Mit dem Altern wachsen. Silke Jahr

Mit dem Altern wachsen - Silke Jahr


Скачать книгу
den 80. Geburtstag feiern.‘“

      „Früher oder später macht jeder die schmerzliche Erfahrung von deutlichen körperlichen Beschwerden.“ Max wirkt in sich gekehrt. „Die Möglichkeiten der aktiven Lebensgestaltung schränken sich sukzessive ein. Als man noch beruflich arbeitete, war ein bestimmtes Leiden vielleicht auch schon da, wurde aber durch die täglichen Herausforderungen überspielt.“

      „Bei einem auftretenden Leiden sagt man sich zunächst: ‚Das ist vorübergehend, vergeht aber auch wieder‘, denn diese Erfahrung hat man schließlich in jüngeren Jahren gemacht.“ Kiri seufzt.

      „Es wird aber nicht gut. Das Leiden lässt sich oft lindern, verschwindet jedoch nicht. Die Beschwerden bleiben und nehmen allmählich zu.“

      „Ich bemerke an mir, wenn ich irgendein Zipperlein habe, es vielleicht an einer bestimmten Stelle juckt oder beim Auftreten wehtut – was sich als Hühnerauge herausstellte –, dass ich dann sofort die Befürchtung habe, ob es auch nichts Bleibendes ist. Diese Gedanken habe ich erst neuerdings“, sagt Lisa kummervoll.

      Kiri hat sich noch einen Kaffee bestellt. „Eine verbreitete Methode ist, es zu leugnen. Daher gehen viele nicht zum Arzt, obwohl sie spüren, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Viele Menschen wollen einfach nicht akzeptieren, dass sie alt geworden sind.“ Bei diesen Worten wippt Kiri mit der Fußspitze. „Zumindest sollen es die anderen nicht merken. Die Alten zeigen heute durch ihre Kleidung, ihre Mobilität und Aktivität: Ich gehöre nicht zum alten Eisen.“

       Ich bleibe jung!

      „Frauen versuchten schon immer durch kosmetische Präparate und bisweilen Schönheitsoperationen, ihr Altern zu kaschieren“, stellt Lisa fest. „Hinzu kommt, Frau muss heute gut aussehen, wenn sie richtig anerkannt sein will. Es fördert ihren Erfolg im Beruf. Ich wundere mich darüber, welchen Aufwand die Frauen treiben, nur um stets perfekt frisiert zu ihrer Arbeit zu kommen. Dabei tragen fast alle Frauen, ob jung oder alt, pflegeintensive lange Haare – egal wie es ihnen steht.“

      „Immer mehr Männern ist ebenfalls ihr Aussehen wichtig“, mischt Golo sich ein. „Sie legen Wert darauf, modisch gekleidet zu sein. Manche lassen sogar ebenfalls Schönheitsoperationen an sich vornehmen.“

      Lisa nickt. „Männer tragen Ketten, Kettchen und Ohrschmuck. Ganz gewöhnt habe ich mich noch nicht an den bejahrten Pastor in meinem Haus, der Pferdeschwanz und einen Ohrring trägt.“

      „Wer ewig jung bleiben will, verweigert sich der Reife“, fügt Alma lakonisch hinzu.

       Das Altern der Frauen

      „Das Altern der Frauen ist jedoch mit deutlich mehr Nachteilen verbunden als das der Männer. Wenn Frauen altern, sind sie sich bewusst, dass sie für die Männerwelt uninteressant werden.“ Almas Stimme klingt leicht aggressiv.

      Kiri stimmt ihr zu: „Eine sehr attraktive Freundin sagte mal: ‚Ich habe genau beobachtet, die Männer haben immer einen Blick für mich gehabt, sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Ab 50 begann sich das zu ändern. Sprach ich beruflich dann mit Männern über meine Projekte, interessierten sie sich nur noch für die Sache, als Frau war ich abgeschrieben. Ich investierte zwar viel Zeit, um stets sehr gepflegt aufzutreten, doch es nutzte alles nichts. Das ist eine große Ungerechtigkeit, die der Frau im Vergleich zum Mann widerfährt.“

      „Schöne Frauen kennen es nicht anders“, sagt Alma, „sie ziehen die Blicke auf sich und erfahren ständig Aufmerksamkeit von Männern. Werden sie älter, lässt das alles nach, bis sie in ihrer Weiblichkeit gar nicht mehr wahrgenommen werden.“

      „Viele verkraften das nur schwer“, fügt Lisa hinzu. „Umgekehrt hörte ich mal von einer Frau: ‚Ich kann gut älter werden, weil ich nicht schön war in meiner Jugend.‘“

      „Neulich ging ich durch die Münchner Innenstadt“, setzt Golo das Gespräch fort. „Elegant angezogene Menschen in großer Zahl. Ich schaute die perfekt frisierten Frauen an. Die Starre der fast faltenfreien Gesichter ließ mich erschauern, denn man sah trotz der Botox-Spritzen: Es waren ältere oder alte Frauen. Diese Angst, bloß nicht so alt auszusehen, wie man ist!“

      „Und diese Angst breitet sich immer weiter aus.“ Kiri macht eine abwertende Handbewegung. „Man hungert, um die Figur eines Teenagers zu bekommen.

