Zwischen "nicht mehr" und "noch nicht". Ulla Peffermann-Fincke
Es gibt aber eine Gefahr, die nicht verschwiegen werden sollte: Das Bewusstsein, auf einer neuen Stufe zu stehen und die neuen Aufgaben bewältigen zu können, braucht einen inneren Halt. Es braucht Vertrauen – Selbstvertrauen und Gottvertrauen. Es ist unsere Versuchung, diesen Halt im Äußeren zu finden. Beim Schulbeginn wird das deutlich an der Ausstattung der Schulkinder, was Schulranzen und Kleidung betrifft. Das Vergleichen beginnt!
Ich erinnere mich an eine Situation in meinem ersten Jahr am Gymnasium. Ich hatte eine neue Freundin gefunden und besuchte sie nachmittags. Ich fuhr mit dem Bus dorthin und war beeindruckt von dem großen Haus, in dem sie wohnte, mit riesigem Garten drum herum. Abends wollten die Eltern mich nach Hause fahren. Das war mir äußerst peinlich. Ich wollte nicht, dass sie unser einfaches Reihenhaus sehen. Ich sagte, sie könnten mich an der Ecke absetzen, ich würde den Rest zu Fuß gehen. Das taten sie natürlich nicht! »Alle Not kommt aus dem Vergleich« – das bekommen wir schon sehr früh im Leben zu spüren.
Nicht nur die äußeren Dinge müssen dem Vergleich standhalten, sondern mit Beginn der Schulzeit sind die Kinder erstmals damit konfrontiert, dass es unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten gibt. Manche sind sportlich, andere musikalisch, manchen fällt das Lernen leicht, manche tun sich schwer. Diese Unterschiede werden bewertet, und es ist hart, wenn man sich nur »auf den hinteren Rängen« befindet. Dann ist es besonders wichtig, dass das Kind spürt, ganz unabhängig von Leistung geliebt zu werden.
Es ist interessant, dass Kinder, die sonst häufig zu Hause und in der Schule laut und unkonzentriert sind, dann, wenn sie intrinsisch, also von innen heraus für eine Sache motiviert sind, in dieser Lebensphase herausragende Leistungen erbringen. Die meisten Kinder sind neugierig, wollen vieles ausprobieren und Erfahrungen machen. Sie wollen beispielsweise unbedingt ein Instrument erlernen oder widmen sich intensiv einer Sportart. Oft wechselt das Interesse und es gilt, die Balance zu halten zwischen alles Mögliche möglich zu machen und flexibel auf die Wünsche des Kindes zu reagieren und dem Kind beizubringen, an einer Sache dranzubleiben und Frustrationen zu ertragen, wenn es mal schwierig wird.
Übung
Welche Erinnerung haben Sie an Ihre Schulzeit? Gab es Dinge, die Sie gut konnten oder für die Sie sich besonders interessiert haben? Haben Sie Freunde fürs Leben gefunden? Welche Rolle haben Sie in der Klasse gehabt? Eine Führungsposition? Oder waren Sie Mitläufer, Außenseiter? Wie haben Sie Ihre Freizeit verbracht? Welche Dinge haben Sie ausprobiert?
Lebensstufe 5: »Held / Heldin« oder die Angst zu versagen
Interessant an dieser Lebensstufe ist, dass diese gesamte Zeit eine Übergangsphase bildet: vom Kind zum Erwachsenen. In dieser Zeit ist der Mensch weder Kind noch erwachsen. Und das macht es so schwierig. Physisch und psychisch verändert sich enorm viel.
Im Alter zwischen 12 und ca. 16 Jahren befinden sich Menschen in einer Lebensphase, die eine neue Dimension in ihr Leben bringt. Der junge Mensch geht in Konfrontation mit seinen Eltern und entdeckt seine Sexualität. Die Erfahrung von Sehnsucht, Leidenschaft und Begierde bringt die Welt der Jugendlichen durcheinander. Sie sind so mit sich beschäftigt, dass die Schule zeitweise keine große Rolle mehr spielt. Stattdessen geht es darum, herauszufinden, wer bin ich als Mann oder Frau? Das lässt sich letztlich nicht theoretisch herausfinden durch Information und Gespräche, so wichtig es auch ist, den eigenen Körper biologisch zu verstehen. Männlichkeit und Weiblichkeit kann ich nur entdecken, wenn ich Erfahrungen mache. Das ist nicht ungefährlich. Sexualität ist eine große Kraft. Sie zu zähmen, nicht aber zu unterdrücken, ist eine große Lebensaufgabe. In der Pubertät entdecken viele mit der Sexualität eine Kraft, die Berge versetzen kann, die zum Guten, aber auch zur Zerstörung von persönlichen Beziehungen führen kann.
