Walk by FAITH. Felicitas Brandt

Walk by FAITH - Felicitas Brandt


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griff.

      3

       Wie das Leben so spielt, spielt es Klavier

      Beim Aufwachen fiel ich fast von der Couch. Meine Beine hatten sich irgendwie in der im Schlaf herangezogenen Wolldecke verheddert. Blinzelnd sah ich auf die Uhr: kurz vor 7. Das machte dann wie viele Stunden Schlaf? Ziemlich viele vermutlich. Mein Magen knurrte vernehmlich und mein Kopf schmerzte. Seufzend richtete ich mich auf. Meine Augen brannten noch immer vom vielen Weinen und fühlten sich heiß an. Okay – aufstehen, duschen, etwas essen und dann in die Stadt! Heute würde ein guter Tag werden!

      Über dem Waschbecken sah mir mein Gesicht aus dem Spiegel entgegen. Lange Haare, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie braun oder schwarz waren, und deren Spitzen dringend mal wieder geschnitten werden mussten. Graugrüne Augen mit leichten lilafarbenen Ringen darunter, umrahmt von einer Brille mit dickem Rahmen. Die Brille war neu. Ich hatte sie nach dem Tod meiner Oma aus einer spontanen Eingebung heraus gekauft. Keine zwei Tage danach war mir mein Leben um die Ohren geflogen. Trotz neuer Brille.

      Eine halbe Stunde und eine heiße Dusche später war mein Kopf sehr viel klarer und mein Magen stinksauer vor Hunger. Ich huschte in die Küche hinunter, die bereits verwaist war, und fragte mich, wie Tante Fiona es immer schaffte, alles so blitzsauber zu hinterlassen. Im Kühlschrank wartete ein großer Becher mit geschnittenem Obst und einem blauen Klebezettel:

       Bin im Krankenhaus und heute erst spät zu Hause. Hab einen schönen Tag! Tante Fiona

      Freudestrahlend fiel ich über diesen kleinen Liebesbeweis her und nahm es als Zeichen, dass heute ein guter Tag werden würde. Keep your head up dudelte aus dem Radio und unterstützte meine spontan herangezüchtete positive Grundeinstellung. Auf dem Küchentisch lag ein Block mit einer Liste von Läden samt Adressen und gleich daneben stand unter einem Strauß Wiesenblumen ein Tischkalender mit Bibelversen. „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir“ leuchtete es mir in türkisenen Buchstaben entgegen. Mein Magen zog sich zusammen. „Verfolgst du mich jetzt?“, brummte ich. „Ich bin gerade wirklich nicht in Stimmung.“ Eine Gänsehaut kroch mir über den Rücken und ich warf einen Blick über die Schulter durch das Fenster in den strahlend blauen Himmel. Die Risse in meinem Herzen ziepten. Ruckartig wandte ich mich ab, schnappte den Zettel vom Block und sprang auf, um mich dem Tag zu stellen.

      Vier Läden später war meine Illusion zerstört und mein Selbstbewusstsein nicht länger existent. Mit hängendem Kopf flüchtete ich zu Starbucks und bestellte mir einen riesigen White Mocca Frappuccino. Mit dieser Motivationsbombe bewaffnet schlenderte ich weiter durch die Straßen, spähte in Schaufenster und versuchte, mich frei und ungebunden zu fühlen. Aber es klappte nicht. Dann jedoch hörte ich Klaviermusik und folgte neugierig dem Geräusch, bis ich mich in der Straße von gestern wiederfand. Die Musik kam aus dem Gebäude, vor dem dieser Jayden gestern den Bürgersteig gefegt hatte. „Balou“ stand auf dem Schild über dem Eingang. Ein Café? Eine Bar?

      Unwillkürlich blickte ich mich um, aber die schwarz gekleidete Gestalt von gestern war nirgends zu sehen. Gut. Ich verhielt mich in menschlicher Gegenwart eh wie ein Trottel. Die Musik zog mich weiter an und so steuerte ich auf den Eingang zu. Da ich kein „Geschlossen“-Schild entdecken konnte, machte ich ein paar zögernde Schritte ins Innere. In einer Ecke war ein riesiger Tresen aus dunklem Holz. Die Wände bestanden aus verschieden schattierten Ziegeln und verströmten eine süße Wildheit. Instrumente waren daran befestigt. Gitarren, Geigen, Trompeten, eine Mandoline und sogar ein Cello erkannte ich auf den ersten Blick – und das waren noch nicht alle.

