Corona in Deutschland. Группа авторов

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langfristigen Folgen der Erkrankung oder eine mögliche »zweite Welle« doch noch sehr ungenügend.

      Aber nicht der nackte Vergleich der Zahlen soll im Zentrum unserer Überlegungen stehen, sondern vielmehr die formalen und psychologischen Aspekte der durch die Pandemie ausgelösten Kontingenzerfahrung, die zu allen Zeiten und Orten recht ähnlich auszufallen scheint. Dies gilt umso mehr, als Medien und Politik der quantitativ doch recht begrenzten Pandemie eine solche Bedeutung eingeräumt haben, dass die Reaktion vieler Menschen jenseits ihrer tatsächlichen realen Bedrohung extrem ausfallen können.

      Als Voraussetzung für die Pandemie wurde in den Medien angesichts des Ursprungs der Covid-19-Seuche im chinesischen Wuhan häufig die Globalisierung angeführt: Die gewaltig angestiegene internationale Mobilität liefere die denkbar günstigsten Voraussetzungen für die Verbreitung viraler Erkrankungen. Dieses Narrativ ist von Globalisierungsgegnern bereitwillig aufgegriffen worden, um die Bedeutung von Grenzen und weitgehend in sich abgeschlossenen Lebens- und Wirtschaftsräumen zu betonen. Eine solche Verquickung von Globalisierung und Krankheitsanfälligkeit ist in jüngerer Zeit auch in der Forschung zur römischen Geschichte hergestellt worden, hat man doch einen unbestrittenen Zusammenhang zwischen der raschen Ausbreitung und sporadischen Wiederkehr der Antoninischen und Justininanischen Pest sowie der gut ausgebauten Verkehrsinfrastruktur des Römischen Reichs nachgewiesen.

      Nun ist zweifellos richtig, dass die Erleichterung und Beschleunigung der internationalen Mobilität wichtige Gründe dafür sind, dass aus lokalen Krankheitsherden innerhalb kürzester Zeit Epidemien oder gar Pandemien werden können. In früheren Zeiten waren hierfür Wochen und Monate notwendig, wie etwa die schrittweise Ausbreitung des »Schwarzen Todes« von Zentralasien bis hin zu den Britischen Inseln zeigt. Doch demonstriert gerade dieses Beispiel auch, dass selbst in Zeiten räumlich noch weitgehend autarker Subsistenzwirtschaft, also einer aufs nackte Überleben ausgerichteter Wirtschaftsform, und begrenzter interkontinentaler Kontakte das Risiko für globale Seuchen mitnichten ausgeschlossen war. Denn es reichte offensichtlich eine einzige, punktuelle Kontaktaufnahme zwischen zwei ansonsten voneinander weitgehend getrennten Räumen, um eine vollständige Durchseuchung zu übertragen.

      Als besonders fatal konnte sich eine geringe Durchseuchung des Zielgebiets erweisen. Dies wird am Beispiel der Pockenepidemien in Amerika ersichtlich, wo die Ureinwohner bis zur europäischen Eroberung noch nie mit jener Krankheit konfrontiert worden waren und einen historisch einmalig hohen Blutzoll für die »Verschmelzung zweier Welten« entrichten mussten. Ähnlich verhält es sich mit der Antoninischen Pest, als durch den Kontakt römischer Legionäre mit dem parthischen Reich unbekannte Krankheitserreger in das römische Imperium gelangten, oder auch der Justinianischen Pest, bei der Erreger aus Indien oder dem subsaharischen Bereich über Ägypten eingeschleppt wurden. Bei allen diesen Beispielen fanden Erreger ideale Voraussetzungen in einem neuen, bis dato noch nicht oder kaum durchseuchten Habitat.

      Nun treten die tatsächlichen medizinischen oder infrastrukturellen Fragen für viele unmittelbar von Seuchen betroffenen Menschen hinter subjektiven Erklärungsmodellen zurück. Zwar ist die Bemühung, zu einer objektiven Beschreibung und Analyse des jeweiligen biologischen Phänomens zu gelangen, von unbestrittener Bedeutung. Doch genauso gilt es, den psychologischen Aspekt nicht zu vernachlässigen: Bis heute tritt die rein abstrakte Frage nach dem »Wie?« einer tödlichen Gefahr vielfach hinter der persönlichen Frage »Warum?« zurück. Die Antwort auf diese Frage bedient insofern ganz andere historische Verständnisebenen. Sie führt nicht in den wissenschaftlichen, sondern vielmehr philosophischen, ja moralischen Bereich. Dies zeigt etwa die Tendenz, Ursachen für Seuchen nicht in schwer vorauszubestimmenden medizinischen Phänomenen zu suchen, sondern etwa in der sittlichen Fehlerhaftigkeit – d. h., der »Schuld« – des Menschen selbst. Die Reflexion über die Schuld kann dabei zwei Gestalten annehmen, die beide so alt sind wie die Menschheit selbst.

