Mathilde. Carl Hauptmann

Mathilde - Carl Hauptmann


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in ihr. Alles war trüb im Mondenlicht, das auf ihre bloßen Füße fiel. Sie nahm ihr Kleid und warf es in die Ecke, dass es vom Stuhle glitt. Sie hasste plötzlich sich und die reinliche Pracht, und eine Last wie ehedem fühlte sie in sich gären und aufquellen und sich um ihre Seele legen, dass sie wieder auf dem Schube hockte und ihren Kopf in ihre Hände nahm und zu weinen anfing, mit einem stillen, inbrünstigen, schmerzhaften, unbegreiflichen Weinen, um etwas, was ihr Los war und um etwas, was sie nicht fliehen konnte – dass die Alte im Bett sagte: »Kind, Kind.« Mathilde war wie aus Erz – ihre Tranen versiegten. Sie tat, als hätte sie nur dagesessen. Sie nahm einen Ton an, als wäre sie arglos und sie erhob sich und ging geschäftig hin und her; nahm das Kleid auf und das Tuch – legte es sorglich in den Schub – und sorglich legte sie nun Stück um Stück hinein – weil die Schlafende sich neu aufgerichtet und lange unklar sie angestarrt und sie gefragt hatte: »Was ist Kind?«

      »Was soll denn sein«, sagte Mathilde mit Ärger und innerer Abneigung.

      »Du kummst spät«, sagte sie. »Nun, Mädele, ist nicht schön in die Hallen? – Ich bin wie zerschlagen«, fügte sie müde lachend hinzu. Mathilde stand da und verhielt sich den heimlichen Trotz. »Hast du auch Mannsbild gefunden? Wie spät ist?« fragte die im Bette und sah noch immer nach ihr. »Ju, ju, ich ha auch a Mannsbild gefunden«, lachte Mathilde plötzlich, höhnisch auf sich und auf die Schlaftrunkene – »dreie is –«. Und sie sah hart und steinern aus, wie sie dastand, kräftig und jung –ein Bild so frisch und so unbegreiflich traurig und in sich aufgewühlt – und sie legte ihre Hand an die Stirn, die heiß war – und öffnete noch einmal das Fenster, um in den Mond und in die Luft zu sehen, wo Silberwolken blinkten, und dann lag sie und fühlte jede Stelle, die der kleine Schmächtige berührt an Brust und Hüften und sank in Halbträume, und fühlte es wie Krallen, und es drückte sie unbarmherzig – und einer, dem der Kopf ganz in den Schultern saß, verwandelte sich zu einem Zwerge, der sie packte und ihr weh tat und alles Hoffen erdrückte: » –O –o –o –o –a –»-!« Sie erwachte und lag mit offenen Augen bis zum Morgen.

      6

      Mathildes heimliches Zögern

      Seltsam, wenn eine starke Seele in Elend und Verkommenheit aufwächst, wie sie sich umschalt mit Verachtung und Angst und Misstrauen. Sie will aufkommen ins Licht, und um sie herum ist nur ein elende Rauchstube, in der Flüche und Hass und Hohn in der kohligen Luft zittern. Sie muss sich wappnen. Sie kennt nicht die stille, freie, heitere Sonnenluft, wo eine Berganemone weich und silberglänzend und rein aufkeimt – nur diese kleine Welt voll Moder und dumpfer Gefühle auf der elenden Lehmdiele unter Blicken, in denen jeder dem andern sagt: »Geh mir aus dem Strich!« Sie muss sich gar wappnen mit allen Härten gegen jeden und auch gegen das Trübe, das ins Auge fällt, dass sie nicht ganz nur noch Hass und Dunkel sieht, und wenn sie einmal kindlich frei und ahnungsweit gehofft und gefühlt hat, dass sie nicht denkt – »es war ein kindisches Wünschen und eitle Träume und Schäume – die Welt ist Rauch und Hass« – und nicht in Misstrauen und heimlicher Angst sich ganz verzehrt und verschließt.

      Wenn Mathilde so dachte-, sie hatte oft in rauchige Luft und klingenden Hass und Groll gesehen. Ihr konnte wohl Liebe wie ein eitles Blendwerk scheinen. Wenn sie jetzt schritt, schien sie härter als je. Wenn sie morgens ausging, sah sie barsch und groß aus – , kräftig, und niemand konnte sie in ihrer schnellen, sicheren Bewegung zögern machen – niemand konnte eine lichtere Linie des kindlichen Lebens, das in ihr verschalt lag, in ihre Mienen locken. Es war ihr unbehaglich auch im Hause. Den jungen Schlosser floh sie fast. Und verschlossen war sie nun wie im Dorfe. Sie war grob gegen die Narbigen. Wenn sie etwas brachten, das sah sie absichtlich nicht an und tat gleichgültig und kalt und achtete es nicht. Und im Hause die Leute waren ihr alle zuwider. Das war ihr Misstrauen. Das Misstrauen war nicht grundlos. Man fand tatsächlich, wie der Sommer gekommen war, und der Schlosser eine höhnische Geschichte mit zweifelhaften Blicken auf die Sechzehnjährige geworfen seinem Weibe erzählt hatte, die unter den jungen Weibern im Hause umging, dass sich diese junge Strunze etwas viel herausnähme. Man fand sie unausstehlich. Man dachte allerhand über sie, wenn die Weiber unten am Brunnentroge mit ihren Kannen standen und schwatzten. Und auch die Gemüsefrau am Ende der Gasse im kleinen Laden, der widerwärtig aufdringlich nach Äpfeln und Rüben roch, die behauptete: »ein solches hochmütiges Weibsbild hätte sie noch niemals gesehen.« Man war auch hier übereingekommen, nun sich Mathilde daheim ganz und gar zurückhielt, sie für eine zu halten, die es heimlich triebe und der man ihre Mienen noch unausstehlicher und mit der Zutat von niederträchtigen Anschuldigungen zurückgeben müsste.

