Landsby. Christine Millman

Landsby - Christine Millman


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einen Freund, obwohl ich ihm eigentlich misstrauen sollte, weil er zum Personal gehört. Natürlich wundert es mich, dass er so viel Zeit mit mir verbringt, schließlich bin ich nicht die einzige Probandin. Meine Theorie ist, dass mein Vater ihn bestochen hat, damit er mich im Auge behält. Im Grunde ist es mir egal, warum er meine Nähe sucht, solange ich mit ihm reden kann und mich in seiner Gegenwart wohlfühle. Ich mag seine weiche Stimme. Sie entspannt mich. Deshalb lasse ich ihn auch gerne vorlesen.

      Wenn Samuel anderweitig beschäftigt ist, unternehme ich Spaziergänge und erkunde das Laborgelände. Dabei führt mich mein Weg immer wieder zum Spielplatz. Üblicherweise ist er leer, doch an den Spuren im Sand kann ich erkennen, dass jemand da gewesen sein muss. Heute bin ich früh dran, weil Samuel nicht zum Frühstück erschienen ist und ich es in meinem Zimmer nicht aushalte. Schon als ich aus der Tür trete, höre ich das Kreischen und Lachen. Ein ungewohnter Laut in der Kolonie. Aufgeregt passiere ich das Gebäude und spähe um die Ecke.

      Da sind sie. Die Kinder. Neun an der Zahl.

      Zwei Soldaten beaufsichtigen ihr Spiel. Ich erkenne sofort, dass mit den Kindern etwas nicht stimmt. Drei haben eine Glatze. Eines zieht das linke Bein nach, wenn es rennt. Fabios Worte schießen in meinen Kopf. Sie pfuschen an ihrem Erbgut herum. Auch bei natürlichen Schwangerschaften kommt es zu Fehlbildungen, aber nicht derart geballt.

      Ich rühre mich nicht und halte mich im Schatten des Gebäudes, damit mich die Soldaten nicht bemerken. Die Kinder lachen und rennen, spielen Fangen, wie ganz normale Kinder, nur dass die zwei Unversehrten dabei sehr rabiat vorgehen. Sie schubsen die anderen und kommandieren sie herum. Ein schmächtiges Mädchen, das gerade einen fiesen Knuff von einem der Rabauken erhalten hat, sieht zu mir herüber. Als sie mich entdeckt, lächelt sie scheu und winkt. Ich fühle mich ertappt, winke aber zurück. Mein Magen krampft sich zusammen.

      Eines Tages wird auch mein Kind hier spielen.

      Das ist eine absurde Vorstellung, die mir einen Schauer über den Rücken jagt.

      Von rechts nähert sich eine Frau. Dem Aussehen nach muss sie eine Probandin sein, doch ich habe sie noch nie gesehen. Wahrscheinlich lebt sie in einem der anderen Häuser. Ihre mit grauen Strähnen durchzogenen Haare sind zerzaust, der Blick starr und sie schlurft, als wäre sie gebrechlich oder krank.

      Ich mustere sie heimlich, versuche zu schätzen, wie alt sie ist. Ende zwanzig vielleicht. Wie selbstverständlich steuert sie auf mich zu, stellt sich neben mich und beobachtet die Kinder schweigend.

      »Ist eines davon deins?«, wage ich zu fragen.

      Sie dreht den Kopf und fixiert mich mit diesem abwesenden, verschwommenen Blick, den ich bereits bei Nasha bemerkt habe. Als hätte sie irgendwas genommen. Pilze oder ein Beruhigungsmittel.

      »Es sind alles meine Kinder«, antwortet sie schleppend.

      Da mir das unwahrscheinlich erscheint, bin ich mir sicher, dass sie unter Drogeneinfluss steht. »Das kann nicht sein.«

      Sie kneift die Augen zusammen und blinzelt, als würde sie angestrengt nachdenken. Dann lächelt sie plötzlich und deutet auf ein glatzköpfiges Mädchen, das so hoch schaukelt, dass es sich fast überschlägt. »Die da ist nicht von mir.«

      Einer der Soldaten bemerkt uns. »Was tust du hier, Betty?«, ruft er. »Geh ins Haus, bevor wir Dr. Schneider rufen.«

      »Wo ist deine Mutter?«, ruft Betty dem Soldaten zu. »Wo ist sie? Hast du sie je kennengelernt?«

      Das Gesicht des Soldaten wird hart. »Mach, dass du wegkommst. Sofort!«

      Mit großen Schritten marschiert er auf uns zu und misst mich mit einem prüfenden Blick. Durch und durch Soldat. »Bist du die Neue?«

      Ich nicke, mein Hals ist plötzlich wie zugeschnürt. Etwas in seinem Augen verunsichert mich. Die Pupillen. Sie sind riesig und an den Rändern violett. Wie eigenartig.

