Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Entwicklung infolge der zweiten industriellen Revolution im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (billiger Stahl, moderne Chemie, Verbrennungsmotor). Beispiele sind das während des Amerikanischen Bürgerkrieges entwickelte Minié-Geschoss; der Stacheldraht, dessen Erfinder, ein amerikanischer Viehzüchter in Illinois, sich 1874 kaum ausgemalt haben konnte, wie seine Erfindung vierzig Jahre später auf dem no man’s land der Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges eingesetzt würde; die Maschinengewehre, die Granaten, die chemischen Kampfstoffe, die Flammenwerfer, die Jagdflugzeuge und Bomber, die Panzer bis hin zu der einschneidenden Erfindung der Atombombe – außerdem im Bereich der Versorgung Verwundeter und Kranker: die Röntgenstrahlung, die Bluttransfusion (ab 1914) und das Penizillin (ab 1942). Innerhalb weniger Jahrzehnte veränderte der technologische Fortschritt die Erfahrung auf dem Schlachtfeld: Die Luftfahrt, später das Radar und das Sonar (in den 1930er Jahren) sowie die Satelliten (in den 1960er Jahren) erlaubten der militärischen Aufklärung, sich über den Horizont zu erheben; die drahtlose Telegrafie (seit 1894) und später der Funk (womit die deutschen Panzer während des Blitzkrieges 1940 ausgestattet waren, während die französischen Panzerfahrzeuge noch mit Fähnchen kommunizierten) erleichterten die Übermittlung von Befehlen; die Eisenbahn war bis zur Erfindung des Flugzeugs und später des Hubschraubers (ab den 1950er Jahren) unverzichtbar für die Mobilisierung und den Truppentransport. Das bedeutet allerdings weder zwangsläufig, dass diese technologischen Revolutionen auf dem Schlachtfeld entscheidend waren (die Technologie ist nichts ohne die Strategie), noch dass sie nicht auch auf Unverständnis oder Widerstände unterschiedlichster Form getroffen wären. Dem ist noch hinzuzufügen, dass es in bestimmten Perioden zu einer beschleunigten Entwicklung kam: Ein Heerführer aus dem Sezessionskrieg und sogar aus den Napoleonischen Kriegen hätte im Großen und Ganzen ein Schlachtfeld des Sommers 1914 wiedererkannt. Aber ließe sich dasselbe auch für einen General des Jahres 1914 bezüglich der Situation vier Jahre später sagen?

      Aus der Vermassung der Heere, der zunehmenden Ideologisierung der Bürgersoldaten, der Verwischung der Grenze zwischen Zivilist*innen und Soldaten sowie der Verbesserung der Tötungstechnologien folgte die Erfahrung des Massentods: Zwischen 1861 und 1865 starben im Amerikanischen Bürgerkrieg schätzungsweise 750 000 Soldaten – mehr als alle amerikanischen Verluste vom Unabhängigkeitskrieg bis zum Koreakrieg. Doch zu dieser Zeit war die Artillerie nur für 10 Prozent der Verluste verantwortlich. Fünfzig Jahre später, im Ersten Weltkrieg, erhöhte sich das Verhältnis auf 70 bis 80 Prozent. Außerdem kam es in zunehmender Zahl zur völligen Zerstörung der sterblichen Überreste, wenn die Körper mit voller Wucht von den Explosionen getroffen wurden. Zur gleichen Zeit war der Kriegstod durch Epidemien fast vollständig verschwunden, obwohl er das ganze 19. Jahrhundert beherrscht hatte: Der Krimkrieg beispielsweise war eine unbeschreibliche sanitäre Katastrophe gewesen, in der zwischen 75 000 und 95 000 französische Soldaten durch Krankheiten, insbesondere die Cholera, den Tod gefunden hatten. Eine Ausnahme bildete 1918–1919 die Spanische Grippe, die zwischen 30 und 40 Millionen Tote forderte, die Hälfte davon in Indien und China und darunter vorwiegend Zivilist*innen. Der Tod, der im Fall der Luftbombardements von oben kam, sich im Fall der chemischen Kampfstoffe unsichtbar verbreitete, veränderte sein Gesicht, ließ neue Ängste, auch neue Schwierigkeiten, Leichen zu identifizieren und sich um sie zu kümmern, außerdem neue Gedenkrituale entstehen.

      Was sich innerhalb von vier Generationen zwischen Gettysburg (ein Schlachtfeld von einigen Dutzend Quadratkilometern) und Hiroshima (ein historischer Wendepunkt ohne Konfrontation und ohne Schlacht) abspielte, ist von entscheidender Bedeutung: Heere wie menschliche Ameisenhaufen (ungefähr 60 bis 70 Millionen Mobilisierte zwischen 1914 und 1918, zwischen 80 und 110 Millionen während des Zweiten Weltkrieges) verzeichneten in diesem Zeitraum schwerste Verluste (zwischen 1941 und 1945 mehr als 5400 Tote pro Tag in der sowjetischen Armee). Unter dem Eindruck des massenhaften Tods läuft man Gefahr, die tragischen Einzelschicksale der Kriegszeit zu vergessen. In Erinnerung an das Blutbad des Ersten Weltkrieges schrieb Marguerite Yourcenar: »Wie man den Wald vor Bäumen nicht sieht, so sah man den Tod nicht vor Toten.«11 Für die einfachen Soldaten des industriellen Krieges änderte sich die Erfahrung des Schlachtfeldes radikal. In einer berühmten Szene in Die Reise ans Ende der Nacht setzt Céline seinen Protagonisten Ferdinand Bardamu mitten in die Feuersbrunst: »Das war alles. Dann nur noch Feuer und außerdem noch Krach dazu. Aber so ein Krach, wie man ihn nie für möglich halten würde. Die Augen hatten wir voll davon, Ohren, Nase, Mund, sofort, mit diesem Krach, dass ich glaubte, es ist vorbei, ich bin selbst zu Feuer und zu Krach geworden.«12

