Heißes Blut. Un-su Kim

Heißes Blut - Un-su Kim


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eine Seilbahn zur Schildkröten-Insel und bauten mitten am Strand einen dreistöckigen Sprungturm und eine Hängebrücke zu einer der kleinen, vorgelagerten Felseninseln. In den Zwanzigerjahren, als es in Busan nicht einmal eine Straßenbahn gab, muss die übers Meer schwebende Gondel ein atemberaubender Anblick gewesen sein. Im Sommer strömten dreihunderttausend Menschen aus allen Winkeln des Landes an die Küste von Guam. Selbst sogenannte VIPs mussten den Manager des Hotels Mallijang bestechen, wenn sie in der Hochsaison ein Zimmer haben wollten. Auch wenn der Strand noch so verdreckt war von den stinkenden Abwassern der Sashimi-Restaurants, der Bordelle und Armenviertel, gab es dort im Sommer keinen freien Quadratzentimeter Sand.

      Da die Yakuza wussten, dass ihnen ein Hotelmanager mit japanischem Namen möglicherweise zum Problem werden konnte, setzten sie einen Strohmann ein, einen gewissen Son Heungsik, den Großvater von Vater Son. Son Heungsik hatte keinerlei Schulbildung, war jedoch ein intelligenter, hellwacher Mann, zu dem die Yakuza volles Vertrauen hatten. Doch dann kam das Jahr 1945 und mit ihm Japans Zusammenbruch. Überstürzt kehrten alle Japaner in die Heimat zurück, und Son Heungsik konnte das Hotel klammheimlich übernehmen. Es gab viele Koreaner, die so vom allgemeinen Chaos profitierten und sich die Firmen oder geheimen Vermögen ihrer Chefs aneigneten.

      Dank der Methoden, die Son Heungsik bei den Japanern gelernt hatte, kam er rasch zu Geld. Geschickt führte er das Hotel und kaufte nach und nach Bars, Bordelle und Kasinos auf, die Japanern gehört hatten. So gewann er immer mehr Einfluss und kontrollierte schließlich am Hafen ein ganzes Händlernetz für illegale Importware. Als während des Koreakrieges der Regierungssitz vorübergehend nach Busan verlegt worden war, konnte er auf der amerikanischen Militärbasis Camp Hialeah Waffen und Vorräte unterschlagen, was ihm enormen Profit einbrachte. Die Jahre zwischen 1945 und 1960 waren gute Jahre für Son Heungsik. Eine Truppe von zweihundert seiner Gangster war Tag und Nacht in der Nähe des Hotels stationiert. Sein Einfluss war so groß, dass die Leute sagten, am Tag sei Rhee Syngman Präsident und in der Nacht Son Heungsik.

      Bis zum 13. Februar 1960. Auf dem Höhepunkt von Son Heungsiks Macht tauchte um drei Uhr morgens die Polizei im Hotel auf und verhaftete ihn. Drei Tage und Nächte lang prügelte man in einem Keller auf ihn ein. Als blutiges Wrack kehrte er zurück und starb zwei Tage später. Er war übel zugerichtet worden: Beim Waschen und Herrichten seiner Leiche für die Beerdigung stellte man fest, dass jeder Zentimeter Haut grün und blau geschlagen war, und alle Glieder gebrochen waren. Hintergrund für diese ungewöhnliche Brutalität war ein Konflikt mit Lee Ki-poong, der Nummer zwei der Regierung. Son Heungsik hatte das Verbrechen begangen, den Parteioberen, unter deren Schutz er sein Vermögen aufgebaut hatte, nicht ausreichend Dankbarkeit zu erweisen. Natürlich hatte er sich bedankt, aber auf seine Weise, und die reichte in Lee Ki-poongs Augen nicht aus. Der bereitete sich nämlich zu dieser Zeit auf seine Wahl zum Vizepräsidenten vor und brauchte Geld, viel Geld, denn Wahlen waren schon immer ein teures Vergnügen. Das wusste Son Heungsik, es lag also nicht an fehlendem Scharfblick, dass sein Leben ein so frühes, dramatisches Ende nahm. Im Gegenteil, sein Scharfblick war gerade das, was ihn ins Verderben stürzte. Für ihn war klar, dass dem amtierenden Präsidenten Rhee Syngman die Luft ausging und er auf sein Ende zusteuerte. Lee Ki-poongs Zeit hingegen würde bald anbrechen, und zwar schon sehr bald. Son Heungsik beschloss also, kein Geld mehr in einen alten, morschen Sack zu stecken, der bald zerreißen würde, sondern es sich für den neuen aufzusparen. Er wartete ab, um dann in die neue Regierung unter Lee Ki-poong zu investieren. Leider konnte er Lee von der Ehrlichkeit seiner Absichten nicht überzeugen. Und so stürzte ihn sein Scharfblick ins Verderben. In den drei Tagen und Nächten, in denen Son Heungsik im Keller einer Polizeiwache totgeprügelt wurde, konnte seine Familie nichts für ihn tun. Das Geflecht an Beziehungen zu Politik und Wirtschaft, das er im Laufe seines Lebens geknüpft hatte, half nicht angesichts dieser Übermacht. Einen Monat nach Son Heungsiks Tod, am 15. März 1960, wurde Lee Ki-poong durch groben Wahlbetrug zum Vizepräsidenten gewählt. Einen weiteren Monat später flüchtete derselbe Lee- Kipoong mit seiner ganzen Familie in Raum 36 der Residenz des Präsidenten. Die Liberale Partei lag nach dem Aufstand vom 19. April am Boden. In die Enge getrieben, übernahm es Lees ältester Sohn Lee Kang-seok, zu dieser Zeit Unterleutnant des Heeres, erst den Vater, die Mutter und den jüngeren Bruder zu erschießen und dann die Waffe gegen sich selbst zu richten.

