Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Militärgeschichte, wie Liddell Hart sie darstellt, löst noch heute Vorbehalte und Kontroversen aus. Doch sein Einfluss ist größer und nachhaltiger, als die strategischen Doktrinen vermuten lassen. Mit Clausewitz in der Überzeugung einig, dass das militärische Mittel in seinen politischen und sozialen Kontext gestellt werden muss, war er einer der ersten Denker des 20. Jahrhunderts, die die Ausweitung des Krieges und der Strategie auf größere Bereiche ernst nahmen – eine Verschiebung, die sich dann im Kalten Krieg bestätigt hat.

       »Unmöglicher Friede – unwahrscheinlicher Krieg«

      Mit der Erfindung der Atombombe, die zum ersten und einzigen Mal 1945 von den Vereinigten Staaten in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wurde, treten deutlich die Verantwortlichkeit, die dem Politischen im militärischen Bereich zufällt, sowie die soziale Tragweite der technologischen Rüstungsinnovation hervor.

      Zugleich markiert sie einen Bruch in der Geschichte des strategischen Denkens. Die Anfänge der Strategischen Studien im heutigen Sinne reichen zu den großen Denkern der Nuklearstrategie wie Thomas Schelling, Albert Wohlstetter und Bernard Brodie zurück. Letzterer veröffentlichte 1946 ein Werk mit dem vielsagenden Titel The Absolute Weapon. Die Atombombe ist »absolut« in dem Sinne, dass sie ihrem Besitzer den Heiligen Gral jedes Kriegsherrn verschafft, nämlich Unbesiegbarkeit beziehungsweise Siegesgewissheit. Wer über nukleare Bewaffnung verfügt, dem ist ein umfassender und schneller Sieg sicher, wenn er davon Gebrauch macht. Die Atombombe bestätigt auch eine Grundtendenz der beiden Weltkriege, den massiven Einsatz von Technologie, der neben der ideologischen Mobilisierung der Gesellschaft zur Logik des totalen Krieges dazugehört.

      Dennoch stand bis zu den beiden Weltkriegen der Kampf im Mittelpunkt der Strategiebildung. Die Schlacht galt, wie Liddell Hart scharf kritisierte, als Höhepunkt des Krieges. Die Atomwaffe gab ihm in gewisser Weise recht: Durch sie wurde die Schlacht zwecklos, weil die Schlagkraft der Bombe ausreichte, das Ziel zu beseitigen. Der Einsatz der Atombombe in Hiroshima und Nagasaki war von keinem Zusammenstoß der Armeen begleitet, sondern erlaubte die Zertrümmerung des Gegners aus der Distanz, von einem Flugzeug aus. Damit beendeten und überwanden die nuklearen Bombardements das Paradigma der Entscheidungsschlacht: Durch den Einsatz der Bombe gegen Japan erreichten die Vereinigten Staaten die Wirkung einer Entscheidungsschlacht, ohne das damit verbundene Risiko eingehen zu müssen. Die Atombombe ermöglichte folglich, was Clausewitz für illusorisch gehalten hatte: den Sieg über den Gegner ohne massiven Truppeneinsatz.

      Hiroshima und Nagasaki waren zugleich der Auftakt für den Kalten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der UdSSR, da der Rüstungswettlauf eine treibende Kraft in der Auseinandersetzung zwischen den Supermächten bildete. Der Kalte Krieg wurde als Krieg beschrieben, führte aber nicht zu einer direkten Konfrontation der beiden kriegführenden Parteien. Wie bereits Hobbes klarstellte, ist der Krieg nicht in erster Linie durch den Kampf oder die Schlacht charakterisiert, sondern durch die feindliche Absicht, also den anhaltenden Willen, einander zu bekämpfen. Zwischen den beiden Supermächten waren diese Bedingungen erfüllt: Die Abwesenheit von Kampfhandlungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide Parteien siegen und ihren Willen durchsetzen wollten. Doch die militärischen Auseinandersetzungen nahmen die Form von »peripheren« Konflikten wie dem Koreakrieg oder die von »Stellvertreterkriegen« wie beispielsweise in Nicaragua an. Wenn der Krieg an verschiedenen, über den Erdball verteilten Orten geführt wird, wird über die nukleare Bedrohung der ganze Planet zum erweiterten Schauplatz der Operationen. Die Atombombe lässt eine neue Bedrohung aufkommen, die bis dahin durch die konventionellen Kriege, ihrer ganzen mörderischen Wirkung zum Trotz, nicht gegeben war: die Vernichtung der gesamten oder eines Teils der Menschheit. Ideologisch waren die beiden »Großen« Gegner in einer neuen bipolaren Welt, doch zugleich teilten sie eine gemeinsame Verantwortung für den Schutz der von Auslöschung bedrohten Menschheit.

