STECKSCHUSS. Ernst Rabener
als sie ihn sahen, gleichzeitig geradezu unverschämt auf: »Ja dass du auch schon daherkommst!«
Eins sechsundfünfzig maß er, und weil er ständig den Kopf in die Schultern zog, als erwarte er von jedermann Prügel, und beim Gehen tief in die Knie ging, hinterließ er, gleich, wo er auftauchte, einen stark koboldhaften Eindruck, den der ständig unstete, flackernde Blick und die fahrige, eckige Gestik markant verstärkten.
»Presse, Pfaffawinklr Bote«, platzte er frech und nassforsch heraus, als würden ihn die zwei nicht seit Jahren kennen, und hielt ihnen seinen Ausweis stramm über Kopfhöhe entgegen.
»Schon recht, Flocki!« Karl nahm ihm das Plastikkärtchen einfach weg und schob’s in Pauls Brusttasche. »Was willst denn, was brauchst denn?«
Flocki schnappte mit dem Mund, griff sich kurz an den Schild seiner Mütze, auf der ein Dutzend Sechzger-Sticker prangten, und meinte knapp und nebenher: »Griag i nochr fei widdr, Kamerad, gäll!«
Er zückte sein Handy, drückte auf Audio-Aufnahme und ging Karl unvermittelt an: »Herr Kommissar, was gedenkn S’ zum undrnemma, dass …«
Weiter kam er nicht, weil ihm jetzt Paul das Handy wegnahm und gelassen in Karls Sakkotasche steckte: »Sammeln wir gerade, die Handys von Tatverdächtigen. Die Kollegin hat auch schon eins kassiert: Wichtige Beweisstücke!«
Die beiden letzten Worte flüsterte Paul geheimnisvoll, schließlich wusste er, dass der Flocki, auch wenn man ihm nur die dunkelste Ahnung vermittelte, er könnt’ was Außerordentliches erfahren, auf jeden Schmarrn reinfiel. Er stellte den Kopf schräg, um Paul das rechte Ohr hinzuhalten. Der griff aber nur den Mützenschild, wobei ein Sechzger-Sticker abfiel, und zog ihn nach unten vor Flockis Gesicht.
Das war aber nun doch zu viel. Flocki begehrte auf: »Des geht so nedd, meine Herrn! I bin…«
»… von der Presse, Flocki, wissen wir doch! Und wir machen’s jetzt wie immer: Du setzt dich ein bisserl zu uns ins Büro, erzählst, was du schon so alles weißt, und dann schauen wir, ob wir dir dazu noch was Neues sagen können. Und wenn de ganz lieb bist, macht dir die junge Kollegin hier vielleicht sogar ’nen Kaffee, Espresso, hast doch immer gern ’trunken, gell! Fast so gern wie a Schnäpsle!«
Damit schob Paul das Männchen durch die Tür zum Kabäuschen und darin Richtung Schreibtisch. Er drückte den Besucher auf einen der Stühle, auf denen vorhin Sissilissi gesessen waren, nur dass der Flocki, anders als die Mädchen, kaum über die Tischkante schauen konnte. So beherrschte die Baseballmütze, die Paul ihm vorhin tief ins Gesicht gezogenen hatte, das ganze Erscheinungsbild des Investigationsjournalisten Häberle.
Lena, erbost darüber, dass Paul schon wieder meinte, über sie bestimmen zu können, empfand richtiggehend Mitleid mit diesem erstaunlichen Phänomen, das so unüberhörbar aus dem Schwäbischen stammte. Sie nickte Flocki lächelnd zu und ging nach draußen, obwohl sie schon vorhin mit der Kaffeemaschine nicht zurechtgekommen war.
Karl machte gleich mal auf Einschüchterung, sehr hart im Ton, und Flocki sank hinter der Tischkante tatsächlich ein weiteres Stückchen nach unten.
»Wie kommst denn dazu, du Kasperl, in aller Herrgottsfrüh am Tatort rumzugeistern? Und woher hast du überhaupt gewusst von der Sache, du Sauhund?«
Flocki begriff schnell, dass hier ohne eigene Vorleistung nichts zu machen war, und beichtete: Er hab’ da jemand vom Erkennungsdienst an der Hand, quasi als V-I, als verdeckten Informanten, der ihm gelegentlich Tipps geb’, gerade bei solch zentralen Ereignissen in und um seinen ausgedehnten Wirkungsbereich im Pfaffenwinkel.
»Sag bloß, du hast ’nen Beamten bestochen, du kleiner Drecksack?«
Karl war beinah belustigt über so viel Kaltschnäuzigkeit und Offenheit, die das Kerlchen an den Tag legte.
