Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter

Die Chiemsee Elfen - Yvonne Elisabeth Reiter


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trägt in sich die Fä­hig­keit, mu­tig zu sein. Als Dorf­na­me ver­kör­per­te es das Herz des Vol­kes, das in die­sem Ort ge­mein­sam leb­te, also das Ge­mein­schafts­herz des El­fen­stam­mes Shen­ja. Alle dort le­ben­den El­fen wa­ren gute We­sen. Die­se po­si­ti­ve Ener­gie ließ das Ge­mein­schafts­herz stark und kräf­tig schla­gen.«

      Ein Mo­ment der Stil­le trat ein, in der Aar nach­denk­lich wirk­te. »In die­sem Dorf leb­ten nicht nur El­fen, son­dern auch Men­schen. Der klei­ne Bru­der von Kö­nig Aar ver­lieb­te sich in ein Men­schen­mäd­chen und hei­ra­te­te sie. Ihr Name war Jo­se­phi­ne und bei­de leb­ten im Kö­nigs­schloss. Sie wa­ren ein glü­ck­li­ches Paar, das am Tage ih­rer Hoch­zeit in eine präch­ti­ge Zu­kunft blick­te. Die­ses Schick­sal soll­te sich je­doch wen­den und so muss­ten sie mit ih­rem Volk flie­hen, um ihr Le­ben zu ret­ten. Auf der Rei­se ge­bar Jo­se­phi­ne zwei ge­sun­de Kin­der, die sie an der Küs­te von Corn­wall mit ih­rem Mann wei­ter durchs Was­ser zie­hen ließ.«

      »War­um hat sie das ge­tan? Hat­te sie ihre Kin­der nicht lieb, Opa?«

      Aar schüt­tel­te leicht den Kopf und mein­te: »Nein, nein, das war nicht der Grund. Ganz im Ge­gen­teil. Es war viel zu ge­fähr­lich, die Kin­der zu­rück­zu­las­sen, und so gab Jo­se­phi­ne sie frei, um sie zu schüt­zen.«

      »Wie meinst du das?«

      »Um durch das Was­ser zie­hen zu kön­nen, brauch­te sie die fein­stoff­li­che Hül­le ei­ner El­fen­haut. Als Mensch war es ihr nicht mög­lich, sich der schwie­ri­gen Um­ge­bung an­zu­pas­sen so­wie so lan­ge un­ter Was­ser zu blei­ben. Durch die Schwan­ger­schaf­ten mit El­fen­kin­dern hat­te sich ihre Haut be­reits ver­wan­delt, den­noch nicht ge­nug, um die Rei­se zu über­ste­hen.«

      Sei­ne Wor­te ver­stumm­ten, so­dass Ni­mue auf­sah und in sein nach­denk­li­ches Ge­sicht blick­te.

      »Viel­leicht«, sag­te er hoff­nungs­voll und strich mit sei­nem Zei­ge­fin­ger über ihre Nase, »ist sie noch am Le­ben. Durch die Schwan­ger­schaf­ten hat sie vie­le Fä­hig­kei­ten und Ei­gen­schaf­ten der El­fen über­nom­men. Die Men­schen re­a­gie­ren al­ler­dings sehr in­di­vi­du­ell dar­auf.«

      Da be­schleu­nig­te sich Ni­mu­es Herz­schlag und sie frag­te auf­ge­regt: »Wo könn­te Jo­se­phi­ne jetzt sein? Soll­ten wir sie nicht su­chen? Sie ge­hört doch zur Fa­mi­lie.«

      »Ja, das tut sie. Trotz­dem ist es sehr un­wahr­schein­lich, dass sie noch lebt. Ihr Ehe­mann hat die Hoff­nung bis zu sei­nem letz­ten Atem­zug nicht auf­ge­ge­ben. Er hat mit al­len Mit­teln ver­sucht, sie zu fin­den; ver­ge­bens. Man glaubt, dass die Dun­kelel­fen sie ge­tö­tet ha­ben.«

      Ni­mue lief bei die­sem Ge­dan­ken ein kal­ter Schau­er über den Rü­cken.

      Aar be­merk­te dies und er­wähn­te so­gleich: »Weißt du, dass sie da­mals die Grup­pen­see­le un­se­res Vol­kes ganz schön durch­ein­an­der­ge­bracht hat?«

      »Grup­pen­see­le?«

      »Ja. Ein Volk hat nicht nur ein ge­mein­sam schla­gen­des Herz, son­dern auch eine See­le. Die­se wird bei El­fen so­wie bei Men­schen durch Emo­ti­o­nen be­rührt, und Jo­se­phi­ne war ein sehr emo­ti­o­na­ler Mensch. Da­her be­ein­fluss­te sie die Grup­pen­see­le über­aus stark und das be­weg­te das gan­ze Kö­nig­reich. Wenn sie wein­te, fühl­te je­der ihre Trau­rig­keit und um­ge­kehrt, wenn sie lach­te, ihre Fröh­lich­keit. Ihr gro­ßer Ein­fluss war ei­gen­ar­tig, den­noch war er deut­lich zu spü­ren.«

      Er hielt einen Mo­ment lang inne.

      Ni­mue wand­te sich ihm zu und be­merk­te den lee­ren Aus­druck sei­ner Au­gen. Sie konn­te sich die­se Lee­re nur der­art er­klä­ren, dass er tief in sei­nen Ge­dan­ken ver­sun­ken war.

