Der Bergpfarrer Staffel 9 – Heimatroman. Toni Waidacher
Kerl sie keines Blickes würdigte.
Als sie wenig später hinter ihm die Treppe hinunterging, sah sie die schlanke, sportliche Gestalt des Brauereierben.
Na ja, zumindest sieht er ganz gut aus, mußte sie zugeben. Daß diese Tatsache ihr Stephan Richter sympathischer machte, stritt sie indes energisch ab.
Beim Kaffeetrinken saßen sie sich gegenüber. Der junge Mann musterte Angela verstohlen.
Ganz hübsches Ding, ging es ihm durch den Kopf. Allerdings würde er sich auf gar keinen Fall näher mit ihr einlassen.
Überhaupt traute er dem Ganzen hier nicht so recht über den Weg. Eine Bemerkung seiner Mutter hatte ihn stutzig gemacht. Sie war gefallen, als die Pfisters noch nicht in der Suite standen…
»Mit Hannelore und Ewald stehe ich immer noch in telefonischem Kontakt.«
Das wußte Stephan, und er wußte auch, daß seine Mutter die Familie zu ihrem Geburtstag einladen wollte.
Warum, fragte er sich jetzt, hatten sie dann nicht über den bevorstehenden Urlaub gesprochen?
Das war doch die natürlichste Sache von der Welt, wenn man sich am Telefon unterhielt!
Die Angelegenheit wurde immer mysteriöser, und Stephan fragte sich erneut, ob hier tatsächlich alles mit rechten Dingen zuging.
*
»Also, das müßt ihr euch unbedingt anschauen!« sagte Margot Richter und öffnete die Kirchentür. »Stephan und ich sind heut’ mittag schon hiergewesen. Einfach wunderschön!«
Dem gemeinsamen Kaffeetrinken hatte sich ein Bummel durch das Dorf angeschlossen, und St. Johann zeigte sich von seiner besten Seite. Dazu strahlte die Sonne vom Himmel, daß sich sogar Stephans Laune zu bessern schien. Jedenfalls richtete er auch ab und zu das Wort an Angela, und die junge Frau lächelte bei mancher Antwort sogar zurück.
»Ich hoff’ sehr, daß ihr auch den Geistlichen kennenlernt«, wandte sich Margot an die Pfisters. »Also, das ist ein Mann!
Da fällt mir ein, wir sind morgen abend bei ihm zum Essen eingeladen. Aber heut’ essen wir doch zusammen, net wahr? Stephan hat einen Tisch reserviert, aber wir können ja sagen, daß wir jetzt fünf Personen sind.«
Sie waren durch den Mittelgang bis zum Altar gegangen. Jetzt deutete die Brauereibesitzerin auf die Figur unter dem Bogengang, über dem die Galerie verlief.
»Ist sie net wunderschön?«
Unmittelbar war ihre Stimme zu einem Flüstern herabgesunken, und auch die anderen schienen von Ehrfurcht gepackt, als sie die Madonna anschauten.
»Herrlich«, nickte Hannelore Pfister.
»Ja«, stimmte ihr Mann zu, »das ist wirklich ein kleines Kunstwerk.«
Auch Angela konnte sich der Faszination, die die Holzfigur ausstrahlte, nicht entziehen. Es war schon beeindruckend, was Künstlerhände schaffen konnten.
Stephan Richter hatte sich zu ihr gestellt.
»Pfarrer Trenker, das ist der hiesige Geistliche, hat uns erzählt, daß die Madonna schon einmal das Opfer eines Kirchenraubes war«, erklärte er.
Angela sah ihn erstaunt an.
»Wirklich?«
»Ja«, nickte er. »Es handelte sich um eine Bande, die sich auf Einbrüche in Kirchen spezialisiert hatte. Die sakralen Kunstgegenstände sollten ins Ausland verschoben werden. Im letzten Moment konnte das jedoch verhindert werden.«
Die junge Frau nickte. Sie war erstaunt über diese Geschichte, aber noch mehr darüber, daß Stephan Richter zum ersten Mal ganz normal mit ihr gesprochen hatte und dabei nicht so arrogant wirkte wie sonst.
Hoppla, dacht Angela, sollte der Herr doch noch andere Seiten an sich haben?
