STECKSCHUSS. Ernst Rabener

STECKSCHUSS - Ernst Rabener


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Viertelstunde später, Lena hatte sich ins Kabäuschen zurückgezogen und war geistesabwesend dabei, vor sich das Pornoselfie-Filmchen auf dem Sissi-Handy ein Stück weiter ablaufen zu lassen, kam Karl zurück, schlecht gelaunt, und fand, was seine Stimmung nicht hob, den Paul wie beschrieben im Flur vor: in bleiernem Schlaf und lautstark schnarchend.

      Da Karl sich vorgenommen hatte, seiner Verantwortung als Chefermittler gerecht zu werden, war er mit Blaulicht zur Tulpenstraße gerast, um den Eltern Schöderlein die Nachricht vom Tod ihres Sohne zu überbringen.

      Abermals blitzten während der Fahrt zahlreiche Bilder aus vorabendlichen Soko-Episoden, Tatort-Sendungen und sonstigen Dutzendkrimireihen in seinem Kopf auf, und er hoffte, bei dieser Bilderschau auf eine Einstiegsformulierung zu stoßen, die es ihm ermöglichte, dieses seines schweren Amtes pflichtgemäß und halbwegs schonend für alle Beteiligten zu walten. Aber es fand sich nichts Überzeugendes, alles war ihm zu floskelhaft und abgedroschen. Selbst das, was Kommissar Hofer am Dienstag bei den Rosenheim Cops von sich gegeben hatte, erschien ihm in seiner gestelzten Unbeholfenheit geradezu abgeschmackt.

      Die zweite Hälfte der Strecke verbrachte er damit, dem Titel dieser letzten Episode nachzuspüren, der ihm entfallen war und sich im Kopf partout nicht mehr finden ließ.

      Als er vor dem Schöderlein-Haus ausstieg, fiel er ihm ein:

      »Zu hoch zu Ross«, murmelte er vor sich hin, gab sich einen Ruck und merkte mit Unbehagen, dass er vor diesem ersten Mal fürchterlich nervös war.

      Er gab sich einen Ruck, die Nervosität freilich blieb. Wahrlich, besser wär’s gewesen, er hätte die Binswanger Loni gebeten, im Namen der Revierbelegschaft der Familie telefonisch tief empfundenes Mitleid auszusprechen! Was folgte, war für keinen der Beteiligten ein Gewinn: Als ihm Horst Schöderlein öffnete, stellte Karl sich als »vermittelnden kommissarischen Kommissar« vor, und als Elfi Schöderlein das im Hintergrund des Flurs hörte, wurde ihr Weinkrampf, der ihr schon seit einer Stunde zusetzte, um hörbare Grade heftiger.

      Karl schloss daraus und aus Horsts verdüsterter Miene nicht das, was nahegelegen hätte, nämlich dass die beiden längst Bescheid wussten, sondern stolperte weiter hinein in den dicksten Peinlichkeitssumpf: Er bedauere ganz persönlich, dass die junge Lebensbahn ihres geliebten Sohnes Georg so abrupt gestoppt worden sei und er habe selber einen Buben beziehungsweise Sohn in dem Alter und wolle sich gar nicht vorstellen, was ihm…

      Horst Schöderlein unterbrach ebenso leise wie deutlich:

      »Hör bittschön auf, Harlander Karl! Schaut’s g’scheiter, dass ihr die Sau erwischt!«

      Siedend heiß fiel Karl ein, dass er vor drei Jahren nach der Abiturfeier in der Stadthalle beim abschließenden Umtrunk an einem Tisch mit Schöderleins gesessen war und man sich nach dem dritten Schoppen das Du angeboten hatte.

      Mit einem lauten, schmerzlichen Seufzer zog sich Elfi zurück, während Horst dem Karl ein paar Hinweise gab, wiederum sehr leise, sehr verbittert:

      »Ich hab’ immer gesagt, dass das nicht guttut, mit dem Mädl nicht und mit der WG nicht. Aber dass es so kommt…«

      Er hob den verhangenen Blick: Er und seine Frau müssten jetzt nach Rosenheim, in die Gerichtsmedizin, ihren Sohn identifizieren, und ob er entfernt eine Ahnung habe, was das bedeute? »Du geh mal lieber heim, Harlander, und komm erst wieder, wenn ihr die Drecksau geschnappt habt. Viele kommen ja nicht infrage. Wiedersehn!«

      Horst Schöderlein drehte sich mit den letzten Worten um und warf mit der Hacke die Tür zu.

      Um was für ein Mädl es sich handle, konnte Karl ebenso wenig erfragen wie die Quelle, von der die Eltern über das tragische Schicksal ihres Georg bereits informiert worden waren.

      Karl stand einige Augenblicke blödsinnig vor der Tür herum, ehe er zum Auto zurückging, kopfschüttelnd, weil ihm bewusst wurde, was für einen Schamott er soeben verzapft hatte.