»Dees nedd!« Flocki hob Kopf und Mützenschild und grinste den beiden unverfroren ins Gesicht. »I hab’ dem bloß vor am halba Johr mol g’sagt, dass ’r mir sofort Imfos geba muaß bei solche Sacha, wenn ’r nedd am nägschda Daag sei’ eigane Todesa’zeig in dr Zeitung lesa will.«
Paul und Karl schauten sich entgeistert an: Ein solches Übermaß an brutalem Erpresserpotential hätten sie diesem weißblauen Gartenzwerg nie und nimmer zugetraut!
»Und där macht des seitdem ganz brav sowait.«
Er sei mitten in der Nacht gleich mal hin, als der Anruf kam, ein paar Aufnahmen machen, interviewen hab’ er im Haus wegen des bornierten ED-Packs sowieso niemand dürfen, geschweige denn, dass er noch rechtzeitig gekommen wär’, um wenigstens von der Leiche ein schönes Bild zu schießen, ein verwertbares.
Karl schaute, während Flocki frisch von der Leber weg erzählte, unter der Tischkante auf dem konfiszierten Handy nach: Ja, tatsächlich, da waren einige Bilder vom Tatort drauf: Bis in den Hausflur hinein hatte er’s offenbar geschafft, der lästige Schnüffelgnom!
Karl drückte auf Alles löschen. Damit war die Sache erst mal bereinigt.
»Also, Flocki: Raus mit der Sprache! Du warst doch seither wegen nichts anderem unterwegs: Was haste denn so alles gehört und recherchiert? Weißt schon, dass de verpflichtet bist, uns in einem Fall wie diesem zu helfen, oder?«
Paul, die verschränkten Arme auf dem Tisch, hatte sich weit nach vorne gebeugt, um dem durchtriebenen Flocki tief in die Augen zu schauen. Der drehte sich locker nach rechts, den Kopf nach links, verschränkte die Finger ineinander und meinte kess:
»Wenn ihr’s unbedingt wissa wollt’s: Herr und Frau Schiedmüller, dees habt’s ihr no gar nedd g’merkt, dass dees ganz wichdige Zeug’n sin! Dia, mei Liabrle, dia hamm mir vielleicht was v’rzählt: mein lieber Herr Vereinsvorschdand!«
Damit begann er eine ausführliche Darstellung, überzeugt, dass er ohne Not und aus purer Freundlichkeit astreines Herrschaftswissen weitergebe, sozusagen als wohlwollende Vorleistung für die ohne ihn verratzten Ermittler: Wie er vorhin schon mal hab’ hereinkommen wollen, dann aber auf dieses interessante Ehepaar gestoßen sei, direkt vor der Tür vorne. Und die hätten beide – beide!, wiederholte er bedeutend und hob einen Zeigefinger – mindestens einen Schuss gehört, wahrscheinlich sogar mehrere, die Schiedmüllers, und würden seither in Verbindung mit ’nem Giftmord gebracht. Das könnten sie nicht auf sich sitzen lassen, schon aus geschäftlichen Gründen. Schließlich wirke sich ein solcher Verdacht, auch wenn er haltlos sei, immer auf die Auflagenhöhe ihrer wissenschaftlichen Zeitschrift aus! Gottlob hätten sie in dieser Sache inzwischen den Hochwieler Staranwalt für sich gewinnen können. »Und int’ressant isch des fr mi natierlich scho, was dia Schiaßerai in dr Behmrwaldschtross mit dem Mord zum dua hodd, nedd!«
Paul nickte beifällig, während Karl damit beschäftigt war, Flockis Handy nach weiteren polizeirelevanten Dateien zu durchforsten. Was ihm irgendwie verdächtig vorkam, wurde kurzerhand Opfer der Löschen-Taste. Abschließend leerte er vorsorglich auch den Papierkorb.
Flocki erzählte unterdessen munter und selbstbewusst weiter: Die Eltern von Fritz Bernhuber hätten ihn sehr unprofessionell behandelt, eigentlich rausgeworfen, und der Vater des Mordopfers sei auch nicht gesprächig oder kooperativ gewesen.
Jetzt erst sah Paul das blaue Auge, das Flocki bisher mit dem Schild der Mütze vorzüglich zu verbergen gewusst hatte.
»Misshandlung und Diskriminierung von Mitgliedern der freien Presse musst uns aber schon anzeigen, Flocki! Sind schließlich schwere Straftatbestände!«
Paul gab sich sehr ernst, obwohl er hätte losbrüllen können, während Flocki resigniert abwinkte und erzählte, dass er die schlimmsten Erfahrungen in dieser Hinsicht einmal an einem Tatort mit einer gewissen Frau Professor Hallstein gemacht hab’. Er hab’ nur was ganz Harmloses wissen wollen, und da hab’ sie ihm vorgeschlagen, er solle sich doch von ihr vivisezieren lassen, ihre Studenten seien darin geschult, Zwergenhaut zu präparieren. Und nebenher hab’ sie ihm auch noch ’nen frühen Tod geweissagt, weshalb er seither nicht selten schlecht schlafe und Angstzustände habe.
»Das gibt sich, Flocki!« Paul versuchte, ganz besorgter Freund und