Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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und gilt auch heute für die Sprache, die in Verfassungstexten, in Gesetzesparagrafen zur Organisation der Streitkräfte und in den Verfahrensregeln für Kriegserklärungen und Friedensverhandlungen Anwendung findet. Gewiss nennen die Wörterbücher auch sekundäre Formen des Krieges, insbesondere den Bürgerkrieg, den Kolonialkrieg, den Guerillakrieg und stärker umstritten auch den Terrorismus. Diese werden jedoch lediglich als Variationen dargestellt. Das eigentliche Modell des »Krieges« bleibt der Konflikt souveräner Staaten wie bei der Schlacht von Azincourt, der Zweiten Schlacht von Höchstädt, Waterloo, der Schlacht an der Somme, Stalingrad. Trotz zahlreicher Unterschiede haben diese Konflikte gemeinsam, dass sich dabei reguläre und ausgebildete Heere gegenüberstanden, die jeweils vergleichbare Strategien, Taktiken und Bewaffnungen aufboten.

      Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Krieg, soweit er dieser Definition entspricht, weitgehend verschwunden (besonders wenn man die ausgedehnten Scharmützel nicht hinzuzählt, die ohne massiven Truppeneinsatz stattfinden). In den letzten sechs Jahrzehnten lassen sich die großen, dieser Definition des Krieges entsprechenden Konflikte an zwei Händen abzählen. Darunter fallen der Vietnamkrieg, die arabisch-israelischen Kriege von 1967 und 1973, der Indisch-Pakistanische Krieg von 1971, der Iran-Irak-Krieg 1980–1988, der Zweite Golfkrieg und vielleicht noch bestimmte Konflikte im Gefolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Zerfalls Jugoslawiens (zum Beispiel der Bergkarabach-Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan oder der Krieg zwischen Russland und Georgien von 2008). Man könnte unter Umständen noch den 2003 durch die USA und ihre Verbündeten ausgelösten Irakkrieg hinzuzählen, doch dieser Konflikt ging schnell von einer symmetrischen Auseinandersetzung zwischen Armeen zu ausgedehnten Guerillakämpfen über. Selbstverständlich kann jederzeit ein neuer Krieg nach dem klassischen Begriffsverständnis ausbrechen. Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts können Politiker*innen und Kommentator*innen, wenn sie das Wort »Krieg« benutzen, sich dabei ebenso sehr auf den Mord an sechzehn Personen in den Räumen einer Zeitschrift und in einem Pariser Supermarkt sowie einer Polizistin in Montrouge im Januar 2015 beziehen wie auf eine thermonukleare Auseinandersetzung, in der innerhalb eines Augenblicks Millionen von Leben ausgelöscht werden. Wie Jean-Vincent Holeindre in seinem Essay anführt, verwundert daher nicht die Einigkeit unter Spezialist*innen darüber, dass es »nie so wenig Übereinstimmung« über den Begriff gegeben hat wie heute.

      Wenn es Kontinuitäten zwischen »modernen« und »postmodernen« Kriegen gibt, dann finden sie sich nicht im klassischen Modell der Konfrontation zwischen souveränen Staaten, sondern in den »Variationen«. Wie der Historiker David Armitage kürzlich in seinem Buch Bürgerkrieg. Vom Wesen innerstaatlicher Konflikte bemerkte, sind die meisten der großen bewaffneten Konflikte, die heute ausbrechen, Bürgerkriege, da sie sich innerhalb von Staaten abspielen. Die gegenwärtigen Konflikte in Syrien, auf den Philippinen, im Südsudan und in anderen Ländern entsprechen dieser Definition. In der Weise setzten sich auch die Kolonialkriege in der Dekolonisationsperiode nach 1945 fort, und auch einige Konflikte in der ehemaligen Sowjetunion, Nachfolgerin des russischen Reiches, könnte man hier hinzuzählen (insbesondere Tschetschenien 1994–1996 und 1999–2000). Soweit es den Guerillakrieg betrifft, so bleibt diese Form des Krieges nach dem Vorbild der seit 2001 im Irak und in Afghanistan gegen die Vereinigten Staaten geführten Auseinandersetzungen ebenso weltweit verbreitet wie der Terrorismus.

      Kurz, die Geschichte des »modernen Krieges«, die das vorliegende Werk ab dem 19. Jahrhundert nachzeichnet, muss in zwei unterschiedliche Geschichtslinien aufgeteilt werden, die nichtsdestotrotz miteinander verbunden sind. Die erste umfasst die regulären, symmetrischen Kriege zwischen souveränen Staaten, die vielfältigen Entwicklungen dieser Konflikte im Fortgang jener Periode, die sich von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg erstreckt, und schließlich den radikalen Wandel – ja geradezu das Verschwinden – dieses Modells von 1945 bis heute. Die zweite Geschichtslinie umfasst die »Variationen« dieses Kriegsmodells – Bürgerkriege, Kolonialkriege, Guerillakriege und Terrorismus – und ihre eigenen komplexen Transformationen.

