Der Bergpfarrer Staffel 9 – Heimatroman. Toni Waidacher

Der Bergpfarrer Staffel 9 – Heimatroman - Toni Waidacher


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der gute Hirte von St. Johann davonlief, tat Florian, wie ihm geheißen. Nicoles Reisetasche kannte er. Er hatte sie eigenhändig aus ihrem Zimmer geholt und hinuntergetragen.

      Der Busfahrer sah ihn skeptisch an, als Florian verlangte, daß ihm die Tasche ausgehändigt werde.

      »Sie haben doch gehört, was der Mann eben gesagt hat«, rief der Student unwirsch. »Das war Pfarrer Trenker. Glauben S’ vielleicht, er wollt’ sich die Sachen unter den Nagel reißen?«

      »Nein, natürlich net«, schüttelte der Fahrer den Kopf und öffnete die Klappe des Gepäckfaches. »Ich muß Sie allerdings darauf hinweisen, daß Sie jetzt für Ihre Rückfahrt selbst sorgen müssen und auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten haben.«

      Florian Mooser nickte nur und nahm die Sachen entgegen. Das war ihm ganz egal, wenn nur Nicole wohlbehalten wieder auftauchte!

      Er hatte die zwei Reisetaschen in der Hotelhalle abgestellt und war wieder hinausgegangen. Der Motor des Reisebusses lief schon, und eben kam Hochwürden um die Ecke. Der Geistliche machte ein besorgtes Gesicht.

      Ein sehr besorgtes!

      *

      Nicole strich sich das nasse Haar aus der Stirn. Der Regen hatte sie in Sekunden durchnäßt, dazu blitzte und donnerte es, daß einem angst und bange werden konnte.

      Durch den Regenschleier sah sie zur Wand hinauf. Wolfgang kletterte gut zehn Meter über ihr und hörte nicht auf ihre flehenden Rufe.

      Im Gegenteil, er schaute zu ihr hinunter und winkte übermütig.

      Er mußte den Verstand verloren haben! Eine andere Erklärung hatte sie für sein Verhalten nicht.

      Plötzlich durchzuckte sie ein eisiger Schreck. Wolfgang hatte an den Felsen gegriffen, mit dem Fuß nach Halt suchend, doch der rechte Schuh glitt an der Wand ab. Für Sekunden baumelte das Bein in der Luft, und dann verschwand der Lehrer vor ihren Augen.

      Erst jetzt bemerkte Nicole die Felsspalte.

      Er ist abgestürzt! durchfuhr es sie, und ihr Herz machte einen Aussetzer.

      »Wolfgang!« rief sie verzweifelt. »Wolfgang!«

      Keine Anwort.

      Fieberhaft überlegte die Studentin, was sie machen sollte. Zurücklaufen und Hilfe holen? Das würde zu lange dauern. Vielleicht hatte er sich bei dem Absturz verletzt, da konnte jede Minute lebenswichtig sein.

      Wieder schalt sie sich, ob ihrer Dummheit, sich auf so ein Wagnis eingelassen zu haben. Weder richtige Kleidung hatten sie an, noch Verpflegung dabei, von einer Notfall­apotheke ganz zu schweigen!

      Und ein Mobiltelefon besaß sie nicht. Wolfgang hatte eines, doch das lag in seinem Wagen. Bis sie den erreicht hatte, würde kostbare Zeit vergehen.

      Zeit, die ihm vielleicht das Leben kosten konnte.

      Nicole sah keinen anderen Ausweg, als ihm in die Wand zu folgen…

      Gott sei Dank, hatte sie wenigstens feste Schuhe an.

      Daß sie inzwischen völlig durchnäßt war, nahm sie nur am Rande wahr. Sie war von dem Gedanken erfüllt, daß Wolfgang, der vor ihren Augen abgestürzt war, dringend Hilfe benötigte.

      *

      Sie hatte keinerlei Übung im Klettern und konnte sich nur einigermaßen halten, als sie begann, in die Wand zu steigen. Noch immer fegte das Gewitter mit Regen, Blitz und Donner über den Kogler hinweg, und kalter Wind ließ die Studentin zusätzlich frösteln.