      Der absurde Mord an seinem Großvater hatte Vater Son schon in jungen Jahren gezeigt, dass auch ein bekannter, einflussreicher Verbrecher gegenüber den politischen Mächten ein Nichts war und dass jeder, der die Arroganz besaß, diese Mächte herauszufordern, am Ende immer der Nagel war, den der Hammer traf. Auf dieser schmerzhaften Lektion fußte seine Theorie des die Klappe haltenden Gangsters, der sich so unsichtbar machte wie eine tote Maus.

      Vater Sons Erzeuger, Son Jeongmin, war ein groß gewachsener, kräftiger Kerl. Ein ganz normaler Mann, der wie fast alle in der Provinz Gyeongsang seine Freunde und den Alkohol liebte, viel Pflichtgefühl besaß und gern mit Geld um sich warf. Wenn einer seiner Kumpel in Gefahr geriet, fühlte er sich selbst angegriffen und zögerte keine Sekunde, dem Freund zu Hilfe zu eilen. Leider endete das Leben dieses jungen, aufrechten Mannes schon vor seinem 30. Geburtstag bei einer Messerstecherei mit einem amerikanischen Soldaten mitten in Gwangbokdong. Die Zeugenaussagen über die Ursache dieser Auseinandersetzung gingen weit auseinander. Angeblich hatte der Soldat auf offener Straße eine junge Koreanerin belästigt, worauf Son Jeongmin im Gegensatz zu den umstehenden Gaffern beherzt eingegriffen hatte. Andere behaupteten, Son Jeongmin sei wie ein Esel losgestürmt, ohne ein Wort Englisch zu verstehen. Die Koreanerin sei in Wirklichkeit die Freundin des Amerikaners gewesen, und die beiden hätten einfach nur Streit gehabt. Wie auch immer, die Sache führte jedenfalls zu allerlei Gerede: Für die einen war es der Tod eines Patrioten und ein Beispiel für den Heldenmut der Männer von Busan, für die anderen ein Tod aus Dummheit, den er sich aus Unkenntnis der englischen Sprache eingebrockt hatte – was im Übrigen zeigte, wie wichtig es für das eigene Überleben war, diese zu beherrschen. Vater Son ließ keinen Zweifel daran, wie er über den Tod seines Vaters dachte: »Er ist gestorben wie ein Idiot, weil er sich zum Narren gemacht hat. Wer als Gangster so eine dumme Show abzieht, ist weg vom Fenster, zack, aus, das war’s.«

      DAS KUCKUCKSDEPOT

      In der Lagerhalle rotierten drei riesige Ventilatoren. Vietnamesische Arbeiter hatten begonnen, Säcke mit chinesischem Chilipulver von dem Laster abzuladen, der sich durch die engen Straßen der Stadt gequält hatte. Hinter den Vietnamesen fing ein gutes Dutzend mit Kehrschaufeln bewaffneter Frauen schon an, das Importpulver mit koreanischem Chili zu vermischen. Ein scharfer Geruch breitete sich in der Halle aus.

      Das aus Ziegeln und Schiefer errichtete zweistöckige Gebäude war eigentlich nur als Speicher gedacht, Menschen sollten nicht darin arbeiten. Im Verhältnis zu seiner Größe gab es zu wenige und im Übrigen lächerlich kleine Fenster, und da weder eine Heizung noch eine Klimaanlage existierte, beschwerten sich die Arbeiter vor allem in den Winter- und Sommermonaten häufig. Doch der günstige Standort – in Hafennähe, aber abseits gelegen – hatte rasch dazu geführt, dass Vater Son das Lager für die Herstellung seines falschen Sesamöls und die Verwandlung von kalifornischen in koreanische Bohnen nutzte. Man nannte es das »Kuckucksdepot«.

      Weil es zudem als Zwischenlager für Schmuggelware diente, tauchten dort manchmal auch Luxusprodukte auf, die über den Hafen eingeschleust worden waren: Wodka, europäischer Wein, Elektrogeräte von Sony oder Aiwa, russische Pelze, Inhaltsstoffe der chinesischen Medizin. Doch in erster Linie wurden dort banalere Waren gehortet, die weniger Gewinn brachten und einen höheren Einsatz von Arbeitskräften erforderten: Bohnen, Sesam, getrocknete Sardellen und eben Chilipulver.

      Huisu war mit Vater Sons Geschäftsmodell nicht recht glücklich. Beim Schmuggeln galt eigentlich die Faustregel: je höher das Risiko, desto größer der Gewinn. Mut zahlte sich aus. Doch in Vater Sons Augen war Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Von Drogen und Waffen wollte er nichts wissen und mied grundsätzlich alle Produkte, die verstärkt vom Zoll kontrolliert wurden. Schon immer ein eher ängstlicher Mensch, war er seit dem Gefängnisaufenthalt vor einigen Jahren eine richtige Memme. Wenn man mit Chilipulver oder chinesischen Bohnen aufflog, konnte das seiner Meinung nach quasi als Mundraub durchgehen, und man kam mit ein paar Scherereien davon, die in wenigen Monaten ausgestanden waren; wer aber beispielsweise mit Waffen


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