Sicher eingewöhnen. Käthe Bleicher
aktuellem Anlass: Die Rückkehr in die Kita nach der Corona-Krise
Was bedeutet die plötzliche Veränderung während der Krise für die Kinder?
Eine gute Eingewöhnung zahlt sich nach einer Krise wie Corona besonders aus
«Sicher eingewöhnen» in der Praxis
Persönliches Vorwort
Liebe Pädagogen, liebe Eltern!
Ich habe viele Jahre in Krippen und Kindergärten gearbeitet und durfte dabei etliche Kinder eingewöhnen und viel Beziehungsarbeit leisten – sowohl bei den Kindern als auch bei ihren Eltern. Während der Eingewöhnung meines Sohnes vor zwei Jahren machte ich dann zum ersten Mal die Erfahrung, wie sich eine Eingewöhnung für eine Mutter anfühlt und was dies für einen bedeutet.
Mir ist aufgefallen, dass das als Mama gar nicht so leicht ist – wenn man zum ersten Mal sein Kind abgibt und einer bis dahin völlig fremden Person und Einrichtung anvertrauen muss. Worauf kommt es denn eigentlich an? Wie soll ich mich als Mutter oder als Vater bei der Eingewöhnung verhalten? Was ist, wenn mein Kind weint?
Und welche Rolle hat dabei eigentlich das pädagogische Fachpersonal? Wie gehe ich, als Pädagoge, richtig auf die Ängste und Sorgen der Eltern ein? Was bedeutet die Eingewöhnung denn genau für das Kind und sein Bindungsmuster?
Eine Eingewöhnung wirft schnell viele Fragen auf – bei uns als Eltern, bei uns als Pädagogen und letztlich natürlich auch bei den Kindern.
Eine wirklich sichere, feinfühlige und bindungsorientierte Eingewöhnung kann und darf nicht nach einem starren Muster erfolgen. Man benötigt dabei viel Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen und Kreativität. Denn jedes Kind, jeder Pädagoge und jede Mutter, jeder Vater ist anders. Und dennoch gibt es Grundlagen und Fakten, die immer beachtet werden sollten.
Ich habe in diesem Buch all das aufgeschrieben, von dem ich überzeugt bin, dass es unverzichtbar ist. Dennoch soll dies hier kein Patentrezept sein. Denn die Eltern kennen ihre Kinder – und auch die betreffende Erzieherin oder Tagesmutter – am besten. Das trifft ebenfalls für die Pädagogen zu; ihnen sind die jeweiligen Kinder vertraut, sie kennen auch deren Mütter oder Väter. Daher wissen die Eltern und die Pädagogen auch am besten, an welcher Stelle sie das eine oder andere vielleicht ein klein wenig anders handhaben können – und es vielleicht sogar etwas anders handhaben müssen.
Ich wünsche Ihnen/euch viel Erfolg beim sicheren Eingewöhnen!
Herzlichst, Ihre/eure Käthe Bleicher
Einleitung
Ich freue mich sehr, dass Sie zu diesem Buch gegriffen haben. Denn das bedeutet, dass das Thema «Eingewöhnung» endlich den Platz in unserer Gesellschaft erhält, den es schon lange verdient hat.
«Eingewöhnung» – für viele ist dieser Begriff meist sehr negativ behaftet. Schnell steigen da Bilder oder Erinnerungen in einem auf, etwa weinende Kinder, gestresste Erzieher und verzweifelte Eltern. Zumindest erlebte ich in den Anfängen meiner pädagogischen Arbeit die Phasen der Eingewöhnung in der Krippe keineswegs als ein entspanntes, freudiges Kennenlernen zwischen Bezugserzieherin und Kind sowie zwischen Erzieherin und Eltern. Die meisten meiner Kolleginnen, die schon einige Eingewöhnungen hinter sich hatten, sehnten die Zeit der Eingewöhnung nicht gerade herbei. Und auch die Eltern kamen häufig eher ängstlich und unsicher zum ersten Tag der Eingewöhnung als freudig und erwartungsvoll.
