Vorsorgen statt Hamstern. T. C. A. Greilich

Vorsorgen statt Hamstern - T. C. A. Greilich


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2020 zum deutschen Corona-Epizentrum machten – und nicht ohne am 15. März 2020 noch Kommunalwahlen in Bayern durchzuführen, als schon die Schulschließungen in Bayern für den nächsten Tag angekündigt waren.

      Zwar erfolgten nun Maßnahmen, die wenige Wochen vorher undenkbar erschienen. Aber nachdem das Coronavirus mindestens seit Dezember in China auftrat, war es ein Armutszeugnis, dass die Bundesregierung das Virus noch am 22. Januar 2020 als sehr geringes Gesundheitsrisiko einstufte und hierzulande erst im März 2020 ernsthaft begonnen wurde, dagegen vorzugehen. Man hörte bereits Wochen vorher, dass sich die chinesische Community hierzulande über die Fahrlässigkeit beklage, mit der Deutschland auf die Bedrohung nicht reagierte und Zeit verstreichen ließ.

      Seitdem kommt es darauf an, die Corona-Krise zu meistern. Die Gefahren einer Masseninfektion der Bevölkerung, eines kollabierenden Gesundheitssystems, von zahlreichen Unternehmenspleiten und steigender Arbeitslosigkeit, von Versorgungsengpässen, wenn wir die gerissenen Lieferketten und Produktionsunterbrechungen nicht nachhaltig in den Griff bekommen, von Staatshilfen, die die Verschuldung ins Unermessliche treiben, von abstürzenden Börsen, die die Altersversorgung von Teilen der Bevölkerung zunichtemachen, von Menschen, die in ihrer Hilflosigkeit auf die Barrikaden gehen usw. sind weitaus größer als etwa in der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008.

      Es gibt unterschiedliche Szenarien darüber, wie es weitergehen könnte: Im besten Fall haben wir bereits die Kontrolle über das Virus gewonnen, aber die Krise könnte durch einen erneuten Ausbruch auch zurückkehren. Gelingt es dann nicht, das Virus einzudämmen und von Ausgangsbeschränkungen abzusehen, besteht die Gefahr eines wirtschaftlichen Zusammenbruches, dessen gesellschaftliche und politische Konsequenzen kaum vorstellbar sind.

      Ob es eine zweite Corona-Welle geben wird oder nicht, ob es wirklich Lieferengpässe etwa bei Lebensmitteln und Medikamenten gibt, ist nicht allein entscheidend. Entscheidend ist, wie groß die Zahl der Menschen ist, die glauben, dass es eine zweite Corona-Welle geben könnte. Schon davon hängt ab, ob es erneut zu Hamsterkäufen und Versorgungsengpässen kommen wird. Dass es für diese Möglichkeit eine gewisse Eintrittswahrscheinlichkeit gibt, sollte ein ausreichender Grund sein, für diesen Fall vorzusorgen – oder aus der Corona-Krise Lehren für die pandemische Verbreitung eines anderen Erregers zu ziehen. Denn selbst in diesem Jahrtausend gab es durchschnittlich alle zwei, drei Jahre relevante Ausbrüche, wie ich noch zeigen werde.

      Wenn man über ein Thema schreibt, das gerade noch stattfindet, muss man an einem bestimmten Stichtag eine Abgrenzung vornehmen. Alles, was davor war, ist Vergangenheit, und alles, was danach kommt, bestenfalls Gegenstand einer plausiblen Vorausschau. Mein Stichtag für den ersten Teil dieses Buches, der auf die Corona-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 zurückblickt, ist der 10. Juni 2020.

       Einordnung des Coronavirus

       Definitionen

      Vorweg: Ein grippaler Infekt ist nicht bedeutungsgleich mit einer Grippe, und es gibt viel mehr Coronaviren als nur das SARS-CoV-2-Virus!

      Ob Erkältung oder Verkühlung, viraler oder grippaler Infekt – all dies sind umgangssprachliche Bezeichnungen für eine akute Infektion von Nasenschleimhaut, Nebenhöhlen, Rachen und/ oder Bronchien. Je nach Alter treten Erkältungskrankheiten unterschiedlich oft auf, gehören aber zu den häufigsten Infektionskrankheiten des Menschen und verlaufen meist harmlos. Die Infektion kann von unterschiedlichen Erkältungsviren verursacht werden, zu denen übrigens auch die Familie der Coronaviren gehört. Zusätzlich können Bakterien zu einer Sekundärinfektion führen.

