Der himmlische Weihnachtshund. Petra Schier

Der himmlische Weihnachtshund - Petra Schier


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einfach nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Zwanzig Jahre waren eine lange Zeit. Eigentlich müsste sie sich freuen, ihren guten Freund aus Kindertagen wiederzusehen. Wenn – ja, wenn da nicht dieses furchtbar schlechte Gewissen wäre. Außerdem sah er – trotz seines momentan nicht ganz salonfähigen Aufzugs – genauso aus wie in den Zeitschriften, in denen sie über die Jahre hinweg seine Eskapaden verfolgt hatte. Nein, er sah sogar noch besser aus mit seinen rabenschwarzen Haaren, die ihm in Wellen bis zum Kragen reichten, und den strahlend blauen Augen. Die Schatten um sein Kinn verrieten, dass er sich heute noch nicht rasiert hatte. Vermutlich hatte er das erst nach seiner Joggingrunde vorgehabt.

      Energisch lenkte Fiona ihre Gedanken wieder auf das Hundefutter. Sie griff nach einem der Beutel und trug ihn hinüber in die Teeküche. Der kleine Hund folgte ihr freudig wedelnd. Michael war im Gang stehengeblieben und beobachtete jede ihrer Bewegungen schweigend.

      Sie füllte eine kleine Blechschale mit dem Futter und eine weitere mit Wasser und stellte beides vor der Hündin auf den Boden. Die Kleine stürzte sich darauf, als sei sie kurz vor dem Verhungern.

      »Sahler-Welpenfutter?« Er lächelte leicht.

      Sie zuckte zusammen und drehte sich zu ihm um. »Ja, natürlich. Euer Tierfutter ist das Beste, das es derzeit am Markt gibt. Ich empfehle es jedem Tierhalter, der in meine Praxis kommt. Es ist nicht ganz billig, aber was die Inhaltsstoffe angeht, kann es kein anderes Futter mit eurem aufnehmen.« Sie errötete leicht. »Aber das weißt du selbst. Ist schließlich deine Firma.«

      »Ich freue mich, dass du als Tierärztin unsere Produkte weiterempfiehlst«, sagte er; sein Lächeln vertiefte sich. »Du hast deinen Traum also wahrgemacht.«

      »Traum?« Verblüfft sah sie zu ihm auf. Er war einen Schritt auf sie zugekommen und stand nun so dicht vor ihr, dass sie die winzigen grauen Einsprengsel in seiner Iris erkennen konnte.

      »Ja, du wolltest doch schon damals immer unbedingt Tierärztin werden. Ich finde es toll, dass du daran festgehalten hast.« Er machte eine ausholende Bewegung mit der rechten Hand. »Sieh dir das an. Eine große Praxis. Und bestimmt unzählige zufriedene Patienten.«

      Sie schluckte und wich einen Schritt zurück, tat so, als müsse sie sich unbedingt die Hände waschen. »Die Arbeit macht mir viel Freude«, antwortete sie nach einem Augenblick. »Und du hast die Firma inzwischen von deinem Vater übernommen?«

      »Noch nicht ganz.« Er ging zur Anrichte und lehnte sich lässig dagegen. »Mein alter Herr wird sich ganz sicher noch eine Weile nicht zur Ruhe setzen. Aber das ist auch gut so. Ohne seine langjährige Erfahrung wäre ich aufgeschmissen. Aber er hat mir inzwischen große Bereiche der Leitung übertragen.«

      »Das ist schön.« Sie heftete ihren Blick auf den Hund, der noch immer gierig das Futter kaute. »Du musst nicht hierbleiben, Michael. Ich kümmere mich schon um die Kleine. Gleich rufe ich erst mal im Tierheim an. Dort wird man sicher einen Platz für sie haben. Und so einen hübschen jungen Hund können sie bestimmt ganz rasch vermitteln.«

      Ich höre wohl nicht recht! Ich will nicht ins Tierheim! Die Elfen haben mich gerade erst da rausgeholt! O bitte, kann ich nicht hier bleiben? Oder noch besser bei Michael. Er riecht so gut und ist groß und stark, und ich mag ihn einfach! Außerdem habe ich vom Weihnachtsmann einen Auftrag erhalten, und der ist Ehrensache.

      »Sieh dir das an.« Michael blickte verblüfft auf die Hündin hinab, die bei dem Wort Tierheim sofort zu fressen aufgehört hatte. Mit einem Satz war sie bei ihm und klemmte sich zitternd und fiepend zwischen seine Beine und die Anrichte. »Als hätte sie jedes Wort verstanden.« Er ging in die Hocke und strich der Kleinen sanft übers Fell. »Du willst wohl nicht ins Tierheim, wie?«

       Sogleich drückte sie ihren Kopf gegen seinen Arm und fiepte erneut. Dann hob sie den Kopf und sah ihn mit steinerweichendem Hundeblick an.

      Fiona konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Sie scheint sich in dich verliebt zu haben.«

      »In mich?« Seine Frage klang derart aufrichtig überrascht, dass Fiona laut lachen musste.

      »Ich sage nicht, dass sie damit guten Geschmack beweist.«

      »Ach nein?«

      »Nein, denn wenn man deine bisherigen Geschichten mit dem weiblichen Geschlecht bedenkt, sollte man ihr unbedingt nahelegen, schnell das Weite zu suchen. Andererseits ist sie ja ein Hund, und die suchen sich die Menschen, die sie mögen, wohl nach anderen Kriterien aus als wir Zweibeiner. Du kannst aber wirklich jetzt gehen. Kosten entstehen dir keine. In einem solchen Fall übernimmt das …« Sie brach ab, da er unvermittelt ihre Hand genommen und sie zu sich herangezogen hatte.

      Einen Moment lang sahen sie einander schweigend an, dann lächelte er wieder. »Fiona, ich freue mich, dass wir uns nach der langen Zeit wiedergefunden haben.«

      »Wiedergefunden?« Ihre Stimme klang gefährlich kratzig. »Das würde implizieren, dass wir einander gesucht haben.« Sie schluckte unbehaglich. »Was nicht der Fall ist.«

      »Vielleicht nicht«, gab er nach einem Moment zu. »Meinetwegen nenn es auch Zufall. Aber wir waren einmal beste Freunde, oder etwa nicht?«

      »Ja, natürlich. Das waren wir«, gab sie zu.

      »Siehst du, und für mich hat sich daran seither nichts geändert. Auch wenn wir jetzt erwachsen sind und nicht mehr auf Bäume klettern oder im Seerosenteich nach Froschlaich suchen.«

      Um ihre Mundwinkel zuckte es wieder. Er hatte sie schon immer zum Lachen bringen können.

      Seine Augen funkelten amüsiert. »Ich wusste es, der Froschlaich hatte es dir angetan, nicht wahr?« Mit einem Lachen legte er seine Arme um sie und zog sie fest an sich. »Komm her, nach so langer Zeit ist eine Umarmung mehr als angebracht!«

      Sie sträubte sich ein wenig, erwiderte die Umarmung dann aber doch. Dabei wurde sie sich bewusst, dass er kaum noch etwas mit dem kleinen Jungen gemein hatte, mit dem sie in der Grundschule einen Tisch geteilt hatte. Sein Brustkorb fühlte sich hart an, als wäre er ein Ausdauersportler. Sein herber männlicher Geruch stieg ihr in die Nase – und noch etwas. Sie trat einen Schritt zurück. »Du müffelst nach Mülltonne.«

      Noch immer lagen seine Arme auf den ihren, so als wolle er den Kontakt noch nicht unterbrechen. Dann ließ er sie aber doch los und grinste schief. »Entschuldige, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Ich schätze, es ist besser, wenn ich nach Hause gehe und mich umziehe. Du kümmerst dich also um …« Er blickte zum Napf, doch die kleine Hündin war verschwunden. »Oh oh.«

      »Was ist?« Fiona blickte sich suchend um. »Wo ist sie denn hin?« Ein Klappern ließ sie alarmiert den Kopf heben. »O je, sie ist im Behandlungszimmer!« So schnell sie konnte, rannte Fiona in den Untersuchungsraum. Als sie die Bescherung sah, blieb sie wie angewurzelt stehen. Dann lachte sie herzlich.

      »Was ist denn?« Michael tauchte hinter ihr auf und prallte gegen sie.

      »Sie ist auf den Stuhl gesprungen und hat die Schüssel mit den Hundekeksen vom Tisch gefegt.« Fiona gluckste und hob die Schüssel rasch auf. »Böser Hund!«, schimpfte sie, aber sie wusste selbst, dass es mehr als halbherzig klang. Die Labradorhündin hatte die Kekse bis auf einen alle verputzt. Den letzten hielt sie in der Schnauze und tapste damit zu Michael. Mit einem Winseln legte sie ihm den angesabberten Keks zu Füßen.

      »Na, wenn das mal kein Liebesbeweis ist.« Fiona schüttelte belustigt den Kopf. In diesem Moment hörte sie die Eingangstür. »Da kommt Inge, meine Sprechstundenhilfe.«

      Augenblicke später stand eine adrette Mittvierzigerin in der Tür des Behandlungsraumes. Ihr blondes Haar war zu einer schicken Kurzhaarfrisur geschnitten, und ihre Wangen glühten rot. »Guten Morgen, Fiona. Ich wusste nicht, dass wir schon … Oh, Herr Sahler! Das ist ja …« Ihr Blick fiel auf den Hund. »Ach, wie süß. Ist das Ihrer?«

      »Nein«, antwortete Michael rasch. Dann räusperte er sich. »Das heißt …«

      Überrascht blickte Fiona ihn an.

      Er hob die Schultern.

      Ihre Augen wurden


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