STECKSCHUSS. Ernst Rabener
sei, abzuhauen.
»Und was isch? Mei Händi, mei Auswais?«
Beides bekam er zurück, »vorbehaltlich der Lieferung weiterer ermittlungsrelevanter Informationen und Daten«, wie Paul anfügte, ohne zu wissen, wie er auf diese geniale Formulierung gekommen war.
Kleinlaut und sanft buckelnd nahm Flocki seine Besitztümer entgegen, wobei ihm, gerade noch rechtzeitig, der zweite Teil der Abmachung einfiel: Info gegen Info! Also zog er den Kopf aus den Schultern, hob Kinn und Mützenschild, stemmte die Fäuste in die tiefliegenden Hüften und fragte mutig:
»Und? Was isch? Von mir habt’s ihr jedst alles, jedst griag i was von aich!«
Er erntete nur bedauerndes Kopfschütteln: »Diesmal nicht, Flocki!«
Karl musste sich schwer zusammennehmen, um nicht loszulachen.
»War viel zu dürftig und rein gar nicht verwertbar, was du uns da alles verklickern wolltest. Aber was wir noch anbieten können, Flocki: Mach ’n Selfie im Polizeibüro, da hast doch noch keins und kriegst wahrscheinlich auch so schnell keins mehr wieder!«
Flocki winkte vielsagend ab und war froh, dass sie ihn nicht mit einem gehörigen Tritt ins Kreuz Richtung Tür beförderten, rückte unter dieser seine weißblaue Baseballmütze zurecht und zog ab, mit für seine Verhältnisse langen Schritten, bei denen er noch mehr als sonst in die Knie ging.
Dass Lena es eben geschafft hatte, dem Automaten einen Kaffee zu entlocken, der für ihn gedacht gewesen war, bekam Flocki nicht mehr mit, denn in Gedanken war er längst unaufhaltsam vorausgeeilt: Dann mal die zwei Mädchen suchen, die da heut’ Früh noch am Tatort herumgegeistert waren, wenn er sich nicht getäuscht hatte! Würden ihn schon noch kennenlernen, alle!, ihn und seine gnadenlose Recherchearbeit!, dachte er racheselig und schob den Mützenschild, von dem dabei ein zweiter Sticker herunterfiel, noch ein wenig weiter nach oben.
»Wo hast’n den jetzt hergezaubert?« Paul deutete mit langem Finger auf den kleinen Plastikbecher und wollte ihn sich greifen.
Lena kam ihm zuvor und trank ihn mit einem Schwapp aus.
»Wenn ihr kleine Presseganoven laufen lasst, geht deren Habe an mich.«
Sie grinste und schimpfte anschließend ein Weilchen auf den Automaten, was Karl die Möglichkeit gab, im Kopf ein paar Krimiserien durchzublättern und darin nach verhängnisvollen Kaffeeautomaten auf Polizeidienststellen zu suchen. Es fiel ihm aber außer der Soko Kitzbühel und München Mord nichts ein, und auch da war er sich nicht sicher. Die in Rosenheim drüben, die Cops, die hatten ja keinen Automaten, die hatten eine Maschine, bei der Stockl im Büro.
»Das kennen wir doch aus Fernsehkrimis auch«, setzte er Lenas kleine Wutrede fort, »dass die Kaffeeautomaten nie funktionieren. Einfach mit der Faust dagegen hauen hilft meistens. Oder einer hat vergessen, ’ne Münze einzuwerfen, und ’n andrer hilft ihm drauf, irgendwo mal bei Kommissar Beck, glaub’ ich.«
Paul und Lena schauten ihn leicht verstört an, weil sie nicht wussten, was sie mit dieser sonderbaren Parallele anfangen sollten.
»Bringst du jetzt schon unsere Arbeit hier mit dem grotesken Dutzendkrimi-Schwachsinn durcheinander, den du dir Abend für Abend reinziehst, du Narr? Junge Junge! ’s ist echt an der Zeit, dass du mal auf Entzug gehst! Am besten gleich für vier Wochen ohne Fernseher ins Kloster! Frag doch mal die Hallstein, vielleicht bietet die in der Gerichtsmedizin so was an!« Paul konnte nur den Kopf schütteln.
Das Festnetztelefon klingelte mal wieder.
Lena machte sich mit dem ersten Ton davon, um den Becher zu entsorgen. Die beiden Herren hatten mindestens ebenso großen Bammel, es könne erneut die Frau Professor sein, und schauten einander fragend an. Wieder einmal ärgerten die sich, dass man auf diesen displaylosen Uraltgeräten nicht mal den Namen des Anrufers oder wenigstens dessen Nummer ablesen konnte.
»Du bist neuerdings der Chef!«, meinte Karl nicht ohne bissigen Unterton.