      Diese paradoxe Situation bestimmte in der Zeit des Kalten Krieges das Nachdenken über den Krieg, welches Raymond Aron in seiner Formulierung »unmöglicher Friede – unwahrscheinlicher Krieg« zusammenfasst10. Der Friede war unmöglich, weil sich die beiden Weltanschauungen, die amerikanische und die sowjetische, widersprachen, aber zugleich war der Atomkrieg unwahrscheinlich, weil er zu viel Kollateralschaden mit sich gebracht hätte. Der Kalte Krieg brachte in der Konsequenz eine Strategie der »Nicht-Schlacht« hervor, wie Guy Brossollet es formuliert hat, bei der es darum geht, sich für die Konfrontation zu rüsten, gerade um die Mittel zu ihrer Vermeidung in die Hand zu bekommen. Man droht mit Zerstörung, um den Gegner vom Angreifen abzuschrecken und »das Gleichgewicht des Schreckens« aufrechtzuerhalten. Der Kalte Krieg stellte ein Kräfteverhältnis her, das durch die Ideologie unter noch größere Spannung gesetzt war; zugleich machte er eine minimale Zusammenarbeit notwendig. Die nukleare Abschreckung zielte darauf, die Selbstzerstörung abzuwenden und das Leben zu erhalten, ohne jedoch das Ziel, den Gegner zu besiegen, aufzugeben. In diesem drohenden und doch unmöglichen Krieg spielte die Figur des Spions eine zentrale Rolle: Der Einsatz der Geheimdienste ermöglichte, strategische Vorteile zu erlangen und gleichzeitig die zur Anwendung des Abschreckungsprinzips notwendigen Informationen zu sichern. Der Kalte Krieg verschob im Verhältnis zu den vorangegangenen globalen Konflikten den strategischen Schwerpunkt von der Taktik zur Politik, vom Physischen zum Psychologischen, von der Schlacht zur Abschreckung, vom militärischen Kampf zum sicherheitsrelevanten Einsatz der Nachrichtendienste.

       Was die Menschen daraus machen

      Die nach Ende des Kalten Krieges und dem Verschwinden des bipolaren internationalen Systems begonnene Diskussion über die Veränderungen der Konfliktsituation muss im Lichte des historischen Verlaufs, den das zeitgenössische Nachdenken über den Krieg genommen hat, neu bedacht werden.

      Die Theoretiker*innen der »neuen Kriege« kommen zu der Einschätzung, dass Clausewitz sein Pulver verschossen hat, dass der Krieg heute entstaatlicht ist, was transnationale Akteure miteinschließt, die eine Form von deregulierter, nicht spezifisch militärischer Gewalt ausüben. Damit übersehen sie, dass Clausewitz selbst dieses Szenario, das er »Volksbewaffnung« nannte, berücksichtigt hat: Seit der Französischen Revolution hat der Krieg den engeren Umkreis des Staates verlassen, um »Herz und Verstand« der Zivilbevölkerungen zu gewinnen, welche in allen Bereichen des menschlichen Handelns, den Krieg eingeschlossen, nach Autonomie streben. In dieser Hinsicht fügt sich die Ausweitung des strategischen Spektrums in eine starke Tendenz der Moderne zur Trennung von Staat und Gesellschaft unter gleichzeitiger Verknüpfung beider. Der dschihadistische Terrorismus kann somit als Wandlungsform der »Volksbewaffnung« verstanden werden, nur mit dem Unterschied, dass seit Clausewitz’ Zeit die Einstiegskosten für bewaffnete Gewalt aufgrund technologischen Fortschritts und neuer Informations- und Kommunikationsmittel drastisch gesunken sind.

      Schließlich führt das aktuell verbreitete Modell des hybriden Krieges zu einer Neukonfigurierung der Grundunterscheidung zwischen kleinem und großem Krieg. Es beruht auf der Verknüpfung konventioneller Mittel und psychologischer Kriegführung, um das militärische Handeln einer Bedrohung anzupassen, die im Fall des Terrorismus staatlich (oder parastaatlich) verfasst und zugleich globalisiert ist. Diese beiden Formen des Krieges, so unterschiedlich sie auch sind, ergeben sich aus derselben strategischen Logik: Die Gewaltmittel werden immer in Anspruch genommen, um eine beabsichtigte Wirkung zu erzielen und die Gegenseite zu schwächen. Jeder Krieg ist per Definition hybrid. Damit soll nicht gesagt sein, dass der Krieg und das ihm zugehörige Denken keine Entwicklung erfahren. Im Gegenteil, der Krieg ist wahrlich ein Chamäleon, doch seiner Natur nach ist er am Schnittpunkt zwischen Politik und Gesellschaft situiert, zwischen gesetzgebender Gewalt und sozialen Kräften. Wie jede politische und soziale Wirklichkeit ist der Krieg in erster Linie das, was die Menschen daraus machen.

      Jean-Vincent Holeindre ist wissenschaftlicher Direktor am Institut de recherche stratégique an der École militaire. Eine seiner wichtigen Veröffentlichungen ist: La ruse et la force. Une autre histoire de la stratégie (Paris 2017).

       Literaturhinweise

      Das Hauptwerk Clausewitz’, Vom Kriege, liegt in einer unter


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