      Die Seuche als Strafe

      Die erste Denkfigur begreift die Krankheit als eine »göttliche Strafe« für menschliche Verfehlungen. Daher gilt es, durch genaue Gewissensprüfung die Verfehlung zu eruieren, damit entsprechende Entsühnungsmaßnahmen die göttliche Vergebung sichern können. Die Überlieferung der alten Kulturen – von den Annalen des alten Sumer (= Kultur von ca. 6. Jahrtausend v. Chr. – 2. Jahrtausend v. Chr. im heutigen Iran) über die sieben ägyptischen Plagen bis hin zu den Vorzeichenkatalogen der römischen Republik – ist voll von entsprechenden Überlegungen, in denen Seuchen, Naturkatastrophen oder bedrohliche Vorzeichen als Strafen der Götter gedeutet wurden.

      Durch Opfer, Prozessionen, Tempelbauten oder Herrschaftswechsel mussten die Vergehen gesühnt werden, bis das jeweilige Unheil abgewendet und die Götter als versöhnt gelten konnten. Bereits der Gründungstext der griechischen Literatur, die homerische Ilias (7. Jahrhundert v. Chr.), setzt mit der Beschreibung einer Seuche ein: Apollon bestraft das griechische Heer für die Verfehlungen seines Großkönigs Agamemnon. Dieses Denkmodell sollte bis in die christliche und mittelalterliche Literatur Bestand haben, als Seuchen ebenfalls als Strafen Gottes für menschliche Verfehlungen interpretiert wurden und oft zum Auslöser weitreichender religiöser Reformen werden konnten.

      Interessant ist dabei, dass schon in der Antike eine Verlagerung der Argumentation vom Bereich individueller moralischer Verfehlungen hin zu einem kollektiven politischen Versagen zu bemerken ist. In Athen etwa suggeriert die berühmte Beschreibung der Pest durch Thukydides (Historiker aus dem 5./4. Jahrhundert v. Chr.), welche den Höhepunkt athenischer Selbstglorifizierung markiert, dass man die damalige Seuche als eine Strafe für die Hybris der eigenen politischen Handlungen wahrnahm. Die radikaldemokratische Politik und der Ausbau des athenischen Bündnissystems wurden von den Kritikern als skrupellose Maschinerie angesehen, die nur dazu diente, die eigene Macht auf Kosten anderer auszubauen. Und auch in Rom wurde die Antoninische Pest als Strafe der Götter für die römische Plünderung des Apollon-Tempels von Ktesiphon (= Hauptstadt des Partherreichs) angesehen.

      Es ist also kaum verwunderlich, dass auch heute inmitten der Coronavirus-Krise allenthalben die Frage nach dem moralisierenden »Warum?« diskutiert wird. Zwar bleibt das Element der unmittelbaren göttlichen Strafe für individuelle sittliche Verfehlungen auf kleinere religiöse Zirkel beschränkt. Zu nennen sind etwa der auch im Westen einflußreiche radikal-muslimische Diskurs vom Coronavirus als der Strafe Allahs für die Sünden der abendländischen »Kreuzfahrernationen« oder die Uiguren-Verfolgungen der chinesischen »Polytheisten«.

      Im Westen begegnet man dagegen zunehmend dem Denkmuster, wir hätten es hier mit einer Reaktion der Natur auf die schier groteske Überheblichkeit des modernen Menschen zu tun, der irrigerweise glaubt, die gesamte Schöpfung beherrschen zu können. Die Seuche selbst erscheint dabei als nahezu beliebiger Auslöser einer Krise, die sich bereits seit Jahren, ja Jahrzehnten vorbereitet hat. Folglich wird in politischen Kreisen und in den Leitmedien die Frage nach der »post-Corona-Welt« regelmäßig mit der Forderung einer »neuen Normalität« verknüpft. Diese müsse sich irgendwie durch größeren Respekt für Mitmenschen und Umwelt kennzeichnen. Dieser lobenswerte Vorsatz bedient sich der impliziten psychologischen Verknüpfung zwischen Pandemie und einer (wie auch immer gearteten) kollektiven Verfehlung. Das Narrativ der »Strafe« wird von der Seuche bedient. Es bezeichnend, dass gegenwärtig vor allem der ökologische Diskurs den Platz der vorher religiösen Argumentation übernommen hat.

      Die Suche nach dem Sündenbock

      Während das Motiv der Seuche als Strafe für die eigene Sünde die Schuld beim Individuum sucht, kann die Verantwortung auch auf andere übertragen werden. Dies hat zur Folge, dass der eigene Lebenswandel nicht in Frage gestellt werden muss. Obendrein birgt dies die Möglichkeit, durch Verfolgung bzw. Austreibung die Seuche selbst zu beseitigen.

      Auch diese Denkfigur begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden. Erinnert sei an die biblische Tradition, der zufolge am jährlichen Jom Kippur (= dem jüdischen Versöhnungstag) der Hohepriester die kollektiven Sünden Israels öffentlich vor dem Volk bekanntmachte. Dabei wurde ein Ziegenbock unter der Aufsicht eines Priesters in die Wildnis getrieben, wo ihn die Strafe Gottes heimsuchen konnte. Bezeichnenderweise wurden die Tiere später von einer hohen Klippe außerhalb Jerusalems gestürzt, um eine versehentliche Rückkehr in die


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