Der himmlische Weihnachtshund. Petra Schier
beinahe über einen der Kartons gestolpert, die überall im Raum verteilt standen. »Huch!«, rief sie erschrocken. Fast wäre ihr der Computerausdruck, den sie mitgebracht hatte, aus der Hand gefallen. »Santa Claus, ich habe hier etwas entdeckt. Du wolltest doch, dass ich dir zu diesem Michael einen detaillierten Lebenslauf zusammenstelle. Schau mal, was ich dabei herausgefunden habe!« Sie reichte ihm den Ausdruck.
Neugierig las der Weihnachtsmann die Informationen durch. »Aha«, brummelte er in seinen Bart. »Wusste ich es doch!«
»Was ist es denn?«, wollten die beiden Kundschafter-Elfen neugierig wissen.
Santa Claus hob den Blick von dem Papier. »Wie es scheint, hat Michael Sahler vor etwa zehn Jahren einen Detektiv beauftragt, seine Jugendfreundin Fiona ausfindig zu machen.«
»Hat er sie gefunden?«, wollte Elfe-Acht wissen.
»Ja«, antwortete Elfe-Sieben an Stelle des Weihnachtsmannes.
»Dann hat er seine alte Freundin ja schließlich doch wieder zurückbekommen!«, folgerte Elf-Zwei zufrieden.
»Siehst du, Santa, deine Sorgen waren ganz unbegründet. Ob mit oder ohne Fiona – sein Leben ist verlaufen, wie es sollte.«
»Nicht ganz«, warf Elfe-Sieben ein. »Michael hat zwar ihren Aufenthaltsort herausgefunden, aber seitdem niemals auch nur den kleinsten Versuch gemacht, mit ihr Kontakt aufzunehmen.«
»Oh.« Elfe-Acht machte große Augen. »Warum wohl nicht? Wenn er sie nach all den Jahren nicht vergessen und vielleicht so sehr vermisst hat, dass er sogar einen Detektiv beauftragt hat, sie zu finden, hätte ich erwartet, dass er auf schnellstem Wege zu ihr fährt.« Die Elfe hob die Schultern. »Oder sie zumindest mal anruft.«
»Das sollte man meinen, nicht wahr?«, stimmte Elfe-Sieben zu. »Aus irgendeinem Grund hat er es nicht getan. Aber es kommt noch besser!« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause.
Elf-Zwei verdrehte ungeduldig die Augen. »Nun mach es doch nicht so spannend!«
Die kleine Assistentin des Weihnachtsmannes grinste schelmisch. »Fiona Maier ist seit ungefähr drei Monaten wieder zurückgekehrt. Sie lebt wieder in derselben Stadt wie Michael – als Tierärztin.«
»Wow!«, rief Elfe-Acht. »Und ich wette, er weiß nichts davon.«
»So ist es«, bestätigte Elfe-Sieben.
Santa Claus erhob sich und ging grübelnd zwischen den Kisten und Kartons auf und ab. »Da ist was im Busch. Ich wusste es!« Abrupt blieb er stehen und drehte sich zu seinen Elfen um. »Wir müssen herausfinden, was da vorgeht. Und dann helfen wir den beiden, jawohl!« Auf seinen Lippen erschien ein schalkhaftes Lächeln. »Und ich glaube, ich weiß auch schon wie.«
***
Brr, ist das kalt hier! Und ungemütlich. Und es riecht unangenehm. Irgendwie scheint alle Welt zu glauben, dass Hunde nicht so leicht frieren, weil wir doch ein Fell haben, das uns wärmt. Aber hallo – ich bin ein Labrador! Mein Fell ist so kurz, dass es einer langen Nacht in einer Mülltonne bei Frost nicht so wirklich standhält. Und ich verwahre mich auch entschieden dagegen, dass Hunde im Allgemeinen stinkende Abfälle lieben. Also bitte – ich sitze seit Stunden auf einem Beutel mit faulendem Gemüse und Fischgräten! Das ist ekelhaft. Solches Zeug kann man ja nicht mal mehr fressen. Dagegen war das Futter im Tierheim die reinste Delikatesse. Obwohl es nur billiges Dosenfutter gab, von dem man schon mal Durchfall bekommen kann.
Anfangs fand ich den Vorschlag, den die beiden Weihnachtselfen mir gemacht haben, ja noch ganz witzig und spannend. Sie würden mir zur Flucht aus dem überfüllten Tierheim verhelfen und mir ein schönes Zuhause vermitteln, wenn ich ihnen im Gegenfall einen kleinen Gefallen tue. So weit, so gut. Der Deal sah aber nicht vor, dass ich die ganze Nacht in einer stinkenden Mülltonne verbringen muss und mir dabei die Pfoten abfrieren. Oder vielmehr sind die beiden Elfen erst damit rausgerückt, als wir schon aus dem Tierheim raus waren.
