Landsby. Christine Millman

Landsby - Christine Millman


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mit dem Palmenschnaps. »Eher Durst.«

      Gemeinsam machen wir uns über den Alkohol her, bis mein Vater an mich herantritt und mich ermahnt, nicht so viel zu trinken, damit ich bei der offiziellen Ehrung nicht betrunken bin und außerdem demonstriere, dass ich auf meinen Körper achte. Wie auf Kommando erscheint General Albert, was die Stimmung der Leute gewaltig dämpft. Dabei wirkt er nicht mal besonders beindruckend, eher lächerlich. Er ist klein, O-beinig und hager und macht immer eine verkniffene Miene, als leide er unter Verstopfung. Seine Brille, ein überdimensioniertes Drahtgestell, ist selbst nach unseren Maßstäben hässlich und alt. In seiner Position könnte er sicher eine Ansehnlichere bekommen. Aber er gehört dem Offiziersrat an, weswegen ihm alle mit Achtung begegnen. Nach dem Salut meines Vaters begrüßt er ihn mit einem Händedruck. Glücklicherweise müssen Zivilisten nicht salutieren, sodass mir das erspart bleibt. Die Höflichkeit fordert, dass ich ihm etwas zu Essen bringe, während mein Vater ihm einen großen Schluck Palmschnaps einschenkt. Er wirkt angespannt und wachsam. Seltsam. Er scheint sich in General Alberts Nähe ebenso unwohl zu fühlen wie ich.

      »Du bist also Jule«, schnarrt General Albert, als ich ihm einen Teller reiche. Dabei mustert er mich auf eine abschätzende Weise, als würde er versuchen, meinen Wert zu erfassen. »Ich erinnere mich noch, als du gerade mal so groß gewesen bist.« Er hält die Hand in Höhe seiner Hüfte.

      Verkrampft zwinge ich meine Mundwinkel nach oben und hoffe, dass es wie ein Lächeln aussieht.

      »Es erfüllt uns mit Stolz, dass du dich bereit erklärt hast, dich für den Erhalt der Kolonie einzusetzen. In der Tat bist du die Tochter deines Vaters. Mutig und stark«, fährt er fort. Das soll wohl ein Kompliment sein, klingt aus General Alberts Mund jedoch wie eine Beleidigung. Mit einem Seitenblick registriere ich, wie nervös mein Vater ist. Bestimmt befürchtet er, ich könnte bockig werden und verraten, was ich wirklich vom Reproduktionsprogramm halte. Natürlich tue ich das nicht. Ich lächle und bedanke mich für das Lob. Dafür macht Manja eine finstere Miene, die für uns beide reicht.

      Nach dem Essen beginnt die Zeremonie. General Albert rückt seine Brille zurecht und schwadroniert über die glorreiche Zukunft der fünf Kolonien und den Erfolg des Reproduktionsprogramms, bevor er sich offiziell bei mir und allen anderen Frauen, die bereits das Opfer gebracht haben und noch bringen werden, bedankt. Einige Leute haben Tränen in den Augen vor Rührung. Anschließend zählt er die Privilegien auf, die ich und meine Familie dank der Teilnahme am Programm erwarten dürfen, was die Leute zu neidvollen Aahs und Oohs verleitet. Bestimmt hoffen viele in ebendiesem Moment, dass ihr Nachwuchs fruchtbar sein möge. Als General Albert mir den Pin mit dem roten Herz ansteckt, brandet Beifall auf. Palmschnaps macht die Runde gefolgt von Hochrufen auf meine Gesundheit. Mein Vater steht daneben, wie ein Schwachsinniger grinsend. Er wirkt erleichtert. Mittlerweile sind meine Wangen verkrampft vom ständigen Lächeln und meine Augen tränen. Ich muss unbedingt hier weg. Ein paar Männer mit Gitarren und Mundharmonika finden sich zusammen und beginnen, zu musizieren. Eine Frau singt dazu. Sie hat eine tolle Stimme und normalerweise würde ich ihr gerne eine Weile zuhören, aber da sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Band richtet, ist das die beste Gelegenheit, um zu verschwinden. Gemeinsam mit Manja husche ich zwischen den Wohnblocks davon. Wir gehen zum Fluss, setzen uns auf den Bootssteg und stippen die Füße ins Wasser. Ich warte darauf, dass sie mich nach meinem Besuch bei Fabio fragt, doch das tut sie nicht. Stattdessen reden wir über Belanglosigkeiten. Obwohl wir beide wissen, dass dies mein letzter Abend in Freiheit ist, wagen wir nicht, das Thema anzuschneiden. Der Mond wirft sein fahles Licht auf das Wasser. In der Ferne tuckert ein Dieselmotor. Alles wirkt fast schmerzhaft friedlich.

      Und endgültig.

      »Das ist Müll, was der Albert erzählt, das weißt du oder?«, beginnt Manja schließlich.

      »Ja«, stimme ich zu. »Ich weiß.«

      Was ich auch weiß ist, dass sie mit mir abhauen würde, doch das will ich nicht. Nicht, solange ich keine Ahnung habe, was da draußen auf uns wartet. Fabios Worte, so vage sie auch waren, wirkten nicht gerade verheißungsvoll. Aber was ist das kleinere Übel? Die Außenwelt oder das Programm?

