Lernort Auschwitz. Christian Kuchler

Lernort Auschwitz - Christian Kuchler


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das vormals erste NS-Lager in Dachau zum Ziel einer Exkursion im Geschichtsunterricht zu machen.[88] Schon in seiner Pionierarbeit stellte Ziegler also die Zeitgeschichte und mit ihr die Orte der Gewaltverbrechen der jüngsten Vergangenheit deutlich heraus, was gerade den etwa zeitgleich entstehenden Forschungsbemühungen der lokalen Geschichtswerkstätten entsprach.[89]

      Ein breiteres Verständnis von Lernorten im Geschichtsunterricht legte etwa zeitgleich der in Oldenburg lehrende Geschichtsdidaktiker Bernd Hey an den Tag. Er forderte, Archive, Lehrpfade oder Museen ebenfalls als Ziele von Exkursionen anzuerkennen, selbst wenn sie nicht am eigentlichen Geschehensort errichtet worden seien oder der direkte Bezug zum Schauplatz des Ereignisses zum Teil fehle.[90] Hey war es denn auch, dessen wiederholte Plädoyers für einen stärkeren Einbezug von Lernorten außerhalb der angestammten Schulmauern im Fach gehört wurden und ein Umdenken einläuteten.[91] Lernorte außerhalb der Schule hatten das historische Lernen erreicht. In der Folge wuchsen die Forschungsanstrengungen zum historischen Lernen an außerschulischen Lernanlässen deutlich an,[92] sodass sie inzwischen sogar die einschlägigen Handbücher erreicht haben[93] und Bestandteil von Grundlagenwerken zur Geschichtsmethodik geworden sind.[94] Ob damit aber der Spatial Turn in der Geschichtsdidaktik angekommen ist, der räumlichen Prägung von Geschichte also gebührender Raum zugestanden wird, worum sich die Geschichtswissenschaft seit mehr als einem Jahrzehnt bemüht,[95] ist keineswegs gesichert. Vielmehr lässt sich wohl weiterhin mit Vadim Oswalt konstatieren, dass für den Geschichtsunterricht ebenso wie für die Geschichtsdidaktik das »Wo« zum »Was« und »Wann« zu häufig fehle.[96]

      Wenn der Raum doch in den Blick rückt, findet dies oft am Beispiel spezifischer, zumeist eng umgrenzter Orte statt, denen dann allerdings als »Lernorte« eine besondere Dignität für den Geschichtsunterricht attestiert wird.[97] Ursache für diese Wertschätzung ist zunächst der Umstand, dass Lernende bei Besuchen an historischen Orten sich an die Räume begeben, an denen sich bedeutsame Ereignisse in der Vergