Mathilde. Carl Hauptmann

Mathilde - Carl Hauptmann


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der Faden durcheilte – und sie hatte ihn gern und fühlte, dass sie nicht loskommen konnte aus den Armen der Güte, dass sie bei ihm bleiben musste, dass er schmächtig und kränklich war, aber eine feine, sehnsüchtige Erfüllung im Auge sprach: »Begreife nur, du Frische, drinnen sitzt einer, der auch das Leben liebt, auch wenn der Kopf tief in den Schultern sitzt!« Und sie empfand es so stark mit ihrer gesunden Jugend, so ein heißes Gefühl kam auf in ihr, so voll des Dranges, Glück und Zartheit zu erwidern, dass sie ihn an dem einen Abend inbrünstig umarmt hatte, zum ersten Male in ihrem Leben, so inbrünstig, so besinnungslos, so fast unbeholfen und wild in ihrer Jugendkraft, dass der Mann ihre Hände in seinen Seiten fühlte wie eiserne Klammern, und dass er fast ängstlich dabei ausgesehen. Kindlich und verlegen war sie dann. Es war ihr dann nur, als wenn alle Not ausgelöscht, alle Skrupel, alle heimliche Scheu, die sie plagte, wenn sie fern von ihm war. Sie war dann den Abend auch gar heiter, lachte und neckte ihn, nannte ihn Zwerglein und gab ihm Kosenamen, die ihr einfielen, und die sie noch niemals im Munde gefühlt. Es kam ihr komisch vor, wenn sie zärtlich seine Hand nahm und sagte: »Wie e' Kauz siehst du aus, so huckig gihst du.« Sie wusste gar nicht, dass er nur lachte, weil sie lachte, und dass ihm das Wort nicht wohltat. Aber sie war an dem Abend ganz ausgelassen, sie neckte ihn und spielte mit ihm, und er liebte sie und brannte für sie und wehrte sich gegen nichts, was aus ihren frischen, lachenden Augen kam. Nur wie er es durchaus verlangte, dass sie offen mit ihm gehen sollte, gab es einen kleinen Streit. Er verlangte es. Und sie sagte rundweg »Nee!« Und er verlangte es wieder, und sie machte Ausreden. Sie wurde auch ernst, und es glitt Härte einen Augenblick durch ihre Seele. Aber sie verscheuchte sie selbst, weil sie allein waren draußen im Felde, weit und breit niemand, nur unter Halmen, die sich um sie neigten, und nur unterm Sternenscheine, der die ganze weite Welt, sie im Glücke mit umspannte, und sie lachte und sagte, sie hätte sich was ausgedacht und kam nun mit ihrem Plane: »Hör amol, Joseph, du bist doch a Vernünftiger und kannst warten. A sulange ich bei da Menschen wohne, giht's ni.«

      »Nu, da nimm an Stube für dich, oder wenn mir ins a Stiebel zusammen nahmen?«

      »Nee, nee«, es kam wieder die Härte. Das Gesicht wurde fast leidend einen Augenblick. »Nee«, sagte sie, »das mag ich ni«, und er nahm eine Ähre vom Halme und kitzelte sie am Halse, dass sie noch versonnen, aber freundlich erklärte: »A Stiebel nehm ich mir, Jeses, erst muss ich sehn, wie das ableeft, und wie ich vo da Leuten luskumme. Wenn ich alleene wohne, könn' mir sehn!« Dabei hatte es an diesem Abend sein Bewenden. An Sorgen und Denken war Mathilde an sich nicht gewöhnt. Aus Gedanken herauszukommen, wenn sie aufgewühlt waren, war ihr nicht leicht. So war auch trotz Neckereien Salecks, trotzdem er ihr goldene Gespinste in die Luft schrieb, an diesem Abend ein ewiges Wiederkehren ins ernste Ermessen – so dass sie selbst alles Lieblosen vollends vergaß und schließlich stumm wurde – und Saleck sie auch mit seiner demütigen, innigen Gebärde, wie er ihre Hand an seine Augen legte und sie niedergebeugt geküsst hatte, die Hand und den Hals und die Brust unter'm leinenen Jäckchen, gar nicht mehr recht erwecken konnte.

      7

      Saleck und Simoneit messen sich

      In der Schenkstube in der Nähe der Fabrik saßen Arbeiter und lärmten. Es war im August. Regen troff nieder in die Straßen, dass die Gassen Rinnsale waren und man über Pfützen schreiten musste. In der Nähe der Fabrik, die etwas außerhalb lag, waren die Wege nicht gepflastert, so dass die nun im Strome heimkehrenden Arbeiter durch dicken Schmutz wateten. Ein junger, starker Mensch mit einem vollen Barte saß in der Schenke an einem Tische und löffelte versunken eine Suppe, unterdessen der Wirt an den Tisch der Lärmenden Bier trug. An diesem Abend ging es toll zu. Es raschelten die Rinnen, und Rauschen erfüllte auch die Schenkstube, und außerdem musste was los sein. Der Wirt stutzte und lief vor die Tür, um nachzusehen. An der Ecke schien ein Auflauf: »Ich erschlag' dich – ich erwürg' dich – du Räuberkerl!« schrie plötzlich eine heisere, glühende Stimme – während andere schon dazwischen riefen. Der Schrei übertönte unerwartet das Getöse des Regens. Der Wirt war hinausgetreten, und die Rufe waren plötzlich laut in die Stube gedrungen, so dass alles gleich verstummte. Alle Insassen traten sofort hinaus. Richtig – unten an der Ecke, wo man in den freien Platz vor der Fabrik einbog, gab es eine Menschenmenge von Fabrikarbeitern und Arbeiterinnen, während einige ältere Arbeitsmänner verlegen lachend, fast an der Schenktür vorbeigingen und sagten: »Der verwachsene Joseph is a Aast, wenn der angreift.« Und man sah nun – der Wirt und die getrunken hatten, gingen Schritt um Schritt näher, aber sie hielten immer noch zurück, weil sie sonst fürchteten, mitten hinein verwickelt zu werden –, dass Zwei sich in wilden Zornflammen auf Tod und Leben am Boden balgten. Die jungen Arbeiterinnen standen rings herum lachend und höhnend. Auch der junge Bärtige war, nachdem er die Suppe langsam ausgelöffelt, mit energischen Schritten aufgestanden und nahe gekommen. In der Mitte neben den Kämpfenden stand Mathilde – leichenblass und wie ein Raubtier zum Sprunge bereit, dass keiner nahe kam, und nur das Gegurgle der sich Würgenden, die wie die Teufel einander anblitzten und anfachten, ohne rechte Worte zu finden, hörbar war. »Was ist denn passiert?«