Keine besonders guten Voraussetzungen, wenn man bedenkt, dass die Art und Weise einer Eingewöhnung eine sehr bedeutsame Rolle dabei spielt, wie das Kind später einmal in der Gruppe der Kinder stehen wird.
Schnell habe ich mir die Fragen gestellt: Woran liegt das? Wieso wird die Phase der Eingewöhnung von vielen Pädagogen und Eltern als stressvoll und unangenehm empfunden?
Das liegt vermutlich daran, dass die Eingewöhnungen häufig alles andere als schön und ideal verlaufen. Jeder kennt diese Geschichten – entweder von Freunden oder von seinen eigenen Erlebnissen als Mutter, als Vater oder als Erzieherin – Geschichten wie die folgenden:*
«Wir waren gerade den zweiten Tag in der Krippe, da sagte die Erzieherin, ich könne nun gehen. Die Mama würde nicht länger gebraucht. Ich war so überrumpelt, dass ich der Erzieherin einfach Folge leistete. Ich verließ den Raum, ohne mich von meinem Kind zu verabschieden, obwohl ich innerlich wusste, dass es weder richtig noch gut war. Draußen vor der verschlossenen Tür des Gruppenraums hörte ich meine Tochter bitterlich weinen. Das hat mir das Herz zerrissen.»
Eine Mutter über die Eingewöhnung ihrer eineinhalbjährigen Tochter
«Ich habe schon viele Kinder eingewöhnt. Aber nur wenige Eingewöhnungen waren wirklich rund und schön. Häufig fühle ich mich von den Eltern unter Druck gesetzt, da sie erwarten, dass man das Kind in sehr kurzer Zeit eingewöhnen soll. Aber das geht nicht, eine gute Eingewöhnung braucht Zeit. Nur so kann das Kind eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen. Ich würde mir wünschen, dass die Eltern nicht so einen Zeitdruck auf uns Erzieher ausüben.»
Eine Erzieherin über die Eingewöhnung in ihrer Krippe
«Vor der Eingewöhnung unseres elf Monate alten Sohnes hatte ich große Angst. Ich war innerlich völlig zerrissen. Wegen meines Jobs hatte ich einen totalen Druck im Nacken, da ich nicht länger als zwölf Monate zu Hause bleiben konnte. Ich musste meinen elf Monate alten Sohn also in eine Krippe geben, obwohl ich gerne länger daheim geblieben wäre. Er war ja noch so klein.
Was, wenn er den ganzen Tag allein in der Krippe am Boden sitzt und niemand für ihn da ist? Die Umstände waren auch alles andere als ideal. Mal nahm ihn die eine Erzieherin morgens in Empfang, mal eine andere, die er zuvor kaum gesehen hatte. Er schrie jedes Mal, und ich musste ihn in diesem Zustand zurücklassen.»
Eine Mutter über die Eingewöhnung ihres elf Monate alten Sohnes
«Häufig habe ich das Gefühl, dass bei der Eingewöhnung die Mütter das Problem sind. Die wissen oft nicht wirklich, was sie wollen. Einerseits wollen sie das Kind in die Krippe geben, andererseits haben sie Gewissensbisse oder sind sich einfach unsicher.
Das überträgt sich natürlich auf die Kinder. Kein Wunder, dass die dann schreien. Und mich macht das jedes Mal nervös, wenn die Kinder schreien – keine Ahnung warum, aber irgendwie ist mir das unangenehm. Mit den Vätern klappt die Eingewöhnung meistens viel besser. Die können besser loslassen und sind nicht so emotional.»
Eine Erzieherin zu der Frage, wie sie die Eingewöhnung in ihrer Krippe erlebt
Schon anhand dieser vier Beispiele können wir sehen, dass die Eingewöhnung ein hoch emotionales Thema ist. Interessant wäre nun auch die Frage, wie ein Kind das Eingewöhnen denn erleben und beschreiben würde. Ich habe einmal den Versuch gemacht, mir auszumalen, was ein zwölf Monate altes Kleinkind wohl erlebt, wenn es von seiner Mama, zu der es eine sichere Bindung hat, in einer Kindertagesstätte eingewöhnt