Stille Wasser sind auch nass. Mila Roth

Stille Wasser sind auch nass - Mila Roth


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wir?« Markus runzelte die Stirn. »Würde da nicht ein einzelner Personenschützer ausreichen, der ihr nicht von der Seite weicht?«

      »Grundsätzlich wäre das die normale Vorgehensweise.« Walter seufzte. »Frau Dr. Hochstaden ist jedoch ... Nun ja, sie mag auf ihrem Fachgebiet ein Genie sein, doch sie ist ... nicht ganz einfach.«

      »Nicht ganz einfach?« Skeptisch verzog Markus den Mund. »Wie ist das zu verstehen?«

      Walter faltete die Hände auf der Tischplatte. »Sie hat sich selbst einmal scherzhaft als Laborratte bezeichnet. Bedingt durch die intensive Forschungsarbeit im abgeschirmten Erltal-Labor kommt sie nicht oft unter Menschen. Deshalb hat sie nur wenig Gelegenheit, ihre sozialen Fähigkeiten zu schulen.« Er hob die Schultern. »Anfangs hat sie sich strikt geweigert, auch nur einen einzigen Vortrag zu halten. Insbesondere nachdem sie, wie gesagt, bereits einmal fast entführt worden wäre. Sie ist extrem introvertiert und ...« Er zögerte.

      »Schüchtern?«, warf Janna ein.

      Walter nickte. »Die ständige Präsenz eines Personenschützers macht ihr Angst und hindert sie laut Aussage ihres Therapeuten daran, sich zu konzentrieren.«

      »Sie hat einen Therapeuten?« Markus fasste sich an den Kopf.

      Walter warf ihm einen strengen Blick zu. »Ja. Daran ist nichts auszusetzen, oder?«

      Markus zuckte nur mit den Achseln. »Wenn es ihr hilft.«

      »Mich würde es auch kirre machen, wenn mir ein Fremder auf Schritt und Tritt folgen würde.« Janna warf Markus einen kurzen Seitenblick zu. »Ich bin nicht besonders schüchtern, aber ich kann mir schon vorstellen, dass sie Probleme hat, sich auf ihre Arbeit oder die Vorträge zu konzentrieren, wenn ihr ständig jemand im Nacken sitzt oder ihr praktisch ununterbrochen über die Schulter blickt. Wir hatten in der Schule einen Jungen, der war extrem schüchtern, aber ein Mathe-Genie. Aber wenn man ihn bedrängt hat oder wenn er vor Leuten reden musste, also zum Beispiel nach vorne an die Tafel gerufen wurde, um eine Aufgabe zu lösen, ist er regelmäßig zur Salzsäule erstarrt. Das war für ihn immer ganz schrecklich. Er hat sich auch nie selbst im Unterricht gemeldet und wenn unser Lehrer ihn mal drangenommen hat, hat er immer bloß herumgestottert. Später in der Oberstufe wurde es so schlimm, dass er tatsächlich auch eine Therapie gemacht hat. Ich bin ihm vor ein paar Jahren auf einem Klassentreffen wieder begegnet und da hat er mir erzählt, dass ihm diese Therapie wirklich geholfen hat. Sonst hätte er sein Studium niemals durchgestanden. Er ist immer noch ziemlich still und zurückhaltend, aber zumindest stirbt er nicht mehr tausend Tode, wenn er vor Leuten reden muss.« Verlegen räusperte Janna sich. »Entschuldigung. Meine Zunge ist wieder mal mit mir durchgegangen.«

      »Schon gut.« Walter lächelte ihr zu. »Ihre Schilderung bestärkt mich in meiner Entscheidung, Sie und Markus mit dieser Aufgabe zu betrauen.«

      Irritiert runzelte Janna die Stirn. »Weil ich diesen schüchternen Klassenkameraden hatte?«

      Walter lachte leise. »Weil Sie eine einfühlsame Person sind. Sicher werden Sie sehr gut mit Frau Dr. Hochstaden auskommen. Sie hat darum gebeten, den Personenschutz so wenig invasiv wie nur möglich zu gestalten. Deshalb wird Markus als Geschäftsmann mit Bundeswehrvergangenheit in die Konferenz eingeschleust. Sie, Janna, treten als seine Assistentin auf. Außerdem werden Sie beide, falls nötig, von Melanie Teubner unterstützt, die als Gasthörerin der Konferenz beiwohnen wird, sowie von Gabriel Riemann, der als Analyst selbst zwei Vorträge hält und ansonsten ebenfalls als Gasthörer auftritt.« Walter reichte Janna und Markus je einen Schnellhefter. »Hier habe ich alle relevanten Informationen zu Frau Dr. Hochstaden, der Konferenz und Ihrer Unterbringung im Hyatt Regency für Sie zusammengestellt. Janna, ich hoffe, für Sie geht dieser kurzfristige Auftrag in Ordnung. Soweit mir bekannt ist, befinden sich Ihre beiden Kinder derzeit in einer Ferienfreizeit, nicht wahr?«

      Verblüfft nickte Janna. »Ja, in einem Pfadfindercamp an der Mosel. Sie kommen am Montag zurück. Woher wissen Sie das?«

      Walter schmunzelte. »Das Monitoring Ihrer familiären Situation gehört zu meinen Aufgaben, damit ich die Vergabe von Aufträgen koordinieren kann.«

      »Aha.« Janna war anzusehen, dass sie nicht ganz sicher war, ob ihr dieses Monitoring gefiel.