      »Hahaha, – d'r Krumme – d'r Krumme – giht mit der«, lachten einige junge, freche, abgenutzte Mädchengesichter. »Nee, mit 'm sulchen Bucklichen möcht ich's ni Halen –« schrieen andere.

      Mathilde fühlte, dass sie alle voll Hohn waren, die um sie standen – sie stand wie eine Bildsäule und wusste nicht – nur die höhnischen Redensarten flogen in der Luft gegen sie und trafen sie, und es war, als wenn sie in den Krummen hineingekrochen wäre mit ihrer Kraft, dass der geschmeidige, kräftige, dunkle Simoneit nun ganz in seiner Gewalt schien und sich gar nicht mehr entwinden konnte. Und der Krumme hielt fest und wie eine Siegesfreude blitzte es in den Mienen seines Auges – hell wie der Tiger blickt, wenn er sich fühlt und weiß, dass er wie eine Freiheit im Blute hat. Und Mathilde stand und sah sich nicht um – nur gerade vor sich, in die Luft hinein – stark und von einer unnennbaren Härte, und es war auch, als ob sie fast fanatisch lauschte auf die Röchellaute, dass der junge Arbeiter, der näher kam, und auch einige andere, die dabei gestanden, nun hinzusprangen zu den Kämpfenden, die im Schmutze sich wälzten, und sie zu trennen versuchten. »Trennen!« – riefen auch einige in der Umgebung. Jawohl, wenn sich ein Marder eingebissen, ist schwer trennen. Es wälzte sich hin und her – und Mathildes Augen entsprang ein Quell von Tränen, bitter und heiß. Sie wusste es jetzt wieder, dass dieser Freche sie hatte anrühren und heimlich zum Hohn hatte zwingen wollen. Sie war ihm, die auf einsamen Wegen hatte heimeilen wollen, mit knapper Not entgangen. Er hatte sie aus einem Hinterhalt unversehens ergriffen, und hatte wie ein wildes Tier ihr fast ein Stück Jacke vom Leibe gerissen. Nun war sie ihm entgangen und hatte nicht geschrieen, nicht um Hilfe gerufen – sie war selbst stark genug gewesen, um sich zu wehren. Sie hatte ihm einen Stein an den Kopf geschlagen, den sie zu packen bekommen beim Ringen an der einsamen Parkmauer und war dann davongeeilt. Zu Joseph geeilt. Zu allen, die sich jetzt auf die Straße ergossen zur Feierabendstunde. Und hatte nicht gezögert, sich vor allen in des Huckigen Schutz zu begeben, und auf jenen Frechen, der ihr dreist zu folgen wagte, mit entsetzenerfüllter Miene hinzuweisen.

      Und Joseph hatte ihn am Erdboden und würgte ihn und wollte ihm ans Leben. Er sah nichts als den vor sich, der damals die Wette gemacht und geprahlt hatte. Nun wollte er ihm ans Leben. Und das Röcheln wurde so laut, und das Atmen beider so stoßend und unheimlich, dass Ruhe, fast Totenruhe herrschte, und alle plötzlich wie von unsagbarer Dumpfheit gefangen standen. Mathilde überwand ihre Tränen und machte sich Bahn, um einige Schritte zu tun, ohne sich umzusehen. Es war ihr, als hätte sie ein Recht, dass jener dort lag und röchelte, und als wenn sie sogar stolz wäre, dass der krumme, kleine Kerl sich wie ein Marder in sein Opfer eingebissen, und sie lachte plötzlich verachtend – da wagte sich auch das Höhnen der andern noch einmal auf – bis der bärtige Mann, der in der Schenke allein gesessen, die Kämpfenden rücksichtslos und mit einem so eisernen Maße von Kraft auseinander riss, dass der Krumme dastand wie ein Wahnwitziger, sinnlos um sich blickend, Schaum vor dem Munde – am Halse blutend und mit den Augen jeden ansprühend und sinnlos vergraben, den Schmutz anfühlend, der ihn über und über bedeckte – und dann die beiden – Mathilde und er, nachdem sie noch einen harten Blick gewechselt, unter Gezeter und Gejohle heimgingen. Zuerst Schritt um Schritt und noch verfolgt von Höhnenden, und dann, wie sie um die Ecke waren, eilig und schamhaft. Und der


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