Der Bergpfarrer Staffel 9 – Heimatroman. Toni Waidacher
Die hingegen amüsierten sich köstlich, und oft schien es, als wechselten vertraute Blicke zwischen ihnen hin und her.
Sollt’ ich mich so in ihr getäuscht haben?
Diese Frage stellte sich Stephan mehrfach. Angela wirkte so ganz anders, als am Nachmittag, und die Sehnsucht, sie in seine Arme zu schließen und ihren verlockenden Mund zu küssen, war schier übermächtig.
Unter anderen Umständen hätte der Playboy, als welcher der Brauereierbe in bestimmten Kreisen gesehen wurde, nicht lange gezögert und einen heftigen Flirt mit der hübschen jungen Frau angefangen. Doch leider waren sie nicht alleine, und unter den Augen der Eltern und seiner Mutter wollte Stephan Richter natürlich nichts mit Angela Pfister anfangen.
Aber den ganzen Abend spielte er mit dem Gedanken – was wäre wenn…? – und als er später in seinem Zimmer war, nur durch eine Wand von ihr getrennt, da wollte sie ihm überhaupt nicht mehr aus dem Kopf gehen, und er freute sich schon auf das gemeinsame Frühstück am nächsten Morgen.
Angelas Empfindungen waren ähnlich. Sie, die sie eigentlich nur für ihre Arbeit lebte, nahm flüchtig wahr, daß sie den ganzen Abend über noch keinen Gedanken daran verschwendet hatte, ob in der Firma alles glattlief. Statt dessen saß sie Stephan Richter gegenüber, stellte sich vor, wie es wäre, wenn aus dieser Bekanntschaft mehr würde.
Er war so ganz anders, als sie ihn auf grund seines Verhaltens ihr gegenüber eingeschätzt hatte. Als eingebildet hatte sie ihn eingestuft, als einen Mann, der um sein Aussehen wußte und es gezielt einsetzte, um bei den Frauen zu landen. Doch das war genau die Sorte Männer, die Angela am liebsten dann sah, wenn sie gingen, und zwar möglichst weit von ihr fort!
»Habt ihr euch eigentlich mal Gedanken über eine Bergwanderung gemacht?« fragte sie zwischendurch.
Ihre Eltern sahen sich schulterzuckend an, und Ewald Pfister strich sich über den Bauch.
»Ich weiß net«, meinte er. »Ob das das Richtige für mich ist?«
»Also, Paps, ein bissel Bewegung kann dir net schaden«, meinte Angela belustigt.
Ihre Mutter schlug in dieselbe Kerbe.
»Das kommt bloß von deinen ewigen Buttercremetorten.«
Der Kaufmann wandte sich hilfesuchend an Margot Richter.
»Nun sag’ du doch auch mal was. So dick bin ich nun auch wieder net…, oder?«
Stephans Mutter schmunzelte.
»Mach’ dir keine Gedanken, Ewald«, antwortete sie. »Bestimmt gibt’s Wanderwege, die du ganz bequem gehen kannst.«
»Also, eine richtige Bergtour, die könnt’ mir schon gefallen«, warf Stephan ein, der es plötzlich gar nicht mehr so schrecklich fand, daß die Bekannten seiner Mutter ebenfalls hier Urlaub machten. »Was meinen Sie, Angela?«
Die junge Frau lächelte ihn an.
»Ich bin dabei«, nickte sie. »Wanderstiefel und richtige Kleidung hab’ ich vorsichtshalber mitgebracht.«
»Ich auch«, freute sich Stephan.
»Also, dann ist’s abgemacht«, sagte Angela. »Wir können uns ja morgen früh erkundigen, welche Tour am besten ist, und ob wir einen Bergführer brauchen.«
Die beiden beugten sich zueinander und waren gleich darauf in ein Gespräch vertieft, das sich um die geplante Tour drehte. Dabei entgingen ihnen die bedeutungsvollen Blicke, die sich das Ehepaar Pfister und Margot Richter zuwarfen.
»Woll’n wir denn nach dem Frühstück gleich mal zur Touristeninformation geh’n?« schlug Stephan vor.
Angela nickte.
