Corona in Deutschland. Группа авторов

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aufzulasten, ist eng mit dem Opfergedanken und somit letztlich auch der Selbstopferung Christi verbunden. Während hierbei aber die Übertragung von der eigenen zur Schuld des anderen symbolischer Art blieb, lag in Gesellschaften, welche Seuchen und sonstige Katastrophen vor allem moralisch deuteten, der Reflex nahe, die Schuld auch konkret bei anderen zu vermuten. Hierbei boten sich mehrere Möglichkeiten an.

      Zum einen ließen sich ohnehin bereits gesellschaftlich ausgeschlossene bzw. marginale Gruppen als »Schuldige« ausmachen. In der Antike können etwa die Christen als Beispiel angeführt werden, welche nach dem Neronischen Brand Roms der Täterschaft beschuldigt und im Zirkus den wilden Tieren vorgeworfen wurden. Dabei wird im Bericht des Tacitus nur wenig Unterschied zwischen der unmittelbaren Täterschaft und einer mittelbaren Schuld gemacht. Auch die Antoninische Pest darf man möglicherweise mit Christenverfolgungen in Beziehung setzen. Aber am offensichtlichsten wird die Schuldzuweisung an eine Randgruppe bei den mittelalterlichen Pestausbrüchen, welche geradezu routiniert den Juden angelastet wurden und regelmäßig zu grässlichen Pogromen führten.

      Auch hier sind die Parallelen zur Gegenwart offensichtlich. In Somalia, Uganda und Burkina Faso wird Berichten von Organisationen wie »Open Doors« zufolge christlichen Minderheiten explizit die Schuld an der Corona-Krise zugeschoben. Gleichzeitig wird dies zum Anlass genommen, die jeweilige Minderheit zu verfolgen. Durchaus vergleichbare Denkstrukturen zeigten sich aber auch in verschiedenen europäischen Ländern, als es zu Aggressionen gegen Chinesen kam, denen die Schuld an der Einschleppung der Pandemie nach Europa gegeben wurde. Ansätze einer »Tribalisierung« der Krisenbewältigung ließen sich ebenfalls nachweisen, als es etwa in Frankreich aus innen- und sicherheitspolitischen Gründen zu der Entscheidung kam, die Durchsetzung der Quarantäneregeln in den »Problemvierteln« der Großstädte nicht in demselben Maße zu prüfen wie anderswo im Land – ein Entschluss, der bis heute für böses Blut sorgt.

      Zum anderen konnten Seuchen aber auch einzelnen Individuen angelastet werden, welchen eine unmittelbare persönliche Schuld an der Verbreitung der Krankheit zugeschrieben wurde. So kursierte während der Antoninischen Pest das Gerücht, einzelne Personen bemühten sich, aus der Situation Vorteile zu ziehen, indem sie Menschen heimlich mit kleinen, in Seuchenerreger getunkten Nadeln stachen, um so die Krankheit zu übertragen und von ihrem Tod (in welcher Weise auch immer) zu profitieren. Dass solche Berichte nicht immer ganz aus der Luft gegriffen sein müssen, zeigt etwa ein aus einem völlig anderen Kontext stammender Briefwechsel vom Juni 1763. Demnach hatten die Europäer einer Delegation der Lenni-Lenape-Indianer bewusst zwei Decken und ein Taschentuch aus dem Hospital des belagerten Fort Pitt gegeben, wo die Pocken wüteten.

      Auch hier liegen die Parallelen zur Gegenwart und den verschiedensten, überall in Medien und Internet kursierenden Theorien nahe, welche die Schuld am Covid-19-Ausbruch wahlweise amerikanischen, chinesischen, russischen Geheimdiensten oder einflussreichen Persönlichkeiten wie etwa Bill Gates zuschreiben. Alle diejenigen, die in irgendeiner Weise als »Gewinner« der Krise angesehen werden können, werden aufgrund psychologischer Verkürzung auch als Verursacher betrachtet. Damit geht eine oft bedenkliche Personalisierung der Pandemieursachen einher. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass einzelne Staaten, Gruppen oder Individuen bewusst Kapital aus der Krise schlagen können und auch den Verlauf zu beeinflussen trachten.

      Der Kampf gegen die Seuche

      Neben der Entsühnung der eigenen Sünden und der Ausweisung von Sündenböcken standen aber auch in der Vergangenheit bereits andere, aus einer materialistischen Perspektive »rationellere« Mittel zur Bekämpfung einer Seuche zur Verfügung.

      Die Abriegelung des eigenen Herrschaftsgebietes war eine erste, logische Maßnahme, um Kontakt mit von der Krankheit betroffenen Territorien zu verhindern. Diese altbewährte Taktik wurde beispielsweise bereits von Marc Aurel angewandt, der versuchte, Italien während der Antoninischen Pest abzuriegeln. Und auch König Kasimir III. (1310–1370) verordnete vor dem Hintergrund des »Schwarzen Todes« die Grenzschließung Polens: Seiner Maßnahme verdankte das Land, weitgehend unbeschadet der Pest entgangen zu sein. Wahrscheinlich erklärt diese historische Erfahrung die schnelle und harte polnische Grenzschließung im Jahre 2020. Und in der Tat scheint auch diese Maßnahme von ähnlichem Erfolg gekrönt zu sein, denn in Polen sind die Zahlen von Covid-19-Erkrankungen (bislang) auffällig niedrig.

