Und Sie rühren sich, Kollege Harlander, wenn S’ was Neues haben! Ich tu’ mein Bestes, wissen S’ ja!, um Ihnen doch noch jemand zu schicken.«

      »Einwandfrei!«, hörte Karl sich sagen, bedankte sich artig und merkte, kaum hatte er aufgelegt, dass ihm schwindelig wurde. Er musste sich setzen.

      Im noch immer leicht verkaterten Kopf ging es schwer durcheinander: Mächtiger Stolz auf den phänomenalen Kompetenzzuwachs mischte sich mit der Sorge, ob er diese gewaltige Verantwortungslast tragen konnte.

      Andererseits, dachte er, warum denn nicht? Neulich, Urbino-Krimi, ein Mord im Olivenhain: Der Poliziotto,


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