Zwischen "nicht mehr" und "noch nicht". Ulla Peffermann-Fincke

Zwischen


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6 (frühes Erwachsenenalter)

      Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit

      Lebensstufe 7 (reifes Erwachsenenalter)

      Den eigenen Weg finden

      Lebensstufe 8 (Mitte des Leben)

      Verantwortung versus Überheblichkeit

      Lebensstufe 9 (Ausscheiden aus dem Berufsleben)

      Die große Chance, weise zu werden

      Lebensstufe 10 (Lebensabend)

      Abschiedlich leben

      Jedes Kind hat ein Bedürfnis nach Nahrung, Geborgenheit, Nähe zur Mutter oder anderen Bezugspersonen. Während der Schwangerschaft ist der Fötus auf besondere Weise geborgen, so, wie es das Kind später nie mehr sein kann. Der Fötus ist durch eine Symbiose der lebenswichtigen Systeme – Herz-Kreislauf, Stoffwechsel – mit der Mutter in der Gebärmutter verbunden. Es ist wie ein Leben im Paradies. Aber es kann nicht immer so sein. Beide spüren: Es muss etwas Neues geben, die Zeit im Mutterleib ist begrenzt.

      Wenn das Kind dann außerhalb des Mutterleibes erfährt, dass das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit trotzdem erfüllt wird, und es spürt, es wird nicht alleingelassen, kann es ein tiefes Vertrauen entwickeln, dass auch die neue, unbekannte, kalte Welt zu einem Zuhause werden kann. Ja, diese neue Welt ist aufregend, will erkundet werden.

      Dazu ist es nötig, dass der Säugling auch das Misstrauen kennenlernt. Die Mutter oder der Vater können nicht immer sofort da sein, weil sie zum Beispiel etwas im Haushalt tun müssen oder mit Geschwistern oder anderen Menschen beschäftigt sind. Das Kind muss auch die Frustration ertragen, dass seine Wünsche nicht sofort erfüllt werden. Diese Zeiten, in denen das Neugeborene alleine ist, fördern sein Misstrauen. Es ist wichtig, dass ein Kind Vertrauen und Misstrauen kennenlernt. Entscheidend für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung aber ist, dass sich das Vertrauen stärker entwickelt als das Misstrauen. Die Erfahrungen in dieser Lebensphase sind prägend für unser ganzes Leben. Ramona Rudolf, eine junge Hebamme, äußert sich hierzu folgendermaßen: »Die Entstehung von Urvertrauen ist viel diskutiert. Ich denke, dem Neugeborenen geht es um die Befriedigung seiner Bedürfnisse. Davon hat es wenige: Nahrung, Geborgenheit und Zuwendung. Diese Bedürfnisse kann es nur über Körpersprache und das Schreien kundtun. Urvertrauen entsteht dann, wenn die Eltern diese Aufgaben zuverlässig wahrnehmen. Sie erkennen ein Bedürfnis und erfüllen es. Dann lernt das Kind, dass für es gesorgt wird, wenn es etwas braucht. Des Weiteren wollen Kinder sich geliebt fühlen. Dieses Gefühl entsteht durch häufigen Körper- und Hautkontakt. Meist können die Bedürfnisse nicht prompt erfüllt werden, weil die Eltern oft noch gar nicht wissen, was dem Kind fehlt. Insofern kommt es zu einer geringen Verzögerung der Bedürfniserfüllung. Wenn diese Verzögerung im Rahmen bleibt, wirkt sich dies aber nicht negativ auf die weitere Entwicklung des Urvertrauens des Kindes aus.«

      Kleine Kinder sind gute Beobachter, aber schlechte Interpreten. Sie nehmen wahr, dass die Eltern unruhig, in einer schlechten Stimmung sind oder keine Zeit haben. Sie erleben in dieser Situation mangelnde Zuwendung und leiden daran. Die kindliche Seele ist sehr verwundbar. Was uns trösten kann, ist die Erfahrung, dass die neugeborenen Kinder einen Schutz haben. Die Seele des Kindes ist gewissermaßen von einer schützenden Hülle umgeben. Diesen Schutz können wir den kleinen Kindern noch nicht erklären, aber wir können sie später für sie durch Bilder, Lieder und Gebete erfahrbar machen.

      Das Kind beginnt in dieser Lebensphase eigene Wege zu gehen, zum Beispiel die Wohnung zu erforschen. Das wird unterstützt durch die neu erlernten Fähigkeiten: Gehen, Sprechen und Stuhlkontrolle. Konkret muss das Kind lernen, Dinge festzuhalten oder loszulassen. Freud und Erikson weisen deshalb auf die Reinlichkeitserziehung hin, die von den Psychoanalytikern auch als anale Phase bezeichnet wird.