      Auf der Rückfahrt schaute er im Fuchsbräustüberl vorbei, um den Wirt über Georg und Fritz zu befragen, die sich dort, wie Pauls Bericht zu entnehmen war, gestern Abend zwischen halb zehn und halb zwölf besoffen haben mussten. Da konnte er quasi unterwegs und nebenbei ermittlungstechnisch wesentliche Erkenntnisse sammeln.

      Aber Sepp, der Wirt, war noch nicht da. Der komme, erfuhr er von der Putzfrau, frühestens um zwölf.

      Karl ließ sich die Handynummer geben und wählte: Mailbox, mit denkbar grantiger Einladung, was draufzusprechen, wenn’s unbedingt sein müsse. Also sagte Karl nichts, dem Burschen würde er persönlich zu Leibe rücken, denn: Wirte in Verbindung mit Kriminalfällen, da biss die Maus keinen Faden ab, waren grundsätzlich als zwielichtig einzuschätzen und hatten oft genug ihre schmierigen Finger in krummen Geschäften: geschlossene Hinterzimmer für mafiöse Gruppierungen oder Diebesgut, im Keller nicht selten Leichen! Schon im Gasthaus an der Themse war das Mekka ein schwer verruchter Ort! Und erst die Disco-Schuppen in den neueren Formaten: Drogen, Drogen, Drogen! Overbeck bei Wilsberg! Den hatten sie – und der war Polizist, wenn auch ein total vetrottelter! – in einer solchen Kaschemme mit Tropfen schachmatt gesetzt und ihm mit perfiden Machenschaften einen Mord anhängen wollen! Die einzig logische Konsequenz daraus war: Auf kurz oder lang würde bei diesem Fuchsbräustüberl, das er bisher nur flüchtig kannte, eine Observierung rund um die Uhr unumgänglich sein!

      Wieder zermarterte er sich den Kopf, welchen Titel diese Wilsberg-Episode gehabt hatte. Er kam ums Verrecken nicht drauf.

      Weil er heut’ Früh den Gusti auf die Dienststelle mitbringen musste, der aber nicht so schnell aus den Federn kam, war das Frühstück ausgefallen. Entsprechend verspürte er allmählich Hunger und überlegte, ob er nicht beim Tengelmann vorbeifahren und sich drei Leberkässemmeln mitnehmen solle, entschloss sich dann aber zum direkten Weg aufs Revier. Er würde ganz einfach kraft seiner neuen Funktion als Kommissionsleiter eine Brotzeitpause anordnen und die Lena oder den Paul dienstlich beauftragen, was zu besorgen.

      Als er vor dem Revier aus dem Dienstwagen stieg, fiel ihm der Wilsberg-Titel wieder ein: 48 Stunden.

      Wie hatte er den nur vergessen können?

      »Das glaub’ ich jetzt nicht!!«

      Aus Leibeskräften brüllte Karl den Flur entlang, kaum hatte er am hinteren Tisch, vor dem Eingang zum Binswanger-Büro, Paul entdeckt, der noch immer in solchem Tiefschlaf verharrte, dass nicht einmal dieses brutale Geschrei in sein Hirn drang. Im Eilschritt ging der kommissarische Ermittler Karl Harlander auf den Schläfer los, rüttelte ihn rücksichtslos an der Schulter und bellte zornig auf den Armen herunter: »Paul, sag’ mal!!«

      Der fuhr, rüde aus dem Schlummer gerissen, verwirrt auf und maulte ein verstörtes »Hä?!«

      »Sag mal, wo sind wir denn?!« Karls olympischer Zorn blieb ungebremst. »Ich fahr’ mir die Reifen platt und lauf ’ mir die Hacken ab, und du pennst hier den tiefsten Beamtenschlaf, du Nachwächter!«

      Auf diese dummdreiste Beleidigung hin sah Paul schlagartig klar und reagierte geistesgegenwärtig: »Hätt’ ich nicht den Nachtwächter gegeben, wo du in München versumpft bist, du Staatsdiener, könnt’st du jetzt keine großen Töne spucken! Die ganze Nacht über ’s Diensthandy ausgeschaltet: Verdienst längst ’n Diszi, du Armleuchter! Schon mal nachgedacht?«

      Mit einem abschließenden »Leck mich doch am Arsch!« stand er mühsam auf und wandte sich von Karl weg seiner Bürotür zu, hinter der er verschwinden wollte, ohne Karl. Der allerdings war, wie auch Paul sehr wohl wusste, vor einer Stunde zum Kommissionsleiter aufgestiegen und folgte ihm, seinen Pflichten als Vorgesetzter entsprechend, auf dem Fuß in der Absicht, seinem Untergebenen jetzt aber mal so richtig die Meinung zu geigen und einige Dinge klarzustellen. Ehe Sitten einrissen wie auf der Dortmunder Tatort-Dienststelle, wo sich irgendwann jeder mit jedem in den Haaren hatte, musste hier in Hochwiel der kommissarische Kommissionspräsident für klare Verhältnisse sorgen!

      Es kam aber anders.

      »Thema: Gusti!« Paul fasste Karl scharf ins Auge, sobald der die Tür


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