      Neben der Isolierung der Krankheit durch Schließung der Grenzen wurde in der Vergangenheit gleichzeitig oft auch eine Isolierung der Kranken selbst veranlasst. Diese wurden in eigens errichtete Krankenhäuser oder Quarantäneanlagen gesperrt Man denke etwa an den Tempel des Heilgottes Aesculap auf der Tiberinsel in Rom mit angeschlossener medizinischer Anlage oder an die unter Marc Aurel belegten Quarantäne-Lager mit ausgedehnten Thermalbereichen für die von der Antoninischen Pest befallenen Truppen. Diese Anlagen wurden aus Anlass einer grassierenden Seuche errichtet und stellen offensichtliche Vorläufer der in Wuhan wie auch anderswo eigens errichteten Coronavirus-Krankenhäuser dar.

      Seuchen stellten aber auch seit jeher ein großes Risiko für das jeweilige Wirtschaftsleben dar. Versuche der Wirtschaftssteuerung im Kontext von Katastrophen findet man etwa, als nach dem Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. ein Stadtbrand und schließlich eine schwere Seuche ausbrach. Titus, der damals regierende Kaiser, reagierte in dieser Situation überaus offensiv und entschied, dass das Vermögen der beim Ausbruch des Vesuvs ohne Erben Umgekommenen zur Wiederherstellung der heimgesuchten Städte eingezogen werden sollte, verkaufte nach dem Brand von Rom eigenes Gut, um öffentliche Gebäude wiederherzustellen und »ließ kein Mittel der Religion und Arzneiwissenschaft unversucht, indem er alle Arten von Sühneopfern und Heilmitteln anwandte«, wie Sueton (Historiker 2. Jahrhundert n. Chr.) schrieb.

      Nachdem die Antoninische Pest den damals schwunghaften Handel mit dem Süden Indiens fast ganz zum Erliegen gebracht hatte und die eben aufgenommenen Beziehungen zum chinesischen Reich zu einem vorzeitigen Ende gekommen waren, brach eine schwere Wirtschaftskrise im Römischen Reich an, von deren Folgen es sich nie mehr ganz erholen sollte. Kurze Zeit später, 250–271 n. Chr., brach die Seuche in Gestalt der Cyprianischen Pest nämlich erneut aus. Dabei lassen sich klare Interdependenzen zwischen den Pestepidemien, hieraus folgenden Inflationen, der Verringerung des Silbergehalts in der römischen Münzprägung zur Deckung der gestiegenen Kosten und schließlich der Hortung höherwertiger älterer Prägungen durch die Bürger beobachten. Vor dem Hintergrund dieses Teufelskreises vermochte das römische Reich dem gleichzeitig stetig steigenden Druck auf die Außengrenzen nur durch zwangsstaatliche Maßnahmen zu begegnen. Im Jahr 301 n. Chr. erließ Kaiser Diokletian ein Höchstpreisdikt, welches die damals grassierende Inflation zu bremsen suchte, indem für jedes Produkt ein Höchstpreis festgelegt wurde. Diese und ähnliche Maßnahmen trachteten die bis dato freie durch eine zunehmend staatsgesteuerte Wirtschaft abzulösen.

      Auch hier lassen sich zumindest formal kaum Unterschiede zur Bandbreite der gegenwärtigen Maßnahmen erkennen: Sondersteuern, Zusammenbruch von internationalen Lieferketten, Inflation, direkte und indirekte Geldschöpfung, künstliche Preisfixierung, der Versuch, private Großzügigkeit öffentlichkeitswirksam zu inszenieren – blickt man in die Geschichte, findet sich wenig Neues unter der Sonne.

      Die Konsequenzen

      Inwieweit lassen sich nun aus den oben beschriebenen Parallelen »Lehren« für die Gegenwart ziehen? Es ist sicherlich noch zu früh, langfristige Prognosen wagen zu können, zumal die Schwere der Covid-19-Seuche doch kaum mit derjenigen der oben aufgezählten Beispiele verglichen werden kann. Trotzdem wollen wir, gestützt auf historische Vorbilder, einige allgemeine Überlegungen wagen.

      Im Bereich der Wirtschaft ist es vor allem der Umgang des Römischen Reichs mit den Kollateralschäden der Pest, welcher interessante Perspektiven eröffnet. So erinnert die Interaktion zwischen Seuche, Wirtschaftskrise und Staatsinterventionismus an aktuelle Bemühungen. Dabei zeigt sich, dass »Ausnahmegesetze« seit jeher die Gefahr bergen, sich zu dauerhaften Zuständen zu verfestigen. So dauern »vorübergehend« eingesetzte Maßnahmen zur Bekämpfung der Eurokrise ab 2010 (etwa Bankenrettung, Geldschöpfung und Niedrig- bzw. gar Negativzinsen) bis heute an. Daran ist zu erkennen, dass zwar die akuten Symptome, nicht aber die eigentlichen Ursachen der Krise bekämpft wurden. Daher ist die europäische


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