Komplexitätsmanagement. Michael Reiss

Komplexitätsmanagement - Michael Reiss


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oder keine Nachricht (Intransparenz)«. Je nach Ambiguitätstoleranz gibt es bei bestimmten Empfängern der Nachricht Präferenzen für die Beseitigung der Intransparenz, auch wenn das eine belastende, weil negative Information bedeuten kann.

      Das Zusammenspiel von inhaltlichen und komplexitätsfokussierten Bausteinen soll grundsätzlich überschneidungsfrei angelegt sein, etwa wenn in Ursache-Wirkung-Modellen die Wenn-Komponente (z. B. Sicherheit von Transaktionen) komplexitätsfokussiert, die Dann-Komponente (z. B. Transaktionskosten) hingegen inhaltlich spezifiziert wird (image Kap. 1.3.4). Nach diesem Kombinationsmuster lässt sich z. B. das Phänomen »Reiche werden reicher« komplexitätsfokussiert durch Netzwerkkennzahlen wie z. B. die Konnektivität erklären: Konnektivität erklärt hier etwa, dass sich neue Netzwerkmitglieder am liebsten mit den vorhandenen Netzwerkknoten vernetzen, die bereits hochgradig vernetzt sind und durch die zusätzlichen Kontakte dann noch »reicher« (vernetzter) werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Parallelkombination von inhalts- und komplexitätsfokussierter Modellierung nicht in eine redundante Doppelerfassung mündet.

      Vor allem bei quantitativer Erfassung von Komplexität und von Inhalt kommt eine multiplikative Verknüpfung in Betracht, sprich ein Produkt aus inhaltsfokussierten und komplexitätsfokussierten Bausteinen. Dies gilt beispielweise für Kosten- und Umsatzgrößen, die sich multiplikativ aus einem komplexitätsfokussierten Mengengerüst (mitunter auch Zeitgerüst) und einem inhaltlich determinierten Wertgerüst zusammensetzen. Grundsätzlich kommt diese formal-inhaltliche Mischung auch bei allen Erwartungswerten zur Anwendung, z. B. »nominale Verfügbarkeit mal Ausfallrate« oder »Niederschlagsmenge mal Niederschlagswahrscheinlichkeit«. Auch die Messung von Risiken basiert häufig auf einer multiplikativen Parallelkombination, bei der die Schadenswahrscheinlichkeit (Komplexitätsmerkmal) mit dem Schadensumfang (Inhaltsmerkmal) oder – wie beim Value at Risk – der Kurswert einer Aktie mit deren Volatilität multipliziert werden.

      Das Wesen von Komplexität lässt sich schließlich auch dadurch konkretisieren, dass man eine Abgrenzung zu einem sehr ähnlichen inhaltsfokussierten Konstrukt vornimmt, das irrtümlicherweise oft mit Komplexität verwechselt wird: Gemeint ist die Abgrenzung von Schwierigkeit gegenüber Komplexität, spiegelbildlich von Leichtigkeit gegenüber Einfachheit. So ermitteln z. B. die Verfahren der Arbeitsbewertung primär den Schwierigkeitsgrad von Tätigkeiten, eher peripher auch dessen Komplexität, z. B. Neuartigkeit von Aufgaben oder Spielraum bei der Aufgabenerfüllung. Analog erweisen sich das Heben schwerer Gegenstände oder ein Belastungstest (Belastungs-EKG, Stresstest) als belastend, aber nicht unbedingt als komplex. In der Informatik wird die Aufgabenschwierigkeit durch die benötigte Rechenzeit (sogenannte »Polynomialzeit«) erfasst. Im Gesundheitswesen wird der Schwierigkeitsgrad beispielsweise durch Pflegegrade oder anhand der Abrechnung ärztlicher Leistungen mit dem Faktor 2,3 bzw. 3,5 definiert.

      Für extreme Erscheinungsformen von Schwierigkeit werden Bezeichnungen wie Zwickmühlen, Intractability (Vallacher et al. 2010), Dilemmata, Wicked Problems (Ritchey 2005; Daviter 2017), Super Wicked Problems (Levin et al. 2012), Mission Impossible, Death Spirals, Rat Races (z. B. Aufrüstungswettlauf), Quadratur des Kreises oder mexikanisches Patt (Mexican Stand-off) verwendet.

      Während es sich bei der Komplexität um ein formales Merkmal handelt, bezeichnet Schwierigkeit eine materiale Eigenschaft, die allerdings implizite Komplexität besitzt: Beim Rechenaufwand etwa ist es das Zeitgerüst (z. B. in Arbeitsstunden). Das gilt ganz offensichtlich auch für einen doppelten (komplexen) Appetenz-Aversions-Konflikt zwischen zwei Alternativen, von denen jede inhaltlich betrachtet sowohl positive als auch negative Seiten hat.