Dann wäre es ja direkt interessant, sie zu entdecken…
Margot Richter führte sie weiter herum. Da Pfarrer Trenker ihnen schon alles gezeigt hatte, konnte sie mit ihrem Wissen glänzen. Aber auch Stephan trug hin und wieder zur Unterhaltung bei und ergänzte dann und wann die Erklärungen seiner Mutter.
Als sie die Kirche wieder verließen, kam der Geistliche gerade vom Pfarrhaus herüber.
»Na, uns’re Kirche scheint Ihnen ja ganz besonders zu gefallen«, schmunzelte er.
»Das tut sie wirklich«, antwortete Margot Richter. »Aber stellen S’ sich vor, Hochwürden, zufällig sind wir alten Bekannten begegnet, die ebenfalls ihren Urlaub hier verbringen. Denen wollten wir dieses Kleinod natürlich gleich zeigen.«
Sebastian nickte.
»Verstehe«, sagte er und schaute die Pfisters an.
Margot übernahm es, die Familie vorzustellen.
»Schön, daß Sie sich dazu entschlossen haben, Ihren Urlaub in uns’rem schönen Sankt Johann zu verbringen«, begrüßte der Geistliche die drei. »Ich hab’ die Frau Richter und ihren Sohn für morgen abend zum Essen eingeladen. Diese Einladung gilt natürlich auch für Sie.«
»Sehr gerne«, bedankte sich Ewald Pfister. »Wenn’s keine Umstände macht…«
»Ach, woher«, winkte Sebastian ab. »Platz ist im Pfarrhaus genug, und meine Frau Tappert freut sich immer, wenn sie für viele kochen kann.«
»Dann nehmen wir die Einladung mit Freuden an, Hochwürden«, sagte der Kaufmann.
»Fein«, freute sich der gute Hirte von St. Johann. »Jetzt müssen S’ mich entschuldigen. Ich hab’ noch einen Termin, bevor die Abendandacht beginnt.«
Er winkte ihnen zu und eilte den Kiesweg hinunter.
»Ein faszinierender Mann«, bemerkte Hannelore Pfister.
»Net wahr?« bestätigte Margot. »Wenn man ihn net kennt, mag man gar net glauben, daß es sich bei ihm um einen Priester handelt.«
Ewald Pfister schaute auf die
Uhr.
»Hm«, meinte er, »eigentlich noch zu früh fürs Abendessen. Aber ich hab’ schon wieder Hunger. Für wann haben Sie denn den Tisch bestellt, Herr Richter?«
»Für neunzehn Uhr«, mischte sich Margot ein, ehe Stephan antworten konnte. »Aber seid doch um Himmels willen net so förmlich.«
Ihr Sohn zuckte die Schultern und lächelte.
»Also, von mir aus sagen S’ ruhig Stephan«, sagte er und drehte sich zu der jungen Frau um. »Wenn’s Ihnen ebenfalls recht ist… Angela…?«
»Freilich«, antwortete sie. »So wie’s ausschaut, werden wir die nächsten Wochen ja mehr oder weniger zusammen verbringen.«
»Darüber müssen wir noch sprechen«, warf Margot ein. »Am besten beim Abendessen. Natürlich müssen wir net die ganze Zeit zusammenglucken. Ich denk’, die jungen Leut’ geh’n auch ab und zu ihre eig’nen Wege. Oder was meint ihr?«
Die letzte Frage war an Angela und Stephan gerichtet. Beide nickten.
Nur, wenn das net heißt, daß ich mich mit ihr abgeben muß, dachte der junge Mann, sprach es aber nicht aus.
Angela ging ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf. Allerdings fand sie diese Aussicht nicht ganz so unerträglich, immerhin schien Stephan Richter seine Arroganz abgelegt zu haben. Zumindest unterhielt er sich mit ihr, und das gefiel ihr gar nicht mal so schlecht.
Margot Richter kam noch einmal auf Ewalds Frage nach dem bestellten Tisch zu sprechen.
»Ich merk’ auch, daß ich mehr Appetit hab’ als sonst«, meinte sie. »Das liegt wahrscheinlich an der guten Luft hier. Seid ihr net auch der Meinung, daß es hier viel frischer und würziger riecht als anderswo?«
»Stimmt«, nickte Hannelore. »Das hat was mit den wilden Kräutern zu tun, die hier überall wachsen.«