      Die Ära der modernen Völkermorde, an den Armenier*innen, den Jüdinnen und Juden, den Sinti und Roma, kennzeichnet die Hochzeit des human engineering, in der man Hunderttausende Menschen – Frauen, Kinder und Ältere eingeschlossen – zahlenmäßig erfasste, stigmatisierte, verfolgte, ghettoisierte, aus ihren Wohnungen trieb, deportierte, ermordete und vollständig verschwinden ließ, teils über Monate hinweg. Selbst wenn die Mehrzahl der rund 6 Millionen Opfer der »Endlösung« in anderen Vernichtungslagern (Treblinka, Belzec, Sobibor, Majdanek, Chelmno) oder den Massenmordstätten der »Bloodlands« (Timothy Snyder) umgebracht wurden, ist der Name Auschwitz zum Synonym des absolut Bösen, des moralischen Bankrotts des Westens und der Industrialisierung des Massenmords geworden: die Schattenseite unserer Moderne.

      

      Am 6. und 9. August 1945 schien die Welt ins Ungewisse zu stürzen. In ihrer moralischen und anthropologischen Bedeutung waren die Atomexplosionen von Hiroshima und Nagasaki globale und beispiellose Ereignisse. »[Bis dahin] hatten wir das Gefühl, durch unsere Kinder und Kindeskinder in einem endlosen biologischen Kontinuum weiterzuleben«, betont der Psychiater Robert Jay Lifton, der als einer der Ersten Überlebende von Hiroshima interviewte. Ab jenem Moment wurde die augenblickliche Vernichtung der ganzen Menschheit möglich. Der Kalte Krieg, der unmittelbar auf den Zweiten Weltkrieg folgte, war ein globaler, auf dem Gleichgewicht des Schreckens beruhender Konflikt. George Orwell, von dem eine der ersten bezeugten Verwendungen des Ausdrucks »Kalter Krieg« stammt, fasst die Situation in seinem Roman 1984 zusammen: »Krieg ist Frieden.«13

      Lange Zeit herrschte eine Lesart dieser globalen Auseinandersetzung vor, die sich ausschließlich auf die Beziehung zwischen den beiden Supermächten konzentrierte. Am Ende des Zweiten Weltkrieges verfügten Moskau und Washington jeweils über ein Netz von Bündnissen, das sich über den gesamten Planeten erstreckte: Die Vereinigten Staaten beispielsweise hatten zu Beginn der 1950er Jahre vierhundertfünfzig Militärstützpunkte in fünfunddreißig Ländern. Zwischen 1945 und 1949 besaßen einzig die Vereinigten Staaten Atombomben, wodurch sie die Überlegenheit der russischen Landstreitkräfte ausgleichen konnten. Ab August 1949 wurde die Angst vor Spion*innen und einem russischen Atomangriff, die in den Filmen der amerikanischen Zivilverteidigung sichtbar wird, von einem Wettrennen um den technologischen Vorsprung begleitet: Entwicklung der Wasserstoffbombe durch die Vereinigten Staaten im November 1952 (gefolgt von der sowjetischen Wasserstoffbombe im August 1953), Start des Sputnik 1 durch Russland 1957, als Nächstes das amerikanische Programm zur Eroberung des Weltraums bis zu den ersten SALT-Verträgen zur Verminderung der nuklearen Bewaffnung 1972 und erneuten Spannungen in den 1980er Jahren mit der Stationierung der sowjetischen SS-20-Raketen und dann der amerikanischen Pershing-II-Raketen in Europa.

      Im Laufe der Jahrzehnte schwand die Perspektive einer möglichen Einigung zwischen den beiden Supermächten, so sehr klafften ihre Interessen, ihre Ideologien und ihre Wahrnehmungen der Außenwelt auseinander. Phasen größerer Spannungen (die Blockade Berlins von Juni 1948 bis Mai 1949, der Koreakrieg von Juni 1950 bis Juli 1953, der Start des ersten Sputnik 1957, die Kubakrise im Oktober 1962 bis zum Einmarsch der Sowjets in Afghanistan 1979) wechselten sich mit Perioden der Entspannung ab, in denen man, wie Kissinger sich ausdrückte, »die Realität der Konkurrenz mit dem Imperativ der Koexistenz in Einklang bringen«14 musste. Ist der Kalte Krieg dennoch als »Nullsummenspiel« zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion und letztlich als »langer Frieden«15 anzusehen? So hat ihn der Historiker der internationalen Beziehungen John Gaddis in einem 1987 erschienenen Buch beschrieben, in dem er auch zu der Einschätzung kam, dass der Kalte Krieg noch Jahre dauern würde. Eine neue Generation von Historiker*innen betont heute die dramatischen Kosten an Menschenleben in den Konflikten der 1950er bis 1970er Jahre, die Afrika, Lateinamerika und Asien nicht zur Ruhe kommen ließen.

      Eine


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