      »Geh ins Haus. Das hier ist nichts für dich.« Mit dem Zeigefinger macht er eine kreisende Handbewegung neben seiner Schläfe. »Betty ist ein wenig durch den Wind, verstehst du?«

      Ich werfe einen Blick auf Betty, die nun ihrerseits den Soldaten fixiert. Zitternd ergreift sie seine Hand. »Wo ist deine Mutter, Junge?«

      Er verzieht das Gesicht und schüttelt sie ab wie ein ekliges Insekt. Der zweite Soldat eilt herbei, überwindet die Distanz zwischen Spielplatz und uns in einem Atemzug. Er ist unglaublich schnell. Geschickt greift er nach Bettys Arm und dreht ihn auf den Rücken. Betty stöhnt auf und krümmt sich nach vorn. Ich weiche erschrocken zurück. Warum sind die Männer so grob? Die Kinder halten inne und starren uns neugierig an.

      »Verschwinde«, zischt der erste Soldat mir zu.

      Unsicher blicke ich zwischen Betty und ihm hin und her. »Was hat sie denn getan?«

      »Das geht dich nichts an«, knurrt der Soldat und ergreift mich. Wie Stahlklauen schließen sich seine Finger um meinen Oberarm. Unbarmherzig zerrt er mich fort. Hinter mir höre ich Betty nach ihren Kindern rufen, bis ihre Stimme plötzlich erstirbt. Ich blicke über meine Schulter. Der Soldat hält ihr den Mund zu. Sie zappelt, Tränen laufen über ihre Wangen. Unbeeindruckt zwingt der Soldat sie in das gegenüberliegende Gebäude.

      »Wie geht es Betty?«, frage ich Dr. Schneider am nächsten Morgen, während sie per Ultraschall das Ergebnis der Hormonspritzen überprüft.

      Einen Herzschlag lang wirkt sie verblüfft, doch sie hat sich sofort wieder im Griff. »Du bist Betty begegnet? Wo?«

      »Draußen beim Spielplatz. Sie hat die Kinder beobachtet.«

      Dr. Schneider zögert einen Moment und drückt auf irgendwelchen Schaltern herum, macht Standbilder von meiner Gebärmutter.

      »Ist eines davon ihr Kind?«, wage ich zu fragen. Dr. Schneider gibt sich zwar eher kühl und distanziert, dennoch erscheint sie mir wie jemand, mit dem man reden kann.

      »So fertig.« Sie reicht mir ein Tuch, mit dem ich mir den Bauch abwischen soll. »Das Menogon hat gut angeschlagen. Am Donnerstag können wir die Follikelpunktion vornehmen.«

      Sie steckt den Ultraschallkopf weg, dreht das Gerät zur Seite und setzt sich neben mich auf die Pritsche. Ihr Blick ist ernst und entschlossen. »Betty ist krank«, sagt sie.

      »Was hat sie denn?«

      »Sie leidet unter einer Psychose. Ihr Realitätsbezug ist gestört. Eigentlich steht sie unter ständiger Beobachtung, doch manchmal gelingt es ihr, ihren Aufpassern zu entkommen.«

      Ich schiebe mein T-Shirt über den Bauch, schließe die Hose und setze mich auf. »Wie lange ist sie schon so?«

      Dr. Schneider zuckt mit den Schultern. »Seit ein paar Monaten. Wir versuchen herauszufinden, was die Krankheit ausgelöst haben könnte, bisher ohne Erfolg.«

      Ich denke daran, wie Betty den Soldaten gefragt hat, ob er seine Mutter kennen würde. Das und die seltsamen Augen bestärken mich in der Annahme, dass die Soldaten Produkte der künstlichen Befruchtungen sind. Genetisch perfektionierte Menschen.

      »Darf ich sie besuchen?«, frage ich.

      »Das würde ich dir nicht empfehlen, Jule. Sie redet wirr und der Anblick anderer Probandinnen könnte sie verstören.«

      Kurz legt sie ihre Hand auf meine Schulter und steht auf. »Mach dir keine Gedanken um Betty. Kümmere dich lieber um dich selbst. Gesunde Kinder zur Welt zu bringen sollte dein vorrangiges Ziel sein.«

      Ich schweige, obwohl ich eigentlich noch tausend Fragen habe. Doch Fragen zu stellen ist in der Kolonie unerwünscht, das zeigt sich selbst in Dr. Schneiders distanzierter Freundlichkeit.

      Zum Mittagessen erscheint Samuel nicht und auch nicht zum Abendessen. Das frustriert mich und macht mich zugleich nervös. Ich brenne darauf, mit ihm über die Kinder zu reden.

      Nach dem Essen gehe ich in mein Zimmer und versuche, mich mit Lesen abzulenken. Erfolglos. Ich kann


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