      »Sie haben Gerlinde kürzlich davon erzählt.« Walter blinzelte ihr zu. »Nicht dass Sie glauben, wir würden Sie jetzt permanent überwachen. Das ist natürlich nicht der Fall.«

      »Oh ja, natürlich.« Janna entspannte sich wieder. »Das hatte ich ganz vergessen.«

      »Ich hoffe, Sie haben keine anderen Verpflichtungen am Wochenende?«

      »Nein.« Zögernd schüttelte Janna den Kopf. »Nur eine Sitzung des Landfrauenvorstandes, aber wenn ich da mal fehle, ist das nicht so schlimm. Es geht nur um die nächsten Termine für die Kochvorführungen unserer Vorsitzenden, da muss ich nicht zwingend mit dabei sein.«

      »Warum werde ich eigentlich nie vor einem Einsatz gefragt, ob ich schon etwas vorhabe?« Markus hatte den Hefter bereits aufgeschlagen und die ersten Seiten überflogen.

      Walter ging nicht darauf ein. »Die ID-Abteilung arbeitet bereits an Ihren Ausweisen und Lebensläufen. Ein entsprechendes Szenario mit Webseite Ihres Unternehmens und allen erforderlichen Unterlagen wird ebenfalls bis morgen Mittag erstellt sein, Markus. Bevor Sie morgen nach Köln fahren, gibt es noch einmal eine kurze Lagebesprechung drüben im Aquarium.« Walter erhob sich und reckte seine leicht untersetzte Gestalt. Dann nahm er sein graues Jackett von der Stuhllehne und zog es an. »Das wäre es für heute.«

      Markus und Janna erhoben sich gleichzeitig. Janna wandte sich noch einmal an Walter. »Wann lernen wir diese Frau Dr. Hochstaden denn kennen? Erst im Hotel?«

      »Ja.« Walter stand bereits in der Tür. »Aus organisatorischen Gründen geht es leider nicht früher. Sie werden sich beim Einführungsdinner kennenlernen. Die Details erfahren Sie morgen.« Er nickte ihr noch einmal lächelnd zu. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind genau das richtige Team für diesen Auftrag. Wir hoffen, dass Frau Dr. Hochstaden sich von Ihrer Gegenwart weniger beeinträchtigt fühlen wird als vom regulären Personenschutz. Mit etwas Glück freunden Sie sich sogar ein wenig mit ihr an und nehmen ihr die Scheu vor sozialen Interaktionen.«

      Janna biss sich auf die Unterlippe. »Da erwarten Sie aber viel von mir.«

      »Nicht mehr, als ich Ihnen zutraue.« Walter öffnete die Tür und ließ ihr den Vortritt. »Wir sehen uns morgen Mittag um zwölf im Aquarium.«

      Janna blickte in die Richtung des von Glasfenstern umgebenen Konferenzraums. »Da bin ich ja mal gespannt.«

      Markus stieß sie leicht mit dem Ellenbogen an. »Wird schon nicht so wild werden. Anscheinend haben sie uns erst mal was Einfaches zum Eingewöhnen herausgesucht.«

      »Etwas Einfaches?« Janna knabberte immer noch auf ihrer Unterlippe herum. »Wir haben noch nie zusammen Personenschutz gemacht.«

      »Doch, bei Mikolaj und seiner kleinen Schwester«, korrigierte er grinsend. »Das lief doch ganz gut.«

      »Ganz gut?« Janna schnaubte. »Wir wurden verfolgt, beschossen ... Das war ganz schön brenzlig.«

      »Na, dann kann es doch jetzt nur besser laufen, oder?« Markus berührte Janna leicht am Rücken, während sie nebeneinander zum Aufzug gingen, zog seine Hand jedoch rasch wieder zurück, als sie zu ihm aufsah. »Das Hyatt Regency wird während des gesamten Wochenendes sowieso hermetisch abgeriegelt sein, weil so viele hochrangige Wissenschaftler und Geheimnisträger anwesend sein werden. Und wenn die Zielperson so verpeilt ist, wie es nach Walters Beschreibung den Anschein hat, werden wir uns vermutlich eher die ganze Zeit langweilen und nicht ein einziges Mal außer Atem geraten.«

      Als sie in den Aufzug traten, blickte Janna ihn fragend von der Seite an. »Das klingt ja schon fast, als wärst du über den Auftrag enttäuscht.«

      »Keineswegs.« Er grinste schief. »Nach meinem letzten großen Einsatz ist es gar nicht so schlecht, mal eine ruhige Kugel zu schieben.«

      »Du hattest am Wochenende


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