Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Kriege geführt, sondern die Kernwaffen. Allerdings war, als die Vereinigten Staaten die beiden ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen, unmittelbar keine Zunahme der Zerstörungskraft der höchstentwickelten Streitkräfte des Planeten wahrzunehmen. Den beiden Bomben fielen jeweils weniger Menschen zum Opfer als den konventionellen Fliegerangriffen der amerikanischen Luftwaffe auf Tokio am 9. und 10. Mai 1945. Doch bei diesen Luftangriffen waren 334 Flugzeuge im Einsatz gewesen und fast 7000 Bomben abgeworfen worden – statt einer einzigen! Außerdem erkannte man sehr schnell, dass das destruktive Potenzial der Kernwaffen insbesondere mit der Entwicklung von Wasserstoffbomben, die in ballistische Flugkörper installiert wurden, noch beträchtlich gesteigert werden konnte. Ab Anfang der 1960er Jahre hatten die größten Bomben eine Zerstörungskraft von bis zu 50 Millionen Tonnen TNT. Mit der Beschaffung beeindruckender Arsenale dieser Waffen durch die Vereinigten Staaten und die UdSSR wurde deutlich, dass ein Krieg zwischen Großmächten potenziell zur Zerstörung der gesamten menschlichen Zivilisation führen konnte. Dieser Umstand machte einen solchen Krieg unwahrscheinlich, aber leider nicht unmöglich, wie eine Reihe von Zwischenfällen bezeugt, bei denen die Welt haarscharf an der Katastrophe vorbeischlitterte. Kriege konnten noch zwischen weniger mächtigen Nationen ausbrechen, doch dabei bestand immer das Risiko, dass die nuklearen Supermächte aufgrund der Aufteilung der Welt in zwei entgegengesetzte Blöcke in den Konflikt hineingezogen wurden. Dieses Risiko ist mit dem Ende des Kalten Krieges verschwunden. Doch seitdem hat sich die sogenannte Hypermacht USA nicht gescheut, unterlegene, nicht mit Atomwaffen ausgestattete, aber kriegstreiberische Mächte wie den Irak oder Serbien in den 1990er Jahren militärisch anzugreifen. Heute unterhalten die Vereinigten Staaten zu beträchtlichen Kosten Streitkräfte, die einen konventionellen Krieg gegen eine andere bedeutende Macht oder gegen zwei kleinere Mächte durchführen und schnell gewinnen können.

      Der rasche Niedergang der konventionellen Kriege hat einige Spezialisten – insbesondere Steven Pinker in seinem Buch Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit – zu der Annahme verleitet, die menschliche Gattung habe schlussendlich ihren Geschmack an der Waffengewalt verloren. Nun ist zwar das klassische Modell des Krieges auf dem Rückzug, doch seine Variationen – besonders der Bürgerkrieg, der Guerillakrieg und der Terrorismus – zeigen deutlich weniger Anzeichen eines Rückgangs. Pinker behauptet, bei diesen anderen Konfliktformen gäbe es gleichermaßen eine Abnahme der Gewalt zu verzeichnen, doch kurz nach Erscheinen seines Buchs brach in Syrien ein fürchterlicher Bürgerkrieg aus, der Hunderttausende das Leben gekostet hat und die größte Flüchtlingskrise auslöste, die die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat.

      Diese verschiedenen Variationen des klassischen Krieges haben mehrere gemeinsame Züge und tendieren heute dazu, sich zu unterschiedlichen Varianten des »asymmetrischen Krieges«, wie er häufig genannt wird, zu vermischen. Wenngleich der Begriff des »Bürgerkrieges« vor allem auf den Konflikt von 1861 bis 1865 zwischen der Union und den Konföderierten in den Vereinigten Staaten oder auch laut David Armitage auf den zwischen Marius’ und Sullas Legionen im antiken Rom verweist, kommt man nicht umhin zuzugestehen, dass seit 1945 nur wenige Bürgerkriege die Form symmetrischer Konflikte zwischen regulären und gut ausgerüsteten Streitkräften angenommen haben. Im Gegenteil handelt es sich durchweg um asymmetrische Konflikte zwischen einem Staat und Rebellen-Guerillas oder sogar zwischen rivalisierenden Guerilla-Banden. Diese Auseinandersetzungen haben sich oftmals direkt aus den Kolonialkriegen entwickelt, so im Fall des langen Bürgerkrieges in Angola, in dem Gruppen, die zuvor die Portugiesen bekämpft hatten, nun über Jahrzehnte gegeneinander Krieg führten. Fast in allen diesen Konflikten kommt es zu Angriffen, die von der Gegenseite als »terroristisch« bezeichnet werden.