      Zwischendurch rief sie immer wieder seinen Namen, doch Wolfgang Arnhäuser antwortete nicht. Ihre Finger bluteten, ihr Atem ging stoßweise. Suchend glitten die Hände über den Stein, suchten nach Vorsprüngen und Ritzen, in denen sie sich festklammern konnten, während sie vorsichtig einen Fuß setzte und den anderen nachzog

      Sie hatte ungefähr die Hälfte geschafft. Noch fünf Meter, dann war sie an dem Felsspalt angekommen. Natürlich war ihr bewußt, wie leichtsinnig sie jetzt handelte. Außer den Felsvorsprüngen waren die eingeschlagenen Eisen der einzige Halt, den sie hatte. Geübte Bergsteiger und Kletterer hatten sie eingeschlagen. Doch die waren weitaus besser ausgerüstet gewesen als die Studentin.

      Nicole mußte eine Pause machen. Schwer atmend hing sie in der Wand und japste nach Luft.

      »Wolfgang!« rief sie wieder, als sie sich etwas erholt hatte. »Was ist los? Kannst du mich hören? Bist du verletzt?«

      Keine Antwort.

      In ihrer Vorstellung bedrängten sie die wildesten Befürchtungen. Sie sah ihn verletzt in dem Felsspalt liegen, verzweifelt auf Hilfe wartend.

      Nicole spürte, wie sie die Kräfte verließen. Die ungewohnte Anstrengung des Kletterns, verbunden mit der Angst, selbst abzustürzen, die Sorge um Wolfgang, das alles zerrte an ihr. Wie erstarrt hing sie in der Wand und kam keinen Zentimeter weiter.

      Ich muß zurück, dachte sie verzweifelt. Es geht net! Sie schloß die Augen und versuchte, ruhiger zu atmen.

      »Ganz ruhig«, sagte sie zu sich selbst und wagte einen Blick in die Tiefe.

      Von hier oben schien es, als schaue sie aus dem letzten Stockwerk eines fünfgeschossigen Hauses. Fünf Meter, vielleicht sechs – man konnte gar nicht glauben, was das für eine Höhe war!

      Nicole versuchte, wieder hinunterzuklettern. Ihre Hände zitterten, und sie fror erbärmlich. Vorsichtig setzte sie einen Fuß, doch das Eisen, an dem sie eben noch hinaufgeklettert war, schien plötzlich verschwunden zu sein. Entsetzt stellte sie fest, daß sie falsch abgestiegen war. Hier gab es keinen Halt mehr, nur die glatte Felswand. Ohne zu wissen, wie es geschehen konnte, hing die Studentin nur noch mit den Händen an einem Vorsprung, klammerte sich verzweifelt daran fest, während ihre Beine in der Luft baumelten.

      Die Sekunden zerrannen zäh. Immer wieder versuchte sie, das Eisen zu finden, auf das sie sich stellen konnte. Doch dann verließen sie die Kräfte. Ihre Finger konnten das eigene Gewicht nicht mehr halten, und mit einem lauten Schrei rutschte Nicole an der glatten Wand in die Tiefe. Ihr Kopf schlug gegen den Stein, die Hose und Jacke rissen auf, das hübsche Gesicht war von Schürfwunden bedeckt, als sie unten aufschlug.

      *

      »Grüß dich, Ria«, sagte Sebastian. »Ich hab’ eine Frage. Hattest du einen Gast in der letzten Nacht?«

      »Ja«, nickte die Pensionswirtin. »Den Herrn Arnhäuser.«

      »Um genau den geht’s. Weißt du zufällig, wo der hinwollte? Es ist wichtig.«

      Schnell erklärte er ihr, worum es ging.

      »Vielleicht ist er zum Kogler hinauf«, vermutete Ria Stubler. »Er hat mich nach einem romantischen Plätzchen gefragt.«

      Erschrocken legte sie die Hand auf den Mund.

      »Um Himmels willen, und das bei dem Wetter!«

      »Danke, das hilft uns weiter«, rief der Geistliche und lief schon wieder zum Hotel zurück.

      Florian Mooser wartete schon. Der Reisebus fuhr gerade an.

      »Wir müssen ein paar Leute alarmieren«, sagte Sebastian und ging ins Hotel.

      Minuten später kam er wieder heraus.

      »Zum Kogler. Kommen S’, Florian. Wir treffen die anderen dort.«

      Er warf einen Blick auf die Kleidung des Studenten und nickte zufrieden. Florian trug feste Schuhe, und Jacke und Hosen waren einigermaßen wetterfest. Sebastian selbst hatte sich eine Regenjacke angezogen, als er zum Bus gegangen war.

      Max Trenker hielt mit seinem Streifenwagen, und die beiden Männer stiegen ein.

      »Der Doktor ist schon unterwegs«, berichtete der Polizeibeamte.

      »Drei Leute von der Bergwacht kommen auch«, sagte der Geistliche. »Das sollte reichen.«

      Sie erreichten den Parkplatz.

      »Das


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