Heißes Blut. Un-su Kim
und Chilischwaden. Was nicht durch die Fenster entweichen konnte, wirbelte bis zur Decke und sank dann langsam wieder zu Boden. Die mangelhafte Luftqualität schien Vater Son nicht im Mindesten zu stören. Zufrieden lächelnd betrachtete er die Berge von Chilipulver.
»Siehst du? Ich hab’s dir doch gesagt, Chilipulver läuft dieses Jahr. In letzter Zeit ist der Kurs ganz schön gestiegen. Ich denke, wir können den Großhandelspreis mindestens verfünffachen.« Aus seiner Stimme klang Stolz.
»Macht Ihnen das so große Freude, die armen Bauern übers Ohr zu hauen? Kein Funken schlechtes Gewissen?«, spottete Huisu.
»Ich gebe zu, ein bisschen unangenehm ist es mir schon. Deshalb mische ich ja wenigstens einen Teil koreanisches Chilipulver unter. Ganz ehrlich, manche nehmen nur zehn Prozent, das muss man sich mal vorstellen, wir dagegen mischen ganze zwanzig Prozent unter. Ich habe gehört, dass es in Masan manchmal sogar nur fünf Prozent sind. Das ist doch grausam. Fünf Prozent! Ich verstehe nicht, wie man so niederträchtig sein kann. Wie sollen unsere Bauern denn da überleben?«
Huisu reagierte mit einem sarkastischen Lachen. Fünf Prozent, zehn Prozent, was machte das für einen Unterschied? Außerdem ging es Vater Son doch nur um die Papiere. Denn um das gepanschte Pulver überhaupt in den Handel bringen zu dürfen, musste man beweisen, dass man es in Korea gekauft hatte. Vater Son vermischte also ein bisschen koreanisches Chilipulver mit großen Mengen geschmuggeltem Pulver, um es dann – auf der Grundlage gefälschter Rechnungen – an die Grossisten verkaufen zu können.
»Was gibt’s da zu lachen?«, sagte Vater Son in scharfem Ton; Huisus Grinsen hatte ihn offensichtlich gekränkt.
»Wie bitte?«
»Du machst dich doch gerade über mich lustig, oder?«
»Aber nein, ganz und gar nicht.«
»Von wegen. Gewöhn dir das gleich mal ab, dich wegen jeder Kleinigkeit über deinen Boss lustig zu machen. Sonst wirkt es zu despektierlich, und dann fangen die Jungs noch an, es dir nachzumachen.«
Vater Son bückte sich, nahm eine Handvoll Chilipulver und rieb es prüfend zwischen den Fingern. Dann nickte er zufrieden und stieg die Treppe hinauf ins obere Stockwerk. Huisu folgte ihm. Als Vater Son die Tür zu seinem Büro öffnete, fuhr der dicke Wächter, der gerade seine jjajang-Nudeln aß, vom Stuhl hoch.
»Seit wann sind Sie hier?«, fragte er und wischte sich mit dem Handrücken über den soßenverschmierten Mund.
»Was schaufelst du da alles in dich rein, dass du gar nicht mitbekommst, wer hier ein und aus geht? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst aufpassen, vor allem wenn Ware kommt?« Plötzlich war Vater Sons Zorn entfacht.
Der Dicke sammelte hastig die auf dem Tisch verteilten Gerichte ein: Eine doppelte Portion jjajang-Nudeln, ein Teller gebratenes Schweinefleisch, ein weiterer mit Maultaschen und noch einer mit gebratenem Gemüse, dazu eine Flasche chinesischer Schnaps. Bildschirme an der Wand zeigten die Aufnahmen der Überwachungskameras, die vor Kurzem am Hauptportal, an der Hintertür, am Parkplatz und am Eingang zur Lagerhalle installiert worden waren. »Tss«, machte Vater Son, während sein Blick wütend über die auf dem Tisch verstreuten Teller wanderte. Daran gewöhnt, auf jede Laune seines Chefs einzugehen, krümmte der Dicke den feisten Körper zu einer tiefen Verbeugung.
