Walk by FAITH. Felicitas Brandt
Der Tag, an dem Meister Yoda von einem Anzugträger ermordet wurde
„Das ist die bescheuertste Idee des Jahrhunderts“, verkündete die leise Stimme in meinem Hinterkopf und ich konnte ihr nicht wirklich widersprechen. Die eisige Luft einer Klimaanlage tanzte über meine Haut und kühlte meinen schweißnassen Rücken. Wahrscheinlich würde mir diese Aktion noch eine Grippe einbringen. Wenigstens war das Vorstellungsgespräch jetzt vorbei und ich konnte die Flucht ergreifen. Lass mich jetzt bitte nicht diese Treppe runterfallen, flehte ich lautlos.
„Ich bringe Sie wieder runter.“ Die blonde Sekretärin erhob sich von ihrem Stuhl und lächelte mich strahlend an. Sie wirkte wie Anne Hathaway in der zweiten Hälfte von Der Teufel trägt Prada, selbstbewusst und wunderschön. Ich rückte nervös meine Brille zurecht, auf der ein dicker Fingertapser mein Blickfeld störte, und nickte.
Also dann jetzt die Horrortreppe.
Auf Horrorschuhen.
Und in Begleitung.
Awesome!
Wofür genau waren noch mal die Fahrstühle erfunden worden?
„Alles in Ordnung?“ Die junge Frau, die vermutlich gar nicht viel älter war als ich, aber dreimal so erwachsen und kompetent wirkte, schaute mich fragend an, weil ich noch immer wie angewurzelt vor der teuer aussehenden Tür verharrte.
„Ja, ähm … Entschuldigung.“ Ich schüttelte leicht den Kopf, wobei meine von der ungewohnten Haarspange malträtierte Kopfhaut unangenehm ziepte. Ich verspürte schon seit etwa 20 Minuten den Drang, mir das Ding vom Kopf zu reißen und darauf herumzutrampeln. Hör auf, dich wie eine Irre zu benehmen, Valerie!
„Kein Problem. Wollen wir dann?“
Seufzend stöckelte ich los. Diese Schuhe waren furchtbar unbequem und viel zu hoch – zumindest für mich, die ich nichts anderes als Chucks und flache Stiefeletten gewohnt war. Ich spürte den mitleidigen Blick meiner Begleiterin und konnte es ihr kaum verübeln. Die Bluse hatte Tante Fiona aus der hintersten Ecke ihres Schrankes gekramt. Sie war mir zu klein und saß nicht gerade vorteilhaft auf meinen Speckröllchen. Der Rock war zu kurz, aber der einzige, den ich in Schwarz gehabt hatte und der mir passte. Dazu die Schuhe, die meine Tante mir ebenfalls geliehen hatte. Ich sah aus wie die billige Imitation einer Flugbegleiterin. Immerhin schaffte ich es die Treppe herunter, ohne mir den Hals zu brechen. Auch kleine Erfolge waren Erfolge!
Meine Begleitung – ihr Namensschild wies sie als Melissa Nowak aus – lächelte immer noch. Ich fragte mich, ob sie am Ende eines Arbeitstages wohl Muskelkater im Kiefer hatte.
„Frau van der Linde?“ Melissa sah mich fragend an und mir wurde bewusst, dass ich wohl eben ihre Frage verträumt hatte.
„Entschuldigung, wie bitte?“, stotterte ich. So viel zu dem Vermeiden von Peinlichkeiten.
„Ich habe Sie gefragt, ob wir uns dann bald wiedersehen?“
„Ähm, ja … Frau Lorenz hat mir diese Woche noch zum Einleben gegeben. Danach kann ich dann anfangen.“
„Sehr schön, das freut mich.“ Sie streckte die Hand aus. „Kommen Sie gut in Berlin an.“
Unsicher sah ich auf ihre Hand, dachte an meinen abgeplatzten Nagellack am rechten Zeigefinger und an meine schwitzigen Handflächen. Anscheinend hatte ich zu lange gezögert, denn Melissa Nowak zog ihre Hand zurück, während von ihrem perfekten Lächeln ein winziges Stück abplatzte und zu Boden segelte. „Danke schön“, sagte ich hastig. „Ich … Wissen Sie vielleicht, wo man hier gut einkaufen kann?“
Mein Gegenüber nickte freundlich. „In der Friedrichstraße werden Sie fündig werden. Wenn Sie zu Monjas Mode gehen, sagen Sie, dass Melissa Sie schickt. Dann hilft sie Ihnen weiter. Sie hat elegante Blusen und Röcke … in allen Größen.“
Na, wenigstens hat sie nicht Übergrößen gesagt, Valerie. Das ist doch was. Ich zwang mich zu einem Lächeln, doch es wurde mehr eine Grimasse. „Monjas Mode? Das werde ich mir merken, danke.“
„Jederzeit. Bis nächste Woche dann.“ Elegant schwebte sie davon und ich beneidete sie um die Fähigkeit, auf ihren hohen Schuhen laufen zu können. Und um ihre Hüften. Und ihre Beine. Und die Hochsteckfrisur, die nicht so aussah, als würde sie wehtun, so wie meine.
