STECKSCHUSS. Ernst Rabener

STECKSCHUSS - Ernst Rabener


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was sie natürlich ernsthaft erst konnte, wenn die Gerichtsmedizin den genauen Todeszeitpunkt festgestellt hatte.

      »Nein, total gar nichts, nada, null! Echt!« Lissi, ein bisschen weinerlich, als müsse sie die Lena auf die Mitleidstour überzeugen. »Weil erstens sperren wir immer ganz fest zu dabei seit einiger Zeit, und dann sind wir manchmal auch echt mega laut, wenn wir’s machen, klaro, jetzt dann im Film auch gleich, wo die Sissi halt total laut wird, wo’s anfängt dinomäßig geil zu werden und so.«

      Beide hoben kurz die Köpfchen und lächelten sich an.

      »Und Musik haben wir klaro auch angehabt dazu, kannste hören da, den L-Word-Soundtrack, wenn du mal genauer hinlauschst.«

      Lena nahm’s ihnen nicht übel, dass sie anfingen, sie zu duzen, sie waren schließlich ungefähr gleich alt.

      »Hör’ ich, ja. Kenn ich aber nicht.«

      »Echt mega coole Nummer, der Soundtrack. Also eingesperrt haben wir uns gestern Abend schon in unserm Zimmer, obwohl sonst haben wir den Jungs ja klar gemacht, dass das Haus und die Türen und so offen bleiben.«

      »Schottland, ich weiß.«

      Da waren sie schwer überrascht, die zwei Mädels, dass die Lena so top informiert war!

      Sissi sah in ihr offenbar bereits die Vertrauensperson, der man alles flüstern konnte. Warum sollte sie also nicht auch dieses und jenes Detail der WG-reality wissen dürfen? Das eine oder andere würde womöglich zum nicht unwichtigen Entlastungsfaktor für sie.

      Lena kam im Folgenden mehr als einmal der Gedanke, ob die zwei nicht einfach glänzend schauspielerten, einen derart überzeugenden Eindruck eines aufeinander eingespielten Teams machten sie, wie in der Nacht auf Paul. Sie hörte sich gleichwohl alles geduldig und ruhig an, jede Einzelheit konnte von Wichtigkeit sein.

      »Aber seit Anfang Mai, weißte, sperren wir immer zu nach der Sache im April, weiß nich, nach dem mit dem Schorsch.«

      »Das mit dem Schorsch? Lasst hören!«

      »Naja, also, wir waren halt grad dabei und so und total gut in Stimmung, und da steht auf einmal der Schorsch im Türstock, grad wo die Lissi am Kommen war, und glotzt und glotzt total megakrass, echt, und stottert irgend ’nen Scheiß von wegen Dreier und so, und da ist dann die Lissi aufgestanden und steil auf den Arsch zugegangen und hat ihm so ganz ohne Ansatz in die Eier getreten und so, und wo er sich dann seinen blöden Schrumpelsack gehalten hat, und rumgeröhrt hat er dazu wie ’n Vollhirni, da hat sie ihm noch ’nen Tritt verpasst in seinen Blödarsch, dem…«

      »Ihr erinnert euch schon gelegentlich daran, dass er umgebracht worden ist, der Schorsch, während ihr über ihn herzieht?«

      Sissi lief rosafarben an, Lissi nickte einsichtig, fuhr aber in ähnlichem Ton fort:

      »Und dann isser auf den Flur rausgefallen, der Arsch, und hat dagelegen, und dann haben wir ratzfatz die Tür abgeschlossen, Schlüssel rum, zwei Mal, und dann hatten wir gar keine rechte Lust mehr, wegen dem blöden Dollbohrer dem!«

      Bevor der abgeschiedene Georg noch weiter beleidigt werden konnte, wechselte Lena das Thema:

      »Euer Smartphone muss fürs erste mal hierbleiben.« Lena schob’s in die Hosentasche.

      »Ich garantier’ euch aber, dass es nicht in falsche Hände gerät. Ist ’n Beweismittel, sorry. Und jetzt beichtet mal: Dem Kollegen habt ihr heut’ Nacht gesagt, dass es unter euch vieren öfter mal Megastress gegeben hat in letzter Zeit: War das mit dem Georg, weil der gemeint hat, dass er günstig zu ’ner Doppelnummer kommt – war das der Auslöser für euren Dauerzoff? Oder was sonst?«

      Wieder schauten sie sich fragend an, unschlüssig, wer was sagen solle. Lissi versuchte eine für ihre Verhältnisse geradezu diplomatische Darstellung: Leider sei nach diesem Vorfall auch der Fritz immer giftiger geworden, wahrscheinlich hab’ ihm der Georg seine eigene Version von der Sache geflüstert, und er, der Fritz, hab’ im Stillen wohl auch gehofft, er könne mal in ’ner ruhigen Stunde bei ihnen ’nen Dreier landen.

