Walk by FAITH. Felicitas Brandt
mich ermahnte, das bloß sein zu lassen.
„Hey, ihr.“ Tori tauchte aus der Menge auf und hüpfte neben mir auf einen Barhocker. „Was geht ab?“
„Hey, Tori.“ Jayden küsste sie flüchtig auf die Wange. „Gute Arbeit da oben.“
„Ich hoffe, der Bassist bleibt uns länger erhalten, er groovt so schön.“
„Ich werde ihn für dich an die Bühne fesseln.“
Während die beiden redeten, ließ ich meine Blicke schweifen und bewunderte die Instrumente an der Wand, bis Tori mich anstupste. „Worüber denkst du nach?“
„Die Deko – die ist ziemlich … außergewöhnlich.“
„Hörst du, Jayden? Außergewöhnlich“, wiederholte Tori mit einem undeutbaren Unterton.
„Immerhin sagt sie nicht ‚verrückt‘“, erwiderte Jayden achselzuckend. „Das ist doch was.“
„Warum die ganzen Instrumente an der Wand?“, fragte ich und sah mich betont aufmerksam um. „Hast du keine Angst, dass sie jemand stiehlt? Es sind ein paar gute dabei.“
„Niemand würde von Jayden stehlen“, warf Tori ein. „Das ist quasi gegen das Gesetz.“
„Das ist Stehlen meistens“, erwiderte Jayden trocken.
Tori verdrehte die Augen. „Gut, dann gegen den Kodex. Den Balou-Kodex.“
Neugierig sah ich Tori an. „Es gibt einen Balou-Kodex?“
„Na klar. Ins Balou darf jeder kommen, solange er sich benimmt. Schlägereien oder Provokation sind nicht geduldet. Die Mädchen sind hier sicher. Auf den Klos wird nicht gefixt und in den dunklen Ecken nicht gedealt. Das ist der Balou-Kodex.“
„Und weiß das der Typ da vorne auch?“, fragte ich, während ich beobachtete, wie ein junger Kerl mit Hut und Bart eine Mandoline von der Wand nahm.
„Ist schon gut, Snoopy. Entspann dich.“ Jayden legte mir eine Hand auf die Schulter. „Dafür sind die Instrumente da.“
Ich sah ihn verwirrt an. „Um gestohlen zu werden?“
„Er stiehlt es nicht.“ Jayden nickte zur Bühne hinüber. „Schau.“
Der Hutmann kletterte tatsächlich auf die Bühne und sprach mit der Band, ehe er ans Mikro trat. „Hey.“ Er hatte eine viel tiefere Stimme, als ich gedacht hätte, und sie zitterte leicht vor Nervosität. „Lasst euch nicht stören, ich wollte euch nur kurz meinen neuen Song vorstellen.“ Damit setzte er sich unter ermutigendem Applaus auf den bereitstehenden Hocker und begann zu spielen. Und wie er spielen konnte!
Ich bemerkte erst, dass meine Kinnlade heruntergeklappt war, als Tori sie sanft zuschob. „Du sabberst, Süße.“
Ertappt wischte ich mir über das Kinn und funkelte sie an. „Gar nicht.“ Tori und Jayden lachten beide und ich hob ergeben die Hände. „Okay, okay, also das hier ist keine normale Bar, ich hab’s kapiert.“
„Richtig.“ Tori strich sich die Haare zurück. „Die Instrumente sind nicht nur Deko, sie werden regelmäßig von unseren Gästen benutzt. Jeder, der möchte, darf darauf spielen. Sie werden gepflegt, gestimmt, all dieses Zeugs eben. Es ist eine lebendige Deko, wenn du so willst.“
„Wow.“ Mein Blick glitt über die Wand. „Und wo kommen die alle her? Das muss doch irre viel Geld gekostet haben.“
„Der Schuppen gehörte früher mal einem Musiker-Duo, ein Musikprofessor und ein Sänger. Beide hatten gute Kontakte. Viele der Instrumente sind ausrangierte Sachen von Bands, Spenden, der kleinste Teil ist wirklich selber gekauft.“
„Irre. Und das alles gehört dir?“, fragte ich Jayden, nur um sicherzugehen.