      Aber Mathilde ging in die Fabrik wie immer. Es war zum Lachen, wie tüchtig und ungestört sie arbeitete, willig und kindlich, im Werkmeister und Portier fast Götter sehend, die blindlings über ihren ganzen Tag geboten. Wie sie eifrig war, dass sie rot und frisch glänzte; wie sie nur Arbeit war, dass in solcher Zeit kein Sinn in ihren Zügen lag, als nur dieses eine Tun des Fäden-Haschens am Webstuhle, wenn der oder jener fiel und ihn neu verschlingen und immer wieder, immer wieder –einen Tag um den andern –eine Woche um die andere –und so aus Winter durch Frühling hindurch, in den Sommer und Herbst hinein, eifrig hingegeben, ob es da draußen im Sonnenlicht Flocken gab, die an die Scheiben tanzten, oder Blütenbäume in den Gärten geduftet hatten, sie sah ihren Fäden zu, Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche um Woche. Und hatte da Pflicht und Spannung – dass der Tag erfüllt war und ihr in der Woche kaum Sinn und Liebe übrig blieb. Und müde wurde sie. Man kann es begreifen. Sie machte Überstundenarbeit. Sie hatte immer Geld. Sie sandte auch den Eltern und Geschwistern. Und es war ihr lieb, dass sie nicht denken und denken brauchte, weil ihr Qualen kamen und sie sich nicht ganz zurecht fand. Aber wenn sie so stand und die Fäden fing, war sie fast lustig anzusehen. Mancher, der vorüberging, dachte, dass sie lachte. Und dass sie fast mit den Fäden ein Spiel trieb, wie die Fäden mit ihr. Und sie war sauber und reinlich gekleidet und eine Gestalt wie aus Stahl, jung und schmiegsam und stark in Armen und Gelenken, frisch und entschlossen. Sie sah fast nie auf und wusste kaum, wer sie beobachtete, oder wer ihr zugesehen. Und solange sie so stand und vigilierte, war wie aus den Mienen, auch aus der Seele alle Unruhe und Misstrauen und Groll ausgelöscht. Da lachte die Seele wirklich. »Hahaha« – man denkt nicht, dass wenn die Hand der Jungen die Fäden knüpfte, über ihre Seele nur das leise Streicheln ging von Ahnungen, die ungedacht waren und kamen, wie der Frühlingswind, wenn der einsame See still liegt, wie ein Kind im weichen Ruhebett.

      Und wenn sie heimkam, niemand hatte es monatelang erfahren, warum sie so misstrauisch aussah, sobald sie aus dem Tore der Fabrik heimeilte. Es quälte sie, dass sie ein Verhältnis mit Saleck angefangen. Wenn sie dann hineilte und an ihn dachte, peinigte sie der Gedanke an ihn, und sie sagte es niemandem. Und nur Sonnabend abends gab sie Einkäufe vor. Die alten Wäscherinnen, die um sie waren in der Feierzeit, schalten sie und wollten dahinterkommen, schließlich war sie grob und wollte grob sein, um sie los zu werden. Sie dachte längst daran, aus ihrem Stübel auszuziehen, vielleicht in ein eigenes. Und die Alten zankten und wurden auch rüde. Sie fanden es undankbar, wie das Kind sich benahm. Keine durfte mehr wagen, ihr zu nahe zu kommen. Mathilde musste Mahnungen und dann Vorwürfe hören und bald auch grobe Verdächtigungen, da sie mit der Sprache zurückhielt. Und im Hause ging das Reden um, das die Wäscherinnen mit der jungen Schlossersfrau mitmachten. Mathilde hütete sich wie eine Krähe, wenn ein Mann mit der Flinte kommt. Nur Sonnabend abends ging es also, dass sie mit Saleck zusammenkam, und in der Zwischenzeit außer der Arbeit war sie auf der Hut. Auch vor sich sogar, denn sie empfand manchmal, als wenn sie halb träumte –und sah ihn huckig und schmächtig – und konnte nicht froh werden.

      Nun dann, Sonnabend – Sommers – ging sie, wohin sie ihn bestellt hatte. Und weil sie dachte, jemand könnte sie belauern, machte sie Umwege und verschwand in Ecken und Winkeln und lief auch noch in den oder jenen Laden; sie kaufte ihm kleine Geschenke ein, Zigarren – und auch süße Früchte, wenn sie billig waren, und stand dann heimlich vor ihm. Da waren alle Skrupel weg – da hatte sie ihn gern – da legte sie immer auch wieder den Kopf an ihn – da sah der Kopf Salecks mit großen, grauen Augen auf sie nieder und schien voll Güte und Glück und schien zu wachen über sie – und sie empfand es unbegreiflich sanft, dass er zufrieden war mit dem zärtlichen Berühren, dass er eine Stunde nur sprachlos froh sein konnte mit ihr, dass er neben ihr saß und


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