Walk by FAITH. Felicitas Brandt
rückte meine Tasche zurecht, machte einen Schritt zurück … und fiel. Tollpatschig, wie ich war, hatte ich den Bordstein übersehen. Da ging er hin, der letzte Rest meiner nicht vorhandenen Würde.
Darth Fraser sah mich mit zusammengezogenen Brauen an. Sein Blick machte ziemlich klar, dass er mich für komplett gaga hielt. „Alles klar?“
„Sicher, ich, ähm … muss dann auch mal los.“
„Danke, dass du Tori hergebracht hast.“
„Und mich gerächt hast“, kommentierte Tori.
„Und sie gerächt hast“, wiederholte Darth Fraser brav.
Ich hob die Hand und versuchte, cool zu lächeln. „Gern geschehen. Ich –“
Jaydens Blick, der sich förmlich an meiner Hand festsaugte, ließ mich innehalten. Ein amüsiertes Lächeln zeichnete sich jetzt auf seinen Lippen ab. Dann blickte er mir wieder in die Augen. „Trotzdem danke. Wenn du mal wieder in der Gegend bist, schau gerne vorbei. Deine Getränke gehen aufs Haus.“ Er bugsierte Tori zum Eingang der Bar und warf mir über die Schulter noch einen Blick zu. „Bis dann … Snoopy.“
2
Die Grinsekatze kommt zum Tee
Ich schloss die Eingangstür des Mehrfamilienhauses auf, in dem Tante Fiona wohnte, und versuchte dabei, weder etwas fallen zu lassen noch einen der großen Blumentöpfe zu rammen, die den Weg zur Treppe säumten. Die Tüte in meiner Hand raschelte vernehmlich und ich überlegte kurz, ob ich sie hinter einer der Pflanzen verstecken sollte. Andererseits war es noch keine drei Uhr – Tante Fiona war sicher noch nicht zu Hause. Also erklomm ich die gigantische und zugegeben wirklich schöne Treppe. Breite Stufen und ein geschwungenes Geländer führten mich zur ersten Etage hinauf. Das Haus bestand aus vier Parteien und Tante Fiona besaß eine der beiden, die an den offenen Flur am Kopf der Treppe grenzten. Ich schob den Schlüssel ins Schloss und betrat die Wohnung.
„Valerie, bist du das?“
Oh, doch kein Sturmfrei. Dämliche, verwirrende Krankenhausarbeitszeiten! „Nein“, rief ich zurück. „Ich bin es, die Grinsekatze. Hat jemand den verrückten Hutmacher gesehen? Wir waren zum Tee verabredet.“
Ich glaubte, sie seufzen zu hören, dann tauchte Tante Fiona im Flur auf. Sie trug einen grauen Bleistiftrock und einen dazu passenden Blazer über einer schwarzen Bluse, die wiederum die Farbe ihrer Pumps widerspiegelte. Tante Fiona war das, was herauskam, wenn man eine Arbeitsbiene und eine Stilikone kreuzte. Sie war eine Mischung aus Lady Di und Meredith Grey aus Grey’s Anatomy. Sie sah gut aus, hatte ihr Studium mit Bestnoten abgeschlossen und war eine der renommiertesten Chirurginnen des Landes – und ich hatte nicht ein einziges dieser Gene geerbt. Das Leben war eben ungerecht.
„Deinen Humor hast du von deinem Vater.“ Das Aber leider nicht deine Arbeitsmoral blieb unausgesprochen in der Luft hängen.
„Ich wusste nicht, dass du heute schon so früh zu Hause bist“, erwiderte ich und schnappte ein bisschen nach Luft, während ich die Tür hinter mir schloss. Im Flur roch es nach frisch aufgelegtem Parfüm. Von hier aus gelangte man in die vor Edelstahl funkelnde Küche, von der man wiederum ins Wohnzimmer kam. Die ganze Wohnung war ziemlich beeindruckend. Stuckleisten, ein Kronleuchter über dem Esstisch, ein steinerner Kamin und ein riesiger Balkon, von dem man einen ziemlich coolen Blick über Berlin hatte. Die Etage über uns war in zwei Flügel unterteilt. Der kleinere war ihr Bereich, mit Schlaf- und Arbeitszimmer, während in dem anderen die Gästezimmer und ein angehender Fitnessraum untergebracht waren.
Ach ja. Und ich.
Seit drei Tagen (mit heute vier) gehörte mir eins der Gästezimmer. Das schönste selbstverständlich, immerhin hatte mich meine Tante trotz meiner Absonderlichkeiten unendlich lieb. Es lag zur von der Straße abgewandten Seite und abends konnte man durch die Fenster den Sonnenuntergang beobachten. Ich hatte ein Bad ganz für mich alleine und, wenn ich wollte, völlige Ruhe. Genau das, was mir im letzten Jahr so gefehlt hatte. Genau das, weswegen ich vermutlich durchgedreht und hierher verbannt worden war.