      Bei dem Geburtstag einer Freundin sah ich von hinten eine sehr schlanke, gut gekleidete Frau, die ich nicht kannte. Ich schätzte sie so um die 50. Als sie sich umdrehte, war ich platt. Ein total faltiges Gesicht, die Frau war wohl 70. Später fragte ich meine Freundin nach dem Alter dieses Gastes. Sie war 60. Dumm für diese ausgehungert aussehende Frau, dass man nicht mit dem Rücken zueinander kommuniziert.“

      „Derartige Fälle kenne ich auch“, sagt Lisa verdrossen. „Immer häufiger sehe ich erlesen angezogene ältere Frauen, jedoch mit einem nahezu ausgemergelten Körper.“

      „Nicht umsonst ist von Jugendwahn die Rede“, fügt Alma gereizt hinzu.

       Der Eintritt ins Rentenalter

      Lisa beißt in ihr Schweinsohr. „So kann man es machen: Meine Mutter legte sich in den Liegestuhl und schaute in die Wolken. Mein Vater erledigte den Haushalt, einkaufen, kochen, waschen, sich um die Handwerker kümmern. Er musste einfach alles machen und war förmlich am Ausflippen. Nach drei Tagen stand meine Mutter auf, wusste nun, was sie wollte, und klinkte sich wieder ins Leben ein.“

      „Ist doch eine starke Frau!“ Aus Kiris Stimme ist Bewunderung zu hören.

      „Der Eintritt ins Rentenalter ist nun mal die größte Veränderung im Leben eines Menschen“, sagt Alma. „Ich trete in eine neue Lebensphase ein, die sich gravierend von der vorhergehenden unterscheidet. Man schaut nicht mehr neugierig und erwartungsfroh in die Zukunft. Eher beschleicht einen das Gefühl, nun sei das perlende Leben vorbei. Ich trete meine letzte Reise an.“

      Alma setzt das Gespräch fort: „Während viele total zufrieden sind, dass der Ruhestand da ist, haben andere damit Schwierigkeiten. Meine Freundin spricht davon, sich nun neu definieren zu müssen.

      Sie meint: ‚Ich fühle mich nicht alt, das Alter wird mir aufgedrängt. Da hat mir neulich eine Fünfzigjährige ihren Platz im Bus angeboten. Ich habe innerlich gekocht und dankend abgelehnt‘.“

      „Ich verstehe, was sie meint“, sagt Kiri. „Stellt euch vor, im Café bestelle ich mir drei Stück Kuchen. Sagt doch die Bedienung zu mir: ‚Drei Stück, das ist zu viel für Sie!‘“

      „Bei meiner Nachbarin im Chor habe ich seit ihrem Berufsausstieg sogar eine gewisse Verzweiflung bemerkt“, sagt Lisa und macht dabei ein trauriges Gesicht. „Sie erzählte mir voller Stolz, eine Maus im Haus zu haben: ‚Jeden Tag stelle ich ihr Milch und Süßigkeiten hin. Gesehen habe ich die Maus noch nicht, aber in der Wand höre ich es knabbern und raspeln.‘

      Auf meinen Hinweis, sie würde bald ganze Mäusekolonien beherbergen, die ihr Haus zerstörten, reagierte sie achselzuckend: ‚Mein Haus kann ruhig zerfressen werden, es muss nur noch fünf Jahre halten. Kinder habe ich schließlich nicht.‘“

      „Manch einer hat das Gefühl, wenn das Berufsleben vorbei ist, dann gibt es nur noch ein Dahinvegetieren.“ Max sieht verständnislos seine Freunde an

       In Passivität versinken

      „Die Gefahr, im Ruhestand in Passivität zu versinken, ist groß“, meint Kiri bedauernd. „Freud und Leid des Berufsalltags entfallen. Man ist raus aus der Mühle, niemand sagt einem, was man tun muss. So schön das einerseits ist, es fehlt ein Stück Lebenselixier.“

      „Du


Скачать книгу