„Entspreche ich nicht deinen Vorstellungen eines Barbesitzers?“, fragte der belustigt. „Was fehlt mir? Das fleckige Unterhemd?“
„Und der Rauschebart“, stimmte ich zu. „Und dazu noch so 15 bis 20 Jahre Weisheit.“
„Ich bin die Definition von Weisheit, Snoopy.“ Jayden sah mir so tief in die Augen, dass ich mich unwillkürlich am Tisch festklammerte, weil der ganze Raum zusammenzuschrumpfen schien.
Große Güte, was hatte der Typ nur an sich?
„Und du?“, fragte ich Tori und stolperte fast über meine Worte. „Was tust du hier?“
„Singen“, erwiderte sie mit einem Lächeln, das mich an eine zufriedene Katze erinnerte, der man eine Schale voll Sahne anbot. „Jayden nerven. Mit Ty Kicker spielen. Dinge. Aus Gründen.“
„Ah“, machte ich nicht sehr intelligent und nippte erneut an meinem Cocktail. „Cool.“
Viele Lieder später versteckte ich ein Gähnen hinter meinem leeren Glas und warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach elf. Wirklich müde war ich noch nicht, eher aufgekratzt. Und doch machte sich langsam Erschöpfung breit. Die Bühne war leer, die Musik kam jetzt aus den überall verteilten Boxen.
„Wollen wir los?“ Tori sah mich aus dunklen Augen mit leicht verschmierter Mascara an.
„Ja, ich glaube, mir reicht’s für heute.“
„Fein.“ Tori strahlte mich an. „Dann hopp.“
„Du musst aber nicht wegen mir gehen.“
„Tu ich nicht. Ich bin müde und hab morgen früh eine Vorlesung zu einer echt gemeinen Uhrzeit. Und ich lasse dich nicht allein durch Berlins Nächte irren. Sollte dir was passieren, würde Jayden mir das nie verzeihen. Und ich mir auch nicht.“
Jayden. Unwillkürlich sah ich mich um. Der schwarz gekleidete Barbesitzer war schon vor einer Weile verschwunden.
Mit leisem Bedauern stand ich auf. Ich wollte eigentlich nicht einfach abhauen, ohne Auf Wiedersehen und Danke zu sagen. Es war unhöflich, einfach zu verschwinden. Doch ich konnte Jayden nirgendwo entdecken und Tori stand schon an der Tür und winkte mir mit fragender Miene zu. Also schnappte ich hastig meine Tasche und eilte ihr nach.
Ein frischer Wind begrüßte mich und wehte mir meine Haare ins Gesicht. Bis auf die Straßenlaternen war es stockdunkel, ein Blick nach oben zeigte mir eine gigantische Wolkenarmee, die jegliches Sternenlicht für sich beanspruchte. Es war frisch und ich war dankbar für meine Jacke. Tori zog bereits den Kopf zwischen die Schultern.
„Zeit zu gehen, Ladies?“ Jayden tauchte urplötzlich aus dem Schatten auf. Mein Herz machte einen kleinen Satz, das Bedauern löste sich in Luft auf.
„Jap.“ Tori drehte sich auf der Bordsteinkante mit ausgebreiteten Armen einmal um sich selbst. „Die coole Musik hat sich ausgespielt, also gehen auch die coolen Mädels.“
Jayden lachte und sagte mit einem Blick in meine Richtung: „Tori, sorgst du dafür, dass Snoopy heile nach Hause kommt?“
„Selbstverständlich, mon Capitano.“ Tori salutierte zackig, hüpfte auf Jayden zu, schlang die Arme um seinen Hals und ließ sich einfach gegen ihn fallen. Jayden drückte sie fest.
„Gute Nacht“, flötete sie. „Danke für die Drinks.“
„Denk dran, dass du morgen einen Kurs hast.“
„Hast du wieder heimlich einen Wecker auf meinem Handy gestellt?“
„Selbstverständlich.“
„Du bist der Größte.“ Gähnend ließ sie von ihm ab. „Hopp, hopp, Snoopy, sag dem Barmann Gute Nacht.“
„Gute Nacht“, wiederholte ich etwas unsicher und hob eine Hand zu einem vagen Winken.
Jayden lächelte leicht und hob ebenfalls die Hand.
Steif und merkwürdig standen wir voreinander, wobei diese Gefühle wahrscheinlich nur in mir herumschwirrten. Ehe ich noch eine Dummheit begehen konnte,