      Jede dieser beiden Geschichtslinien ist durch zwei verschiedene, aber miteinander verbundene Triebkräfte bestimmt: die Ziele, die die kriegführenden Parteien erreichen wollen, und die Mittel, die sie zu diesem Zweck einsetzen. In diesem Zusammenhang lässt sich der berühmte Ausspruch Clausewitz’ anführen: »Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.«2 Diese Mittel müssen ins richtige Verhältnis zu den politischen Zielen gebracht werden. Man muss sich darüber klar werden, dass die Staaten die Mittel nicht immer mit Augenmaß beurteilen und dass die Ziele, die sie sich setzen, sich infolge des Konflikts selbst verändern können. Besonders wenn die Kämpfe an Intensität zunehmen und die Verluste größer werden, können die Kriegsparteien ihr ursprüngliches Ziel nach oben korrigieren und letztlich zu der Auffassung gelangen, dass die dauerhafte Unterwerfung des Gegners, wenn nötig durch den Sturz seines politischen Regimes, der einzig annehmbare Ausgang des Konflikts sei.

      Genau dieser Prozess unkontrollierter Radikalisierung ist es, der die symmetrischen, zwischenstaatlichen Kriege zwischen 1789 und 1945 heimsuchte. Diese Kriege hatten natürlich verschiedene und häufig begrenzte Ziele, seien es territoriale Expansion, nationale Einheit, ökonomische Vorteile oder Kolonialherrschaft. Doch in den meisten Fällen entglitten sie der Kontrolle und wuchsen über eine Gewaltspirale und ein gegenseitiges Überbieten der Ziele und Zerstörungsmittel deutlich über die anfänglichen Streitigkeiten hinaus. Eine solche Spirale kann nur mit dem Untergang einer Seite enden. Es waren die Revolutionskriege und Napoleonischen Kriege, die diesen Radikalisierungsprozess in Gang setzten, indem sie die größten Armeen, die man bis dahin im Westen gekannt hatte, für eine lange Reihe großer Schlachten mobilisierten, die zu beispiellosen Verlusten und einer Verschiebung der Grenzen zwischen den großen europäischen Mächten führten. Der Wiener Kongress von 1814–1815 versuchte, dieser Art von Zerstörungskrieg ein Ende zu setzen, und stellte die Weichen für eine Zusammenarbeit zwischen den Großmächten. Doch der Erste Weltkrieg öffnete von Neuem die Büchse der Pandora, setzte erneut eine Gewaltspirale mit entsetzlichen Verlusten in Gang (fast 10 Millionen Tote allein unter den Kombattanten) und führte zu einer Radikalisierung der Kriegsziele aufseiten der Alliierten, die nicht nur dazu entschlossen waren, die Mittelmächte zu unterwerfen, sondern auch, Mechanismen für einen dauerhaften Frieden zu installieren. Eine vergebliche Mühe: Trotz der im Vertrag von Versailles getroffenen Friedensvereinbarungen und der Schaffung des Völkerbundes brach zwanzig Jahre nach dem Ende der Kämpfe der Zweite Weltkrieg aus.

      Es ist dieser Kontext zwischen 1789 und 1945, in dem sich die von den souveränen Staaten zur gegenseitigen Bekämpfung eingesetzten Mittel in atemberaubender Geschwindigkeit weiterentwickelten, wie die Kapitel dieses ersten Teils zeigen. Nach den beiden vorangegangenen Jahrhunderten, in denen die Hauptbewaffnung relativ geringe Fortschritte gemacht hatte (handgefertigte Gewehre, Kanonen, Kriegsschiffe aus Holz), tauchten nun Schnelllade-Gewehre mit Zug auf, dann Maschinengewehre, Giftgas, eine Artillerie, die in der Lage war, Explosivgeschosse mit chemischen Kampfstoffen über große Distanzen zu verschießen, Panzer, Schlachtschiffe, Flugzeuge – und schließlich die Atombombe. Dieses neue Arsenal verwandelte nicht nur das Schlachtfeld bis zur Unkenntlichkeit; es führte nachgerade zum Verschwinden der Feldschlacht, in der die Heere auf einem geografisch begrenzten Terrain für die Dauer von maximal zwei oder drei Tagen direkt aufeinandertrafen. Während des Ersten Weltkrieges konnten die »Schlachten« Monate dauern und sich über mehrere Dutzend Kilometer erstrecken. Nach der »Massenaushebung« der französischen Streitkräfte 1793 versuchten die Staaten, ganze Bevölkerungsteile für den Krieg zu mobilisieren, insbesondere indem sie die Wehrpflicht für junge Männer einführten. Darüber hinaus waren sie bestrebt, Kontrolle über die wirtschaftlichen Ressourcen auszuüben, um diese auf die Kriegsbemühungen hin auszurichten (Richard Overy bezeichnet das in seinem Aufsatz als »Kriegsstaat«), und sprachen die Nichtkombattant*innen der »Heimatfront« mit einer zunehmend elaborierten Propaganda an. Schließlich ersannen die Staaten immer raffiniertere Finanzierungsinstrumente, um diese gewaltigen militärischen Unterfangen zu bewältigen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutete ein Krieg zwischen Großmächten eine derart große Investition an menschlichen, materiellen und finanziellen Ressourcen, dass es unmöglich schien, den Konflikt zu begrenzen und sich mit einigen einfachen Gebietskorrekturen zufriedenzugeben.

      An diesem Punkt kam es zum »Bruch« von 1945, wie ihn Holeindre zu Recht nennt. Nicht


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