»Ja, das machen wir«, antwortete sie. »Wenn wir uns rechtzeitig anmelden, haben wir vielleicht die Chance, einen erfahrenen Bergführer zu bekommen.«
Daß sie auf einen solchen nicht verzichten wollten, war das Ergebnis des Gespräches am Vorabend. Angela und Stephan waren übereingekommen, daß es eine richtige Tour werden sollte, die schon ein paar Stunden dauerte. Da war ein Einheimischer, der sich in den Bergen auskannte, unabdinglich.
Die Eltern des Madls und Margot Richter waren mit der Entwicklung der Dinge höchst zufrieden. Offenbar hatten ihre Kinder die ersten Ressentiments überwunden und waren sich nähergekommen.
Zumindest konnte man nicht mehr davon sprechen, daß sie sich überhaupt nicht ausstehen konnten, wie es zuvor noch den Anschein gehabt hatte. Jedenfalls wurde die Art und Weise, wie die beiden miteinander umgingen, mit einem zufriedenen Lächeln der älteren Herrschaften quittiert.
»Ja, wir machen uns dann mal auf den Weg«, sagte Stephan, als er sah, daß Angela ihren Kaffee ausgetrunken hatte. »Treffen wir uns nachher zum Mittagessen im Kaffeegarten?«
»Das ist eine gute Idee«, nickte seine Mutter. »Aber nicht so früh.«
»Dreizehn Uhr wäre recht«, meinte Hannelore Pfister. »Wir haben ja gerad’ erst gefrühstückt.«
»Ja, dann, einen schönen Tag«, riefen Stephan und Angela und verließen den Frühstücksraum.
Die Pfisters und Margot sahen sich erleichtert an.
»Hättet ihr geglaubt, daß das so schnell geht?« fragte die Brauereibesitzerin.
»Also, wenn du mich das gestern nachmittag gefragt hättest, dann hätt’ ich schwarzgeseh’n«, antwortete Ewald und rieb sich die Hände.
Auch Hannelore war erleichtert.
»Ja, ich hab’ ein sehr gutes Gefühl«, sagte sie. »Anfangs wollt’ ich net glauben, daß es klappen würd’. Aber jetzt bin ich sicher.«
»Eigentlich müßten wir darauf anstoßen«, lachte der Kaufmann.
»Was, jetzt? So früh am Morgen?«
Seine Frau schüttelte den Kopf.
»Ach, was soll’s«, erwiderte Ewald und winkte die Haustochter heran. »Das muß begossen werden. Bei einem Sektfrühstück schaut man auch net auf die Uhr.«
Und dann bestellte er eine Flasche Champagner und drei Gläser.
*
»Herrliches Wetter, was?«
Stephan deutete zum Himmel, der sich in einem strahlenden Blau zeigte. Angela, die an seiner Seite ging, nickte.
Sie hatten gerade das Hotel verlassen, und obwohl es noch recht früh am Morgen war, bummelten schon viele Leute durch das Dorf. Die Touristeninformation war in einem kleinen Raum im Eingang des Rathauses untergebracht. Dort wurde gerade erst geöffnet, und es hatte sich schon eine lange Schlange davor gebildet.
»Ein sehr gefragter Ort, dieses Sankt Johann«, meinte der Juniorchef der Ritterbräu. »Sollte man gar net meinen. So viele Attraktionen gibt’s hier ja nun auch wieder net.«
»Vielleicht ist gerad’ das der Grund«, überlegte Angela. »Viele Leute sind so übersättigt von allem, daß sie sich wirklich nach Ruhe und Erholung sehnen, und beides finden sie hier.«
In der Touristeninformation arbeiteten vier junge Frauen, um die Fragen der Gäste zu beantworten, Wandervorschläge zu machen oder einen Bergführer zu verpflichten. Dabei waren sie trotz des Andrangs stets freundlich und bemüht, den Leuten ihre Wünsche von den Augen abzulesen, noch ehe sie sie ausgesprochen hatten.
Es dauerte keine zehn Minuten, und Stephan und Angela waren schon an der Reihe. Das Madl hinter dem Tresen lächelte sie freundlich an.
»Hallo, ich bin die Christl Hallhuber«, stellte es sich vor. »Was kann ich für euch tun?«
Hier war es üblich, daß man sich duzte, so wie es auch unterwegs auf der Tour Brauch war. Schließlich waren sie dann Bergkameraden, und war ein Du doch vertrauter als das oft umständliche Sie.
»Wir möchten eine Bergtour machen«, erklärte Stephan. »Könnt’st