      Von einem solchen grippalen Infekt muss die „echte“ Grippe oder Virusgrippe (Influenza) unterschieden werden. Hierbei handelt es sich zwar auch um eine Infektionskrankheit, die jedoch typischerweise von Influenzaviren ausgelöst wird und jährlich wiederkehrend (saisonal) auftritt. Durch uneinheitliche Krankheitsverläufe, oft mit unspezifischen Krankheitsanzeigen bzw. ohne typische Symptomatik, ist in vielen Fällen eine Verwechslung mit einer einfachen Erkältung möglich. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Influenza weniger häufig vorkommt, aber bei etwa einem Drittel der Infizierten deutlich schwerer verläuft. Durch den ohnehin geschwächten Organismus können bakterielle Sekundärinfektionen – etwa durch Pneumokokken, welche unter anderem Lungenentzündungen verursachen – besonders (lebens-) gefährlich werden.

      Die Familie der Coronaviren (Coronaviridae, CoV) ist seit den 1960er-Jahren bekannt. Coronaviren sind genetisch hochvariabel, können also durch die Überwindung der Artenbarrieren unterschiedlichste Wirtsspezies infizieren – neben Fledermäusen etwa Vögel, Fische und auch Menschen. Coronaviren können beim Menschen Komplikationen verursachen, die von leichteren Erkältungssymptomen bis hin zu schwereren Krankheiten wie SARS und MERS durch die Viren SARS-CoV und MERS-CoV reichen, auf die ich noch näher eingehen werde.

      Das zunächst als „neuartiges Coronavirus 2019“ (2019-nCoV) bezeichnete Virus SARS-CoV-2 ist genau das: neuartig, zuvor noch nicht beim Menschen nachgewiesen und deshalb vielfach noch unerforscht. Versuche, Parallelen zur Influenza zu ziehen oder SARS-CoV-2 davon abzugrenzen, führten ebenso zu widersprüchlichen Schlussfolgerungen wie der im Fluss befindliche Forschungsstand. SARS-CoV-2 löst die als „Coronavirus Disease 2019“ (COVID-19) bezeichnete Atemwegs- bzw. Lungenerkrankung aus.

      COVID-19 entwickelte sich im Januar 2020 in China zur Epidemie und wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 30. Januar 2020 als „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ sowie am 11. März 2020 als Pandemie eingestuft. Am 25. März 2020 hat der Deutsche Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt.

      Sowohl Epidemie als auch Pandemie bezeichnen ein vermehrtes Auftreten von Krankheitsfällen einheitlicher Ursache. Bei einer Epidemie bleibt die Krankheitsausbreitung jedoch örtlich (und zeitlich) begrenzt, während man bei einer länder- und kontinenteübergreifenden Ausbreitung von einer Pandemie spricht.

       Historische Ereignisse

       Spanische Grippe

      Im Kontext der Corona-Pandemie 2020 wird vielfach auf die Spanische Grippe verwiesen. Es handelte sich dabei um eine Influenza-Pandemie, deren Erreger H1N1 bis heute immer neue Pandemien verursacht, weshalb sie auch als „Mutter aller Pandemien“ bezeichnet wird.

      Die Spanische Grippe trat gegen Ende des Ersten Weltkriegs auf, verbreitete sich von 1918 bis 1920 in drei Wellen und forderte bis zu 50 Millionen Tote; Vermutungen reichen gar bis zu 100 Millionen. Dies hätte damals mehr als 5 % der Weltbevölkerung und mehr als dem Fünffachen der Kriegstoten entsprochen. Neben den absoluten Zahlen sorgte vor allem die hohe Sterbewahrscheinlichkeit der Erkrankten von bis zu 10 % für Schrecken.

      Zu klassischen Grippesymptomen in bis dahin nicht gekannter Heftigkeit traten in besonders schweren Fällen eine Lungenentzündung und teilweise auch hämorrhagisches Fieber hinzu. Todesursache war zumeist eine bakterielle Sekundärinfektion.

      Auffällig war auch, dass der Spanischen Grippe viele 20- bis 40-jährige Menschen zum Opfer fielen – was mit der kriegsbedingt erhöhten Mobilität der Soldaten erklärbar scheint, durch die die Ausbreitung der Pandemie überhaupt erst ermöglicht wurde. Begünstigend kamen nach Jahren des Krieges sicher die geschwächte Gesundheit vieler Menschen, unzureichende Hygienebedingungen, vielerorts handlungsunfähige Behörden sowie ein umfassender Mangel in der Gesundheitsversorgung hinzu. Und Lockdown oder Shutdown im Umfang des Jahres 2020 wären bei Kriegsende überhaupt nicht denkbar gewesen.

      Wissenschaftler, die Parallelen zwischen Spanischer Grippe und Corona-Pandemie untersuchen, weisen auf zweierlei hin: einerseits auf die unterschiedliche Handhabung von Restriktionen im öffentlichen Raum in Philadelphia und St. Louis; während in Philadelphia noch im Frühherbst 1918 eine große Parade stattfand und binnen weniger Wochen tausende Menschen starben, setzten die Behörden in St. Louis frühzeitig auf Einschränkungen des öffentlichen Lebens und Quarantänemaßnahmen. Dass die Opferzahlen in Philadelphia achtmal so hoch lagen wie in St. Louis, hat die Maßnahmen 2020 beeinflusst.


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