      Mitunter korrelieren Komplexität und Schwierigkeit negativ, etwa im Fall von Umwegheuristiken oder schrittweisen Lösungsverfahren: Sie sind komplexer, verringern jedoch den Schwierigkeitsgrad der zu lösenden Aufgabe. In anderen Fällen verändern sich Schwierigkeit und Komplexität in dieselbe Richtung: So macht etwa die Verwendung von Fensterkuverts den Briefversand sowohl leichter als auch einfacher. Analog sind sogenannte einfache Regeln (»Simple Rules«) einzustufen, die sowohl leicht verständliche und leicht umzusetzende als auch implizit wenig komplexe Regeln darstellen (Davis/ Eisenhardt/ Bingham 2009; Bingham/ Eisenhardt 2011; Sull/ Eisenhardt 2016, S. 7 ff.). Umgekehrt ist eine (einfache) Gründungsfinanzierung ausschließlich via Selbstfinanzierung (sogenanntes Bootstrapping) beispielsweise schwierig, weil der Markt das Angebot des betreffenden Start-ups erst verzögert annimmt, so dass keine Überschüsse erzielt werden können. Im Rahmen einer SWOT-Analyse zeichnen sich schwierige Bedingungskonstellationen durch das Vorhandensein von Bedrohungen und eigenen Schwächen, leichte hingegen durch Gelegenheiten und eigene Stärken aus. Ein komplexitätsfokussierter Zugang fokussiert nicht die einzelnen Inhalte, sondern die Mischungsanteile der gegensätzlichen Erfolgsdeterminanten.

      Die Überforderung durch extrem schwierige gesamtgesellschaftliche Probleme (z. B. Finanzkrisen, Klimawandel, Flüchtlingsintegration, Pandemien) eignet sich als ein weiteres Illustrationsbeispiel. Der Schwierigkeitsgrad äußert sich komplexitätsseitig meist in einer Instabilität: So kommt es beispielsweise zu häufigen Neuwahlen, bei denen die nicht erfolgreiche Regierung abgewählt wird, weil sie beim Meistern der Probleme versagt hat. Das Modell der Achtsamkeit (Gärtner 2013) unterstützt die Handhabung schwieriger Aufgaben durch die Fokussierung auf Kernprobleme. Spiegelbildlich vermindert etwa der Bedienkomfort (z. B. Einhandregler, Einhebelmischer) die Schwierigkeit aufgrund von verminderter Komplexität. Analog lässt sich eine implizite Einfachheit auch in Konzepten wie Convenience, Gebrauchstauglichkeit oder Komfortzone nachweisen.

      Ein erheblicher impliziter Komplexitätsanteil kennzeichnet die Modelle der Aufgabenkomplexität und Spielkomplexität (Hærem/ Pentland/ Miller 2015), vor allem in Gestalt der Komponentenkomplexität und dynamischen Komplexität sowie des Complex Problem Solving (Dörner/ Funke 2017, S. 6). Ganz analog unterscheiden sich das Single Loop-Lernen, Double Loop-Lernen und Triple Loop-Lernen nicht nur durch unterschiedliche Lerninhalte (also Aktivitäten, Regeln und Lernmethoden), sondern auch durch die Diversität der Lernmodalitäten (image Kap. 2.8.2).

      Auch der Übergang von Extremalzielen auf Satisfizierungsziele (z. B. angemessener Gewinn statt maximaler Gewinn) macht die Zielerreichung leichter und mitunter auch einfacher. Ähnlich sind Folgerstrategien (etwa von Generika-Anbietern) im Vergleich zu Führerstrategien leichter umsetzbar, weil sie mit einem geringeren Investitionsvolumen einhergehen und implizit auch einfacher angelegt sein können. Unfertige Produkte (z. B. Bausätze für Regale, Beta-Versionen) und Dienste (z. B. Lieferung an Abholstationen oder frei Bordsteinkante) sind hingegen für Abnehmer insofern schwierig, als sie zur finalen Fertigstellung bzw. Logistik nicht ohne Ressourcen des Abnehmers auskommen.

      Schließlich kann man Gemeinsamkeiten und Unterschied zwischen materialer Leichtigkeit und formaler Einfachheit auch anschaulich anhand des Konzepts der »einfachen Sprache« illustrieren, die mitunter auch als »leichte« Sprache bezeichnet wird. Die Aspekte der Einfachheit setzen sich zusammen aus geringer Vielzahl (Anzahl der Wörter im Wortschatz, Anzahl der Wörter in einem Satz: kurze Sätze), geringer Vielfalt (keine Fremdwörter, keine Fachwörter), Vermeidung von Vieldeutigkeit (keine interpretationsbedürftigen Idiome; Übersichtlichkeit durch Absätze) und wenig Veränderlichkeit, d. h. nur gleich bleibende Bezeichnungen mit konstanter Bedeutung. Demgegenüber wird die Leichtigkeit der Sprache erreicht, indem man negative Sprache und Zahlenangaben in Ziffern (statt in Worten) vermeidet und Bilder verwendet. Aus der Beschäftigung mit der Leichtigkeit bzw. Einfachheit der Sprache wird ein weiteres Element des Komplexitätskonstrukts erkennbar: Der Schwierigkeitsgrad und damit auch der Komplexitätsgrad können nicht absolut bestimmt werden, sondern nur in Abhängigkeit von den vorhandenen individuellen Sprachfähigkeiten sowie Übersetzungs- und Rechtschreibprogrammen.

      1.1.3 Stellenwert von Komplexitätsmodellen

      Die Relevanz des Komplexitätsmanagements, vor allem die skizzierte heuristische Kraft von komplexitätsfokussierten Interventionen, wird entscheidend durch die Bewertung von Komplexität


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