»Und wenn’s der Kriminalrat ist? Dann musst ja doch du übernehmen!«
Der Einwand ließ Karl kalt, er verdrückte sich in sein Büro.
Es war nur der Alfred vom KTI: Bevor er jetzt endlich ins Bett gehe und sich über seine Susi hermache, die sich’s im Halbschlaf immer so gern besorgen lasse, wolle er ihm nur kurz mitteilen, dass sie bislang rein gar nichts gefunden hätten, nichts und nochmal nichts, keine Faser, Fingerabdrücke Fehlanzeige. Und obwohl natürlich noch längst nicht alle Untersuchungen abgeschlossen seien, seh’ es bislang so aus, als hätt’ der Täter oder die Täterin ’nen Ganzkörperanzug angehabt, »irgendwo kurz vor der Haustür angezogen, verstehst, kurz rein ins Haus, Gift in die Flasche und gleich wieder raus. Übrigens, was ich euch von der Hallstein mitteilen soll, mit ’nem hässlichen Gruß, wie sie meinte…«
Paul fiel eine Zentnerlast von der Seele.
»…Bei euch, sagt sie, kann sie gar nicht mehr anrufen, weil sie ständig Angst haben muss, wieder an das dumme Huhn zu geraten, das nichts begreift: Wen habt ihr denn da im Haus?«
»Halb so schlimm«, beruhigte ihn Paul, »wir kommen schon zurecht! Und wenn die Hallstein nicht mehr anruft, fehlt uns auch nichts.«
»Kann ich verstehen, ciao!« Und weg war der Alfred.
Augenblicklich sah Paul die große Chance, sich an Karl für dessen Feigheit zu rächen, und ging zu ihm hinüber: »Hör mal, du Superhero! Wenn du’s mir schon aus purer Feigheit überlässt, nochmals mit der Hallstein reden zu müssen…«
»War sie doch gar nicht! Was regst dich denn…«
»Ich reg’ mich nicht auf, leg’ dir aber mit Blick auf deine dienstliche Beurteilung und Karriere nahe, dass du uns umgehend ’ne Brotzeit holst, und zwar ’ne g’scheite! Hast ja grad eben ganz richtig festgestellt, dass ich der Chef bin, und das is’ jetzt ’n dienstlicher Auftrag!«
»Aber klaro, gern und sofort!« Karl, mit scheinheiliger Unterwürfigkeit und einem Ton in der Stimme, der verriet, dass er Schlimmes plane, obwohl er endlich was zu essen bekam.
Tatsächlich wusste er bereits, als er zum Jackett griff, wie er das dem Kollegen heimzahlen werde.
Kaum war er draußen, fand Paul, er und Lena könnten sich mal ’nen Superquickie gönnen, und griff ihr von hinten in den Ausschnitt. Er kam aber nicht mal bis zum BH, weil sie aufsprang und sich mit einem empörten »Spinnst jetzt?!« seinem Arm entzog.
»Hätt’ Lust auf ’nen kurzen Quickie, was meinst?«
Lena tippte sich an die Stirn: »Erstens sind Quickies immer kurz, und zweitens würd’ ich an deiner Stelle nicht mich, sondern die Binswanger fragen, die kann ihr Büro wenigstens von innen zusperren!«
»Mit ihr eher nicht«, meinte Paul kleinlaut, setzte sich der Lena gegenüber und holte Gustis Smartphone aus der Tasche. In seiner bleiernen Müdigkeit hatte er vorhin gar nicht bewusst wahrgenommen, dass er ihm zum Abschluss der Kurzbefragung das Spielzeug abgenommen hatte. Er warf den Computer an, um die letzten Daten, die auf dem Handy zu finden waren, mit seiner Liste im Bericht für Rosenheim abzugleichen.
Dann aber kam ihm eine weit bessere Idee: »Kannst du mir mal helfen, die beiden Handys miteinander abzugleichen? Du hast doch das von der Sissi noch!«
»Bild’ dir ja nicht ein, dass ich das einem von euch nochmal in die Hand geb’, ihr Mega-Spanner!«
»’s geht doch nur um den Datenverlauf am Tag, ob da vielleicht auch schon… Dasselbe Modell, wenn ich’s richtig seh’. Haben alle dasselbe Sony, der Fritz und die Lissi auch, guck nur!«
Lena kam gnädigerweise zu ihm herüber und schaute, ob sich was finden lasse. Dann drückten und scrollten, wischten und lasen sie mal hier, mal dort und stellten nach einiger Zeit fest, dass zwischen Gusti und Sissi gestern Vormittag nichts hin und her gegangen war.
»Hilfst du grad mal dem Karl?«
Der bekam, drei Kaffeebecher in den Händen, zwei