Seufzend schulterte ich die Handtasche, die meine Tante mir geliehen hatte – das Einzige an meinem Outfit, das wirklich gut aussah –, und trat ins Freie. Es war Anfang Mai und ein angenehmer Wind wehte durch die Straßen von Berlin. Der Himmel war mit hellgrauen Schleierwolken bedeckt, die träge über den Häusern dahinzogen.
Warum nur hatte ich mich zu diesem Vorstellungsgespräch überreden lassen? Es wunderte mich sehr, dass sie mich tatsächlich genommen hatten. Wenn da mal nicht Tante Fiona ihre Finger im Spiel gehabt hatte … Als mein Magen laut knurrte, erinnerte ich mich daran, dass ich heute noch nichts gegessen hatte.
Mein Blick huschte über die Straße und verfing sich an einer Gestalt, die in meine Richtung kam. Ihr lila Haar fing die Sonnenstrahlen ein und leuchtete, als bestünde es aus geschmolzenen Diamanten. Das Gesicht war schmal und fein wie bei einer Porzellanpuppe und die dunkel geschminkten Lippen verstärkten den Eindruck noch. Eine Puppe oder … eine Fee. Sie trug einen schlichten schwarzen Rock und ein T-Shirt mit dem Gesicht von Taylor Swift darauf. Dazu graue Chucks.
Ein Surren ertönte neben mir und die Drehtür bewegte sich. Was jetzt geschah, lief nicht wie im Film in Zeitlupe ab und doch erfasste ich jede Einzelheit.
Ein Anzugträger stürmte aus dem Hotel, in der Hand einen Kaffeebecher, mit dem er einem Taxifahrer gestikulierte, dass dieser gefälligst alles stehen lassen sollte, um ihn sofort zu seinem hoch wichtigen Ziel zu bringen. Mit großen Schritten rannte er in die Fee mit den Diamanthaaren hinein, die nun mit einem erstickenden Schrei zu Boden ging. Der Inhalt ihrer Tasche verstreute sich über den Asphalt und ein Schwall Kaffee spritzte auf ihr Shirt. Ein empörtes „Hey“ klang über die Straße.
Der Mann sah gleichgültig auf das Mädchen hinunter. „Pass doch auf, du Emo!“ Er wollte an ihr vorbei und trat mit voller Absicht auf etwas aus ihrer Tasche, das mit einem Knacken zu Bruch ging.
Unbewusst hatte ich mich in Bewegung gesetzt. Der Anzugträger wandte sich jetzt in meine Richtung, den Blick fest auf das Taxi vor ihm gerichtet, während das Mädchen völlig perplex am Boden saß. Noch zwei Schritte … Mit voller Wucht rammte ich den Anzugmann. Schmerz schoss durch meine Schulter, vermischte sich aber sofort mit wilder Genugtuung, als ihm sein Kaffee aus der Hand glitt. Ein Tröpfchenregen sauste durch die Luft und besudelte seine glänzenden Schuhe, als der Becher zu Boden krachte.
„Hey!“ Fassungslos starrte er mich an.
„Pass doch auf, du Emo!“, spottete ich und rückte meine Brille zurecht. Ich rechnete damit, dass der Typ augenblicklich ausrasten würde, doch stattdessen stieg er bloß mit wütendem Blick in sein Taxi. Gut.
Hastig stoppte ich mit dem Fuß eine auf mich zurollende Deoflasche, ehe sie in der Kaffeepfütze landen konnte und hob sie auf. Die junge Frau kauerte noch immer am Boden und sammelte ihre Sachen ein. Ich griff, was ich zu fassen bekam, und hockte mich neben sie. „Hier.“
Sie sah zu mir auf. Erst jetzt sah ich die Tränen auf ihren Wangen und ihre verweinten, roten Augen. „Ach komm, wegen diesem Idioten brauchst du doch nicht zu heulen“, murmelte ich etwas unbeholfen.
„Tu … tu ich gar nicht“, schluchzte sie. Von ihren Ohren baumelten Eulen-Ohrringe, deren Augen die Farbe ihrer Haare hatten. „Ich heule nicht wegen dem Idioten, sondern wegen der Existenz von Idioten an sich. Und der Tatsache, dass ich die einfach magisch anziehe.“
„Einer dieser Tage?“, fragte ich mitleidig und sie nickte.
„Absolut.“
„Ich habe auch so einen. Eigentlich ist es schon eher ein Dauerzustand.“ Ich stopfte die Sachen in ihre Tasche zurück, während sie ein zerbrochenes Etwas vom Asphalt pflückte. Behutsam hielt sie das seltsame