Die pubertierenden jungen Menschen müssen herausfinden, welche Nähe und Distanz für sie gut ist. Dabei ist ein Begleiter hilfreich. Das kann Vater oder Mutter sein, oft ist es aber einfacher, jemanden zu haben, der wie ein großer Bruder oder eine große Schwester zu einem steht, jemanden, dem man vertrauen kann. Neben dem Erwachen der Sexualität ist die Abgrenzung von den Eltern und vom ganzen »Establishment« wichtig, um die eigene Identität zu finden. Während der Pubertät werden alle Gefühle sehr intensiv erlebt, große Glücksgefühle, aber auch Wut, Verzweiflung und Enttäuschung, Einsamkeit. Negative Gefühle werden häufig auf Eltern und Familie projiziert, sie sind schuld an dem empfundenen »Weltschmerz«. Eltern sind oft ratlos und fühlen sich ohnmächtig. Sie können sich nur damit trösten, dass diese schwierige Zeit vorübergehen wird. Die Jugendlichen aber stecken mittendrin und sind oft uneins mit sich selbst.
In dieser Unsicherheit suchen sie nach Halt in einer Gruppe, einer Clique. Sie sind auf der Suche nach Anerkennung, möchten sich beweisen und ihren Platz finden. Gleichzeitig spüren sie die Angst, Erwartungen nicht zu genügen, dass andere besser ankommen und beliebter sind.
Pubertierende zeigen oft eine große Sehnsucht nach Ekstase, nach Verschmelzen in einer großen Gruppe Gleichgesinnter bei Konzerten, Fußballspielen, politischen Demonstrationen oder kirchlichen Großveranstaltungen. Solche großen Feste – gemeinsam besucht – können wieder neu ein Band zwischen Jugendlichen und Erwachsenen knüpfen.
Übung
Denken Sie zurück an Ihre Jugendzeit, an die erste Freundschaft, an die ersten intimen Erlebnisse mit dem anderen Geschlecht. Denken Sie an die Momente der Einsamkeit und Verlassenheit! Was hat Ihnen immer wieder Mut gemacht?
Lebensstufe 6: Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit
Die nächste Lebensstufe beginnt mit dem Ende der Schulzeit. Neun bis dreizehn Schuljahre liegen dann hinter uns und haben uns geprägt. In den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Ende der Schulzeit häufig nicht gefeiert. Es galt als altmodisch. Ich habe zum Beispiel mein Abiturzeugnis im Vorzimmer des Schulrektors von der Sekretärin ausgehändigt bekommen. Als ich danach draußen stand, hatte ich ein komisches Gefühl – das war nun alles? Den anderen Abiturienten ging es genauso.
Heute ist uns bewusster, wie wichtig es ist, das Ende von Lebensphasen zu feiern und für alles, was war, Dank zu sagen. Es tut der Seele gut, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, was alles in den vergangenen Jahren geschehen ist. Wie viele Stunden der Angst es gab, dass die Noten nicht genügen, oder des Stolzes, wenn es gut lief. Die Freundschaften mit Klassenkameraden kommen aus der Erinnerung hoch, ebenso an die unerfüllten Sehnsüchte, aber auch die erfüllten Zeiten. Es ist gut, sich das noch einmal bewusst zu machen und dann davon Abschied zu nehmen. Den Blick wenden von dem, was war, zu dem, was kommt.
Heute gibt es eine Renaissance der Tradition, »auf der Walz« zu sein, also als Handwerksgeselle von zu Hause wegzugehen, auf eigenen Beinen zu stehen, Neues zu lernen, den Horizont zu erweitern und Klarheit über den eigenen Weg zu finden.
Viele wollen deshalb auch nach dem Abitur einen »Break« und nicht gleich studieren, sondern ein Jahr etwas anderes erleben und sehen, häufig auch eine Zeitlang arbeiten. Ein solches Jahr ist für die Persönlichkeitsentwicklung sehr wichtig. Das Bewältigen von schwierigen Situationen gehört zum Erwachsenwerden dazu. Pippi Langstrumpf sagt es so: »Oh, das hab ich ja noch nie gemacht. Na, dann wird es wohl gelingen.«
Als unsere Tochter nach dem Abitur nach Tansania ging, haben wir uns tränenreich verabschiedet. Sie ging durch die Gepäckkontrolle am Flughafen und hat sich nicht mehr umgedreht. Sie wusste nur den Namen eines Mönches, der sie am Flughafen in Daressalam abholen sollte.
Irgendwann beginnen dann aber alle ein Studium oder eine Ausbildung und machen somit weiter mit dem Lernen. Es hat aber jetzt eine andere Qualität: ernsthafter und selbstbestimmter. Der junge Mensch wird erwachsen. Einerseits ist das Studentenleben von einer Freiheit geprägt, die es so im späteren Leben nicht mehr gibt. Andererseits gehen viele Studenten neben dem Studium noch arbeiten, um sich Wohnung und Unterhalt leisten zu können. Daher ist das Studium teilweise eine sehr anstrengende Zeit, die viel Disziplin erfordert.
Die meisten jungen Erwachsenen suchen zudem in dieser Lebensphase nach einer festen Beziehung, einer Liebe, die tiefer geht und länger hält als die Beziehungen zuvor und auch schwierige Phasen übersteht. Ob in einer festen Beziehung oder nicht, es gibt ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit, entweder