      Wie den Kapiteln des ersten Teils dieses Buches zu entnehmen ist, bedeutet das Ende des Zweiten Weltkrieges, wenn man sich statt dem Studium der »klassischen« Kriege dem jener »Variationen« zuwendet, keinen echten Bruch mehr. Die Art asymmetrischen Konflikts, die in diesen »Variationen« vorherrscht, entwickelte sich Anfang des 19. Jahrhunderts im Laufe der Napoleonischen Kriege. In jenem Moment, als Napoleon versuchte, den Volksaufstand im besetzten Spanien zu unterdrücken, nahm das Wort »Guerilla« (»kleiner Krieg« auf Spanisch) seine moderne Bedeutung an. Indem sie durch Hinterhalte gegen Detachements und durch Rückzug im Feld einen irregulären Krieg gegen den Okkupanten anstrengten, konnten sich die spanischen Kämpfer gegenüber der größten Landstreitkraft ihrer Zeit erfolgreich behaupten (das ist das berühmte »spanische Geschwür« Napoleons). Das französische Heer wandte zahlreiche Aufstandsbekämpfungstaktiken an – massive Vergeltungsmaßnahmen, Geiselnahme, Rückgriff auf lokale Hilfstruppen –, konnte dem Widerstand aber nicht beikommen. Dieser Konflikt lieferte in der Folge eine Art Modell, das im Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte allerorten kopiert wurde: zum Beispiel in Algerien in den 1830er und 1840er Jahren bei den Zusammenstößen der Streitmacht Abd el-Kaders und den französischen Truppen; während des Burenkrieges 1899–1902; in Partisanenkriegen in China während der 1930er und 1940er Jahre; im Vietnamkrieg; und in jüngerer Zeit in den Kriegen im Irak und in Afghanistan. Statt dass die Entwicklung der Atombombe und der Kalte Krieg diesem Konflikttyp ein Ende bereitet hätten, haben sie ihm vielmehr neues Leben eingehaucht. Sich der Gefahr einer direkten Konfrontation bewusst, verfolgten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion ihre Ziele lieber mittels Stellvertretern, indem sie die paramilitärischen Einheiten anderer Nationen unterstützten – beispielsweise die Truppen des kommunistischen Vietcong in Südvietnam oder die proamerikanischen Contras in Nicaragua. Für die Konflikte nach dem Kalten Krieg muss man festhalten, dass das übermächtige Militär der USA, wenngleich es andere souveräne Staaten, in erster Linie den Irak und Serbien, schnell und entscheidend besiegen konnte, oft von Gruppen und Guerillas, die auf dem Papier deutlich kleiner und schwächer aufgestellt waren, in Schach gehalten wurde.

      Im Verlauf der langen Periode von 1800 bis heute sind asymmetrische Kriege vor allem mit territorialen Zielen geführt worden: um ein Gebiet zu befreien oder zu einen, es von unerwünschten Minderheiten zu »säubern« oder auch um es zu unterwerfen und zu befrieden. Dennoch können, wie John Lynn in seinem Kapitel zeigt, auch andere Ziele ins Spiel kommen, insbesondere wenn man terroristische Aktivitäten hinzuzählt. Die europäischen Anarchist*innen des 19. und die Dschihadisten des 21. Jahrhunderts sind zwar von radikal verschiedenen Überzeugungen angetrieben, doch sie teilen dieselben unmittelbaren Ziele: spektakuläre Angriffe durchführen, die die Anarchist*innen zu ihrer Zeit als »Propaganda der Tat« beschrieben, mit der ihre Anhänger*innen angesprochen und die politische Ordnung ihrer Feinde geschwächt werden sollten.

      Die in diesen Konflikten eingesetzten militärischen Mittel haben sich seit 1800 deutlich weniger verändert als im Fall der symmetrischen Kriege zwischen souveränen Staaten. Wenngleich Sturmgewehre die alten Gewehre ersetzt haben und chemische Sprengstoffe das Schwarzpulver, so besteht die Bewaffnung, die die Guerillakämpfer*innen, Terrorist*innen und ein Großteil der Kombattant*innen in Bürgerkriegen benutzen, vornehmlich aus kleinen Waffen und vergleichsweise schwachen Sprengstoffen (oft aus nichtindustrieller Fertigung). Zu den eingesetzten Taktiken gehören oft Hinterhalte oder andere Formen von Überraschungsangriffen. Die Kombattant*innen zählen darauf, sich unter der Zivilbevölkerung verstecken zu können. Ihre Gegner*innen wiederum stützen sich auf lokale Hilfstruppen, auf Vergeltungsmaßnahmen gegen die Kombattant*innen, ihre Helfer*innen und sogar die gesamte Bevölkerung sowie auf Zwangsumsiedlungsprogramme – wie den Aufbau von »Wehrdörfern« durch das amerikanische Militär in Vietnam. Beide Lager bemühen sich darum, »Herz und Verstand« der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Trotz der überwältigenden Feuerkraft, über die die Staaten in diesen Konflikten verfügen, erreichen sie oft ihre Ziele nicht. Im napoleonischen Spanien machte sich die Guerilla offen über die französischen Besatzer lustig, die sich, von den befestigten Städten abgesehen, als unfähig erwiesen, das Territorium zu kontrollieren. Wenn die französischen Truppen von einer Stadt zur anderen zogen, »zogen sie Furchen durchs Wasser«, wie man sagte. Dasselbe ließe sich über Großbritannien in Südafrika während des Burenkrieges oder über die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten in Afghanistan sagen.

      Diese Erfolge deuten darauf hin, dass die asymmetrischen Kriege leider nicht so bald verschwinden werden. Dass die Kriege zwischen souveränen Staaten selten geworden sind, liegt nicht daran, dass die Menschheit zivilisierter geworden ist (auch wenn dies Pinker missfallen mag); es liegt schlicht daran, dass die Risiken die Vorteile überwiegen. Bei den »kleineren« Formen und


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