      »Ich würde mit dir abhauen«, bestätigt Manja. Sie sieht mich nicht an, spricht in eine unbestimmte Ferne. Sie versucht gefasst zu wirken, doch ich sehe ihre Kiefernmuskeln zucken, und wie sie mit den Händen die Planken des Bootsstegs umklammert, bis ihre Knöchel weiß hervortreten. Sie ist mindestens genauso angespannt wie ich.

      »Dafür fehlt mir der Mut«, gebe ich zu. »Vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Und wie Paul gesagt hat: Es geht vorbei.«

      »Ach Paul, dieser Arschkriecher.« Sie nimmt meine Hand und sieht mich zum ersten Mal, seit wir auf dem Bootssteg sitzen, an. »Alles scheiße, oder?«

      Ich lasse den Kopf sinken. Aus irgendeinem Grund schießen mir Tränen in die Augen und fließen über meine Wangen. Manja lässt mich weinen und versucht nicht, mich mit billigen Phrasen zu trösten.

      Bevor wir uns verabschieden, nehme ich ihr das Versprechen ab, die Kolonie nicht zu verlassen und schwöre ihr im Gegenzug, dass sie und ihre Familie einen Teil der Essensmarken bekommen, die mein Vater für mich erhält, damit ihr Bruder keine Pilze mehr verkaufen muss. Sie tut als könnte sie das keinesfalls annehmen, doch ich bestehe darauf. Außer meinem Vater habe ich keine Familie und als Kommandant ist er gut versorgt. Manja braucht die extra Rationen dringender.

      Anschließend gehe ich zu Paul. Es ist bereits nach Mitternacht, als ich seinen Wohnblock erreiche. Glücklicherweise wohnt er mit seinen Eltern im Erdgeschoss, sodass ich mich nicht durch das Treppenhaus schleichen muss. So leise wie möglich klopfe ich gegen sein Fenster. Er öffnet sofort und ich klettere ich in sein Zimmer. Da stehen wir und betrachten einander. Mondlicht erhellt den Raum und lässt unsere Gesichter unnatürlich bleich wirken. Um meine Beklommenheit zu vertreiben, streiche ich seine Haare zur Seite, damit ich seine Augen sehen kann, die in dem spärlichen Licht ganz dunkel aussehen. Wir müssen nicht reden, es ist bereits alles gesagt. Was wir im Begriff sind zu tun, haben wir nicht abgesprochen, und zum ersten Mal stehen wir nicht unter dem Einfluss der Zauberpilze. Pauls Kuss ist entsprechend zaghaft, wird jedoch rasch drängender, als ich meine Hände unter sein T-Shirt schiebe und über seinen Rücken taste. Seine Haut ist warm und glatt. Hastig streifen wir unsere Kleider ab und sinken auf das schmale Bett. Sex ohne Zauberpilze ist anderes, aber überraschend schön, doch wir müssen leise sein. Pauls Eltern schlafen nebenan und die Wände sind dünn.

      Im Morgengrauen husche ich nach Hause, wo ich meine Habseligkeiten in eine große Segeltuchtasche packe und mich an die Hoffnung klammere, dass ich durch die Nacht mit Paul schwanger geworden bin. Das würde mir den ersten Eingriff ersparen. Mein Vater sitzt am Küchentisch, den Rücken gerade, die Hände wie zu einem Gebet gefaltet. Er fragt nicht, wo ich die ganze Nacht gewesen bin und ich hülle mich in Schweigen. An den Schatten unter seinen Augen und der bleichen Haut erkenne ich, dass er nicht viel geschlafen hat. Wahrscheinlich befürchtete er, dass ich abgehauen sein könnte, und ist jetzt erleichtert.

      »Du bist eine Heldin«, versucht er mich aufzumuntern.

      Ich schnaube abfällig. »Wohl eher eine Gefangene, die irgendwelche Wissenschaftler an ihrem Körper herumpfuschen lassen und Kinder bekommen muss, die ihr gleich nach der Geburt aus den Armen gerissen werden. Klingt wirklich heldenhaft, das muss ich schon sagen.«

      Nach meinen Worten wirkt mein Vater bedrückt, sodass ich fast ein schlechtes Gewissen bekomme. Aber nur fast.

      »Es ist ja nicht für ewig«, murmelt er.

      »Du hast gut reden.« Ich sollte lieber schweigen, denn es ändert nichts, wenn ich jetzt mit ihm streite, doch die Worte sprudeln einfach aus mir heraus. »Meine besten Jahre werde ich hinter den Mauern des medizinischen Zentrums verbringen. Wer weiß, in welchem Zustand ich sein werde, wenn ich rauskomme.«

      Meine Sorge ist nicht ganz unbegründet, mein Vater weiß das. Die meisten Frauen sind nach den zehn Jahren körperlich und seelisch am Ende, nur spricht niemand darüber. Am allerwenigsten die Betroffenen.

      Schweigend starren wir einander an. Ich sehe


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