      »Wo wa­ren wir ste­hen ge­blie­ben?«, un­ter­brach er die Stil­le, »eh, ge­nau, sie wa­ren auf der Su­che nach ei­ner neu­en Hei­mat. Ur­sprüng­lich woll­ten sie sich an der Küs­te von Corn­wall an­sie­deln, da die­se Halb­in­sel ein be­son­ders schö­ner Teil der Erde ist. Die dor­ti­gen Volks­s­täm­me je­doch mach­ten es ih­nen un­mög­lich. Sie ver­tei­dig­ten ihr Land um je­den Preis. Da un­se­re Vor­fah­ren schon im­mer ein fried­lie­ben­des Volk wa­ren, ent­schlos­sen sie sich wei­ter­zu­zie­hen und zwar nach Frank­reich. Die Ent­schei­dung über oder un­ter Was­ser zu rei­sen war ein­fach, da die Pi­ra­ten­geis­ter eine grö­ße­re Ge­fahr als die ein­zel­nen Mee­res­be­woh­ner dar­stell­ten.«

      Ni­mue mein­te auf­ge­wühlt: »Da hat Jo­se­phi­ne ihre Fa­mi­lie zum letz­ten Mal ge­se­hen?«

      »Ja, mei­ne Klei­ne, dort pas­sier­te es. Das Ziel war nun der an­de­re Teil von Eu­r­o­pa. Der Teil, den sie noch nicht kann­ten. Sie hat­ten von den vor­bei­zie­hen­den Vö­geln viel über des­sen Schön­heit ge­hört. Aus die­sem Grund wa­ren sie vol­ler Hoff­nung, dort ein neu­es und schö­nes Zu­hau­se zu fin­den. Es dau­er­te je­doch Hun­der­te von Jah­ren, bis sie an der fran­zö­si­schen Küs­te an­ka­men.«

      »War­um dau­er­te es so lan­ge, Opa?«, frag­te Ni­mue er­staunt.

      »Weil der eng­li­sche Ka­nal dicht be­sie­delt ist und die Be­woh­ner nicht ge­ra­de er­freut wa­ren, von ei­ner Her­de El­fen ge­stört zu wer­den. Es kos­te­te vie­le an­stren­gen­de Ver­hand­lun­gen mit den je­wei­li­gen Stam­mes­füh­rern, um die Er­laub­nis der Durch­rei­se zu er­hal­ten. Sie muss­ten Kom­pro­mis­se ein­ge­hen und sich den stän­di­gen Ver­än­de­run­gen der Um­ge­bung an­pas­sen. Dies al­les kos­te­te Zeit. Trotz al­le­dem ha­ben sie letzt­end­lich ihr Ziel ver­wirk­licht und für ihre Nach­fah­ren ein neu­es Reich auf­ge­baut, in dem Frie­den und Har­mo­nie herr­schen.«

      »Du meinst das Reich Shen­ja und un­ser tol­les Schloss?«

      Er nick­te zu­stim­mend. »Ja, das mei­ne ich. Ha­ben wir es hier nicht be­son­ders schön?«

      Sie lä­chel­te ihn zu­frie­den an. »Das ha­ben wir, Opa. Aber wie sind sie den wei­ten Weg hier­her­ge­kom­men?«

      »Erst ein­mal sind sie an der Küs­te in Frank­reich ge­lan­det. Frank­reich hat ih­nen sehr gut ge­fal­len, da die dor­ti­ge Le­bens­wei­se fast ei­nem Hof­ze­re­mo­ni­ell äh­nel­te. Sie ge­nos­sen das gute fran­zö­si­sche Es­sen und ihre zu­meist klas­si­sche Mu­sik. Die Men­schen fei­er­ten fröh­lich und dies auf eine so schö­ne, re­spekt­vol­le Art und Wei­se, dass sie sich ger­ne an­schlos­sen. Nach dem lan­gen Was­ser­auf­ent­halt woll­ten sie wie­der an Land le­ben und so durch­fors­te­ten sie die Wäl­der nach ei­nem Ort, an dem sie ihr Reich auf­bau­en könn­ten. Die Su­che war je­doch ver­ge­bens, denn dort leb­te be­reits eine gro­ße An­samm­lung von Men­schen. Kein Platz war mehr frei und so muss­ten sie wei­ter­zie­hen. Dar­auf­hin tra­fen sie auf ein Land na­mens Ita­li­en. Erst wa­ren sie be­geis­tert von dem gu­ten Es­sen und auch der Wein war dort be­son­ders rein und da­her für El­fen gut ver­träg­lich. Doch die Men­schen spra­chen so laut mit­ein­an­der, dass es ih­nen un­ge­müt­lich er­schien. Sie ent­schlos­sen sich, wei­ter­zu­zie­hen. Zu die­ser Zeit be­geg­ne­ten sie kurz vor ei­ner Stadt na­mens Rom freund­li­chen Wald­geist­be­woh­nern. Die­se lu­den sie ein, bei ih­nen ein­zu­keh­ren, um sich für die wei­te­re Rei­se aus­zu­ru­hen und zu stär­ken. Der Geis­ter­kö­nig nann­te sich Rory, was so viel wie ro­ter Kö­nig be­deu­te­te und rot war er auch


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