      In dieser Zeit entwickelt das Kind eine Vorstellung von »ich« und »du« und von »meins« und »deins«. Für die Eltern ist diese die Erforschung der Umgebung manchmal etwas strapaziös, wenn alle Regale und Schränke ausgeräumt werden – und selten wieder ein – oder der teure CD-Player nach einer solchen Erkundungsreise seinen Geist aufgibt.

      Zudem fordert der Trotz des Kindes die Geduld der Eltern. Viele fühlen sich gerade in dieser Phase überfordert durch die Wut, die aus den Kindern herausbricht. Für die Identitätsbildung ist diese Phase jedoch sehr wichtig, weil sich hier das eigene Selbstbewusstsein herausbildet und in späteren Jahren wesentlich dazu beiträgt, ob jemand neugierig auf die Welt ist und Freude daran hat, etwas Neues zu entdecken.

      Den aufrechten Gang lernen kleine Kinder im Alter zwischen neun Monaten und zwei Jahren. Dazu muss man viel üben und mutig sein: sich drehen, hochziehen, hinfallen, wieder aufstehen – und irgendwann kommt der Moment, da das Kind losgeht und dem eigenen Körper vertraut. Es spürt einen Drang, eine Sehnsucht nach »oben«. Das ist nicht nur eine biologische Tatsache, sondern auch eine spirituelle Erfahrung und hat gravierende Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein. Der kleine Mensch ist nun kein Baby mehr, sondern ein Kleinkind und kann loslaufen!

      In dieser Lebensphase sucht der kleine Mensch nach seinem Platz in der Welt. Es merkt: Es gibt andere Kinder und andere Familien. Der Kreis erweitert sich, räumlich und in Bezug auf Personen. Erste Freundschaften werden geschlossen. Die meisten gehen jetzt in die Kita, die aus zwei Gründen eine immer größere Bedeutung hat: Hier lernen sie gemeinsam mit anderen Kindern und erleben mit Erzieherinnen und Erziehern neue Bezugspersonen außerhalb der eigenen Familie.

      Spielerisch erleben Kinder die Welt und üben verschiedene Rollen ein. Diese Zeit ist also ein Schlüssel zur Welt der Erwachsenen. Wer arbeitet, ist erwachsen. Deshalb lieben Kinder in dieser Altersstufe das Nachspielen von Berufen und Alltagssituationen der Erwachsenen, zum Beispiel im berühmten Kaufmannsladen, wo noch richtig bedient wird. Oder das Geschehen auf dem Bauernhof, wo der Acker gepflügt und die Tiere gefüttert werden. Kinder sind Lokomotivführer, die mit der Spielzeugeisenbahn im Kreis fahren, und Piloten, die ihre Flugzeuge sicher durch die Lüfte steuern. Und oft überlegen Kinder in diesem Alter auch, wen sie später einmal heiraten wollen. Ich erinnere mich an einen Jungen im Kindergarten, der mir einen Heiratsantrag machte, und ich überlegte, wie ich ihm sagen sollte, dass ich nicht einverstanden war!

      Im Folgenden schließen sich nach der Beschreibung der jeweiligen Lebensstufe Fragen an, die der eigenen Reflexion dienen. All unsere Erfahrungen haben uns zu dem Menschen gemacht, der wir heute sind. Indem wir unser eigenes Leben nochmals betrachten, können Zusammenhänge deutlich werden, warum wir so sind, wie wir sind. Die meisten Menschen können sich bis in die Kindergartenzeit zurückerinnern. Deshalb laden wir zu einer Zeitreise ein, die in dieser Lebensstufe beginnt:

      Übung

      Suchen Sie sich einen ruhigen Platz und eine ruhige Zeit und überlegen Sie: Welche Erinnerung haben Sie an Ihre Kindergartenzeit? Waren es Personen oder Ereignisse, an die Sie sich gut erinnern? Wie haben Sie sich in der Kindergartenzeit gefühlt? Hatte die Zeit prägenden Charakter? Wenn ja, inwiefern? Gab es erste Freundschaften? Vorbilder? Orientierung? Welche Rollenspiele haben Sie gemocht? Was wollten Sie später einmal werden?

      Dieser Lebensabschnitt beginnt mit der Einschulung. In den letzten Jahren bekam er eine immer größere Bedeutung. Man kann das an den Einschulungsgottesdiensten erkennen, die meist so voll sind wie sonst nur an Weihnachten. Es ist ein imposanter Anblick, wenn die Kinder mit ihren recht großen Schulranzen und mit ihren Eltern sowie Oma und Opa in die Kirche kommen und am Ende des Gottesdienstes mit ihren Klassenlehrerinnen aus der Kirche ziehen und gemeinsam zu ihrer Schule gehen. Der Schulbeginn ist ein wichtiges Ritual auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Das Wichtigste an diesen Gottesdiensten ist dabei die Segnung. Die Erstklässler treten einzeln nach vorne und werden gesegnet mit einem biblischen Wort, zum Beispiel Psalm 84,12: »Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild; der Herr gibt Gnade und Ehre: er wird kein Gutes mangeln lassen,


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