      »Die Jungs«, übernahm eine leicht erhitzte Sissi, »sind ja echt sowas von blöd, Wahnsinn! Wie die andern alle in der Schule auch schon, weil keiner checkt, dass es Mädels gibt, die von ihrem schrägen Krummschwanz nichts wollen.«

      Wieder errötete sie leicht. Lissi tat ihr’s in treuer Verbundenheit nach und ergänzte: »Am meisten und krassesten zoffen sich aber eh immer die Jungs…«

      »Denk mal dran, dass es nur noch einer ist!« Lena musste erneut den moralischen Finger heben.

      »…und meistens halt immer wegen der Rosi«, sekundierte Sissi.

      Das überraschte Lena nicht: Von dieser Rosi war heut’ schon mal die Rede gewesen. Und sie hatte doch recht gehabt, als sie dem Paul am Morgen ins verschlafene Gesicht hinein sagte, es sei bei diesem Mord mit Sicherheit um ein Mädchen oder eine Frau gegangen!

      »Was für ’ne Rosi?«

      Lenas gespielte Überraschung überraschte die beiden.

      »Na, die Hurlach Rosi, die alte Bumsnuss, die auch mit uns Abi gemacht hat und der immer schon alle hinterhergestiegen sind. Die ist immer mal wieder hierhergekommen und hat’s mit dem Fritz gemacht, wenn der Schorsch nicht da war, und mit dem Schorsch, wenn der Fritz nicht da war. So alle zwei, drei Wochen, dass sie mal vorbeigeschaut hat, und danach haben die zwei sich dann wieder tagelang gedisst und waren dino stinkig aufeinander, und zu uns auch!«

      »Und warum habt ihr davon dem Kollegen nichts erzählt?«

      Sie zuckten zierlich mit den Achseln, als wären sie sich einer kleinen Schuld bewusst.

      Lena senkte verschwörerisch die Stimme: »Eifersucht also?«

      »Klaro«, bestätigte Lissi, »wollt’ sie halt jeder für sich haben, und wenn sie’s mit dem einen gemacht hatte, hat der vor dem andern wieder ’n giga Triumphgeheul losgelassen und so, dass sie jetzt endgültig ihm gehör’, die Rosi, und lauter so ’nen Scheiß, und die Woche drauf war’s dann wieder andersrum. Echt stressig!«

      »Und einmal…«

      Lissi verstummte gleich wieder. Es war ihr unverkennbar arg, dass sie angesetzt hatte zu erzählen, was sie lieber für sich behalten hätte.

      »Einmal: Ja? Was?«

      Lena ließ es nicht zu, dass da was so einfach unterschlagen wurde. Also berichteten sie auch das noch, die Sissi fing an:

      »Naja, einmal… war die Rosi ’nen ganzen Abend bei uns, so vor ’n paar Monten ungefähr, da hatte sie sich mit dem Fritz gedatet gehabt und mit dem Termin vertan irgendwie, und da is se einfach reingekommen. Wir haben dann halt stundenlang gequatscht und so, bis die zwei Jungs gekommen sind, vom Fuchsbräustüberl wahrscheinlich oder vom Quattro, wo sie sich mal wieder total zugebirnt hatten, jedenfalls waren sie alle zwei mega breit und haben sich gleich in ihre Zimmer verzogen, und die Rosi hat echt ’ne Menge coole Sachen erzählt von den Jungs, aus der Schulzeit noch und so, und ’n paarmal haben wir uns echt schlappgelacht und sind, weiß nich, beinah ausm Bett gefallen vor Lachen.«

      Die Tür ging auf: Frau Binswanger! Man möge bitte entschuldigen, dass sie störe, aber es sei ganz, ganz wichtig: Rosenheim, die Rechtsmedizin! Ob sie, die Frau Lena, nicht schnell in ihr Büro mitkommen könne, das sei jetzt der dritte Anruf binnen kürzester Zeit, und der Kollege draußen auf dem Flur, der sei nicht wachzukriegen, und der andere offenbar außer Haus!

      Lena entschuldigte sich – »Einen Moment!« – bei den Mädchen und begleitete die Sekretärin. Nachfolgend erlebte sie ein Vergnügen, das Paul schon in der Nacht genossen hatte, nämlich ein Gespräch mit Frau Professor Sibylle Hallstein.

      »›Hören Sie, Sie müssen endlich zu wichsen aufhören!‹«

      So fing sie an. Die arme Lena wusste nicht, wo ihr der Kopf stand, und schrie empört in die Muschel: »Wie bitte?!«

      »›Warum, Herr Doktor?‹«

      »Ich


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