Jetzt kann ich bloß noch hoffen, dass nicht die Müllabfuhr kommt, bevor mich dieser Michael-Mensch findet, sonst ist es vielleicht ganz schnell aus mit dem schönen Plan und wahrscheinlich auch mit meinem Leben. Schnüff. Wenn ich doch wenigstens an den Deckel der Tonne herankäme. Aber er ist zu weit oben, und wenn ich versuche zu springen, versinke ich nur noch tiefer im Unrat. Also bitte, lieber Michael-Mensch, wer auch immer du sein magst: Hol mich ganz schnell hier raus! Vielleicht sollte ich ein bisschen heulen, damit du mich auch hörst? Das kann ich gut! Ja, das werde ich tun. Viel länger halte ich es hier nämlich nicht mehr aus.
»Also wirklich, Santa. Hältst du das für eine gute Idee?« Die Frau des Weihnachtsmannes stand vor der Wand mit den unzähligen LCD-Bildschirmen, von denen erst wenige in Betrieb waren. Trotz der Renovierungsarbeiten ging natürlich die Arbeit des Weihnachtsmannes weiter, und das bedeutete, dass die wichtigsten seiner diesjährigen Wunschzettel-Fälle ständig per Videoüberwachung in sein Büro übertragen wurden. Michael Sahler hatte er natürlich auch auf einen der Bildschirme gelegt. Nun trat er zu seiner Frau und betrachtete die Mülltonne mit dem kleinen Hund darin.
»Ich weiß, es sieht ziemlich grausam aus«, gab er zu. »Aber schwierige Lagen bedürfen manchmal drastischer Mittel. Sei jedoch unbesorgt, mein Schatz. Elf-Zwei und Elfe-Acht sind ganz in der Nähe und werden dafür sorgen, dass der Kleinen nichts passiert.«
»Ihr ist kalt, das sehe ich doch von hier aus!«, protestierte seine Frau energisch. »Und Hunger hat sie ganz bestimmt auch. Hast du denn gar kein Mitleid mit dem Hund?«
»Warte doch ab!«, antwortete der Weihnachtsmann eifrig. »Gleich wirst du sehen, wie mein genialer Plan aufgeht.«
3. Kapitel
Tief atmete Michael die eisige Luft ein. Es war noch früh am Morgen, die Straßenbeleuchtung war das einzige Licht, das ihm den Weg wies. Sein Haus lag ein bisschen außerhalb der Stadt am Waldrand, und im Sommer nutzte er die Gelegenheit, um seine Laufrunden im Wald und zwischen den Feldern der Umgebung zu absolvieren. Doch um diese Jahreszeit zog er den nicht allzu weit entfernt gelegenen Park vor. Der befand sich im Stadtgebiet und hatte den Vorteil, auch früh morgens schon zumindest teilweise beleuchtet zu sein.
In der Nacht hatte es wieder stark gefroren. Der Atem stand Michael in kleinen Wölkchen vor dem Gesicht, als er seine Runde um den Seerosenteich drehte, auf dem im Sommer die Enten schwammen und sich von den Parkbesuchern mit trockenem Brot füttern ließen.
Weil ihm die Bewegung nach den langen Verhandlungen mit seinen Brüsseler Geschäftspartnern in der vergangenen Woche guttat, hängte er noch eine zweite Runde um den kleinen See an, bevor er den Parkausgang ansteuerte und in die Rosenstraße einbog, die stadtauswärts führte. Ein seltsames Quietschen ließ ihn mitten in der Bewegung innehalten. Er joggte auf der Stelle und lauschte. Nein, das war kein Quietschen, sondern ein Jaulen.
Im ersten Moment wollte Michael achselzuckend weiterlaufen, doch irgendetwas in ihm mahnte ihn, stehenzubleiben. Einen Moment lang war alles still, doch dann erklang das herzzerreißende Jammern von neuem.
War da etwa ein Tier in Not? Suchend blickte er sich um und ging dann langsam in die Richtung, aus der das Jaulen zu kommen schien. Direkt vor einem großen Müllcontainer blieb er stehen. Als ein Winseln ihm anzeigte, dass sich der Hund – denn um einen solchen musste es sich handeln – in der Tonne zu stecken schien, ergriff ihn unvermittelt heftiger Zorn. Wer um alles in der Welt warf denn ein hilfloses Tier in eine Abfalltonne?
Rasch schob er den Deckel zurück und lugte ins Innere des Containers. Im diffusen Licht der Straßenlaterne blickten ihn zwei riesige braune Augen an. Dann erklang ein freudiges Bellen. Der Welpe – er konnte kaum älter als ein paar Monate sein – begann bei seinem Anblick am ganzen Körper zu wedeln und sprang heftig auf und ab. Eine Welle von Gestank schwappte ihm entgegen.
Michael wich instinktiv zurück, beugte sich jedoch gleich wieder vor und hielt sicherheitshalber die Luft an. Vorsichtig griff er in den Abfallbehälter und bekam das aufgeregte Bündel zu fassen. Augenblicke später hatte er das kleine sandfarbene Labradormädchen auch schon im Arm und dessen Zunge im Gesicht.
»Hey,