      Eine Wendeltreppe führte in der Nähe der Bar zu einer Galerie hinauf. Der Laden hatte entweder doch geschlossen oder war furchtbar schlecht besucht. Die Stühle standen auf den Tischen und der Geruch von Putzmitteln hing in der Luft. Auf dem Tisch, der mir am nächsten stand, lag zudem ein dunkles Handy und ein Buch. Sein Umschlag war ziemlich abgegriffen, aber der Titel ließ sich noch erkennen: Der Herr der Ringe. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Schon wollte die Filmmusik dazu in meinem Kopf aufsteigen, doch das Klavier, das einzig Lebendige in diesem Raum, unterband es. Der Mann, der daran saß, schien ungefähr in meinem Alter zu sein. Seine Haare waren zu Rastazöpfen geflochten und in einem wilden Knoten auf seinen Kopf drapiert. Er trug ein schlichtes hellblaues Trägershirt – viel mehr konnte ich von ihm nicht erkennen. Aber er spielte wunderschön. Ich lehnte mich an den Türrahmen und hörte ihm zu. Das Lied kannte ich nicht, aber das war völlig egal, denn jeder Ton war pure Magie und verströmte ein Gefühl von Frieden. Ich schloss die Augen und sog es in mich auf.

      „Gefällt es dir?“

      Ich fuhr so schnell herum, dass mir kurz schwindelig wurde. Jayden stand hinter mir. Riesig groß und wieder ganz in Schwarz.

      Beruhigend hob er die Hände. „Wow, Snoopy, ganz easy. Ich bin es doch bloß.“

      „Schleich dich gefälligst nicht so an mich ran!“, fauchte ich über meinen rasenden Herzschlag hinweg.

      Er hob die Brauen. „Ich schleiche? Wer steht denn hier im Schatten rum, hm?“

      „Die Tür war auf.“

      „Und das ‚Geschlossen‘-Schild gilt dann nicht?“ Sein Lächeln war breit und selbstbewusst.

      Ich hob trotzig das Kinn. „Da war keins.“

      Er bückte sich und fischte ein Schild vom Boden, das ich tatsächlich übersehen hatte. Hups. „Das Band ist gerissen, ich konnte es nicht aufhängen“, erklärte er seelenruhig. „Ich schätze, ich muss es reparieren.“

      „Solltest du vielleicht.“ Oh Mann, Valerie, tu was und steh nicht rum wie ein Depp! „Sorry, ich wollte hier nicht … einfallen.“

      „Kein Problem. Es ist schwer, Ty zu widerstehen, wenn er erst mal loslegt.“

      Mein Blick wanderte wie magnetisch angezogen zu dem Klavierspieler. „Er ist wirklich gut. Spielt er hier öfter?“

      „Nur wenn niemand da ist. Er mag Publikum nicht besonders.“ Jayden betrachtete Ty, der völlig in seine Musik versunken war und uns gar nicht zu bemerken schien. „Eigentlich sollte er mir beim Saubermachen helfen, aber ich bringe es nicht über mich, ihn von den Tasten wegzuholen. Ich würde mir vorkommen wie ein Kätzchenmörder.“ Unwillkürlich lachte ich auf und Jayden grinste mich an. Es veränderte ihn schlagartig. Mit einem Mal konnte ich kaum mehr verstehen, was mir gestern an ihm Angst eingeflößt hatte. „Und was treibst du hier?“, fragte er weiter. Ich zuckte die Achseln. „Ich habe versucht shoppen zu gehen.“

      „Du hast es versucht?“ Sein Blick bohrte sich in den meinen und ich fühlte mich wie in einem Karussell, dem jemand plötzlich einen Schubs gegeben hatte. Atme, Valerie, befahl ich mir. Einfach weiteratmen.

      Jayden öffnete den Mund, doch ehe er etwas sagen konnte, erklang hinter uns eine tiefe Stimme. „Hey, Jay, hör auf zu flirten und hilf mir, die Kaschemme hier sauber zu kriegen, ehe ich es mir anders überlege und dich sitzen lasse.“

      Mir war gar nicht aufgefallen, dass die Musik aufgehört hatte. Ty war aufgestanden und musterte uns. Er war riesengroß, bestimmt zwei Meter, und hatte durchtrainierte Oberarme, wie jemand, der sich regelmäßig im Fitnessstudio aufhielt und irgendwelche Gewichte stemmte. Ich glaubte, Misstrauen in seinem Blick zu sehen, obwohl das auf die Entfernung vermutlich Quatsch war.

      Jayden seufzte. „Das war mein Stichwort.“

      „Ja dann … ähm, viel Spaß euch.“ Ich winkte unbeholfen und machte einen Schritt Richtung Tür.

      „Oh ja, Böden schrubben ist wahnsinnig spaßig.“ Jayden wackelte mit den Augenbrauen. „Kann es kaum erwarten.“ Er streckte die Hand aus. „Darf ich?“

      Mit roten Wangen streckte ich ihm die Finger entgegen. Er drückte sie kurz. „Ähm, eigentlich wollte ich deinen leeren Becher wegwerfen. Oder brauchst du den noch zum Festhalten?“

      


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