„Ich konnte schon heute Morgen operieren und da mein Patient gute Werte hat, habe ich ihn meinen Assistenten überlassen.“ Sie zog in einer vermutlich unbewussten Bewegung ihren Pieper aus der Tasche ihres Blazers und warf einen Blick darauf. „Ich denke, heute Abend sollte nichts mehr passieren, und ich habe auch keine Bereitschaft.“
„Der Blazer ist hübsch“, bemerkte ich, als ich mich zur Treppe wandte, um in mein Zimmer zu verschwinden. Meine Füße taten tierisch weh, ganz zu schweigen von meinen Oberschenkeln. Ich wollte meine Jogginghose und Flauschsocken! Auf der Stelle!
Tante Fiona lächelte flüchtig, dann fiel ihr Blick auf die Tüte und plötzlich wirkte ihr Blick wie der eines Drogenhundes vor einem verdächtigen Koffer. „Was ist das?“
„Frustfutter und Glückhormone“, erwiderte ich.
Ihre Augen verengten sich. „Lief das Gespräch nicht gut?“
„Das kommt drauf an, was du unter gut verstehst. Aber ich habe den Job“, fügte ich hinzu, ehe sie sich Sorgen machen konnte. „In ein paar Tagen kann ich anfangen.“
„Was lief dann nicht gut?“, hakte sie nach.
Ich seufzte. „Alles! Diese Klamotten und … die Haare … die Schuhe …“ Ich kickte die verhassten Dinger von den Füßen und wäre dabei beinahe umgefallen.
Meine Tüte fiel mit einem ungesunden Plumps zu Boden und offenbarte ihren Inhalt. Aber Tante Fiona achtete gar nicht darauf. Ihr Blick klebte plötzlich an meinem Handgelenk. Anders aber als bei Darth Fraser eben ließen ihre Augen keinen Humor erkennen. „Du hast das draufgelassen?“
Das war in diesem Falle ein Tattoo. Gut, kein richtiges, sondern so eins zum Aufkleben von einer Fruchtzwerge-Packung. Aber dafür sah es ziemlich gut aus. Es zeigte den kleinen Cartoon-Hund Snoopy mit seinen riesigen schwarzen Ohren und dem süßen Blick. Meine kleine Schwester Jude hatte ihn mir zum Abschied auf den Arm geklebt und dafür, dass er schon seit fast vier Tagen drauf war, sah er noch ganz schön gut aus. Was vielleicht auch daran lag, dass ich beim Duschen und Händewaschen immer extra aufpasste. Möglicherweise, weil ich ein emotionales Wrack war und mich durch diese chemische Klebefigur mit meiner kleinen Schwester verbunden fühlte. Na und?! „Unter der Bluse hat man es gar nicht gesehen“, verteidigte ich mich hastig. Okay, Darth Fraser hatte es gesehen. Aber das war ein Unfall gewesen. Quasi.
„Mhm mhm.“ Tante Fiona war nicht überzeugt. „Aber wenn du im Estrell anfängst, machst du es bitte ab, ja? Und wenn du dich in diesen Klamotten nicht wohlfühlst, dann kauf dir andere. Du musst dich dran gewönnen, so etwas zu tragen.“
Das „Warum?“ rutschte viel zu schnell über meine Zungenspitze, die ich mir unter dem tadelnden Blick meiner Tante fast abbiss. „Tschuldige“, fügte ich rasch hinzu. „Langer Tag.“ Ich sah genau, wie sie einen Blick auf ihre innere Uhr warf, die vermutlich nicht einmal ansatzweise Richtung Feierabend zeigte. „Ich gehe ein Bad nehmen“, schob ich noch nach und erklomm die ersten Stufen der Treppe.
„Hast du morgen schon was vor?“, fragte Tante Fiona.
„Ich denke, ich werde mich ein bisschen in der Stadt umsehen. Vielleicht –“
„Prima, ich werde dir eine Liste mit Läden machen, in denen du nach Klamotten suchen kannst. Es gibt einen, in den ich fast ausschließlich gehe, und die Damen dort kennen mich. Meine Kontodaten sind dort auch hinterlegt. Ich werde anrufen und sagen, dass sie alles über mich abrechnen sollen. Du musst nicht knauserig sein, aber ein bisschen Beherrschung wäre nett, in Ordnung?“ Sie zwinkerte mir zu.
Ich schluckte den Sarkasmus hinunter und erklomm eine weitere Stufe. „Ich werde es versuchen. Also dann, einen schönen Abend dir!“ Meine Flucht wurde nicht weiter vereitelt und zwei Minuten später landete die Tüte mit meinen Einkäufen auf einem Sessel, die Haarklammer auf dem Boden, weil ich den Tisch verfehlte, und