Der »Entleerte« nannten ihn alle. Warum man ausgerechnet ihm diesen seltsamen Spitznamen gegeben hatte, war angesichts seiner Körperfülle von annähernd 130 Kilogramm rätselhaft. Vielleicht hatten Frauen sich das ausgedacht, denn im Bett neigte er wohl tatsächlich dazu, sich allzu rasch zu entleeren. Der Entleerte war jedenfalls so dick, dass ihn jede Bewegung anstrengte und er literweise schwitzte. Bei dem gewaltigen Körper hätte es niemand vermutet, doch er hatte ein sanftmütiges, freundliches Wesen, war unendlich langsam und für Schlägereien eigentlich nicht zu gebrauchen. Kurzum: ein Koloss, aber fürs Gangsterleben völlig ungeeignet. Früher hatte er sich sein Furcht einflößendes Aussehen zunutze gemacht und als Türsteher in einer Bar gearbeitet, ein Job, in dem er sich darauf beschränkte, bedrohlich zu wirken. Doch seit einer Knieoperation konnte er nicht mehr so lange stehen. Da er früh im Gangstermilieu gelandet war, hätte er inzwischen eigentlich als einer der Altgedienten respektiert werden müssen, aber die Jüngeren verachteten ihn. Deshalb hatte Vater Son ihm die Bewachung des Lagers anvertraut. Jemand, der sich nicht gern bewegte, war bestimmt als aufmerksamer Wächter zu gebrauchen. Das hatte er jedenfalls gedacht.
»Verdammt noch mal, was bist du für ein Idiot! Jedes Hundebaby hätte das Lager besser bewacht als du«, schimpfte Vater Son.
»Er ist hier ganz allein zuständig, und essen oder mal aufs Klo darf er ja wohl, oder? Er kann doch nicht die ganze Zeit auf die Bildschirme starren. Ist gut jetzt. Los, du kannst zu Ende essen.« Huisu klopfte dem Entleerten beruhigend auf die Schulter, worauf der sich erneut tief verbeugte, diesmal vor ihm.
Vater Son warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Habe ich gesagt, dass er nicht essen soll? Wenn nichts los ist, kann er sich ja meinetwegen ein bisschen entspannen, aber doch nicht gerade dann, wenn Ware kommt. Da muss man auf Zack sein.«
»Entschuldigung«, sagte der Entleerte.
»Wann sind die hier fertig?«
»Im Prinzip heute.«
»Die sollen den Laster gleich heute Nacht wieder beladen. Ist besser, der Krempel liegt hier nicht lange rum.«
»In Ordnung.«
»Und du, bring mir einen ssanghwacha.«
Der Entleerte verließ das Büro, um ihm den Tee zu holen. Die Metalltreppe schepperte unter seinen schweren Schritten.
Vater Son schüttelte bekümmert den Kopf. »Nichts, aber auch gar nichts an diesem Jungen gefällt mir«, sagte er.
»Jetzt haben Sie sich nicht so. Er will doch nur wie alle das Leben in vollen Zügen genießen, nur dass sein Körper eben dabei nicht mitmacht.«
Vater Son deutet feixend auf die vielen Teller. »Wenn man so viel isst, wie soll der Körper da mitmachen? Ist das etwa eine Mahlzeit für eine Person? Davon kann man eine ganze Bürogemeinschaft ernähren.«
Während sich Huisu mit halbem Ohr Vater Sons Genörgel anhörte, schenkte er sich ein Glas Schnaps ein und leerte es in einem Zug. Dann brach er die Wegwerfstäbchen auseinander und nahm sich ein paar Stücke von dem Gemüse.
Vater Son beobachtete ihn besorgt. »Hast du heute noch nichts gegessen?«
»Ich hatte die Augen noch nicht ganz auf, da haben Sie mich schon hergerufen, wann soll ich denn da gegessen haben?«
»Du solltest mehr schlafen. Jede Nacht versumpfst du im Kasino, und am nächsten Tag torkelst du durch die Gegend wie ein krankes Küken. Du warst doch wieder bei Jiho und hast die ganze Nacht Baccara gespielt, oder?«
»Ich habe nicht Baccara gespielt.«
»Du lügst. Deinetwegen stopft sich Jiho die Taschen immer voller.«
Schweigend schluckte Huisu ein paar Bissen Gemüse. Er schenkte sich noch ein Glas ein, trank es aus und verzog das Gesicht. Der Alkohol brannte ihm im Magen.
»Um wie viel Uhr triffst du heute Abend die Typen vom Zoll?«
»Um sechs.«
»Wenn ihr alles in trockenen Tüchern habt, gehst du aber sofort. Man sollte nie länger als nötig bei der angeheirateten Familie herumsitzen, es bringt nichts, und genauso wenig bringt es, länger als nötig mit Leuten herumzusitzen, die für den Staat arbeiten. Das ist schon seit Menschengedenken so.«
»Chef Gu scheint übrigens auch zu kommen. Wird sicher ein heißer Abend.«
»Was soll denn das heißen? Was will denn der Arsch von Bulle?«
»Na, es hieß doch, wir gehen in eine Go-go-Bar, da will er sicher die Gelegenheit nutzen und umsonst saufen. Und mit den Mädchen hat er’s ja auch immer noch, obwohl er keinen mehr hochkriegt.«
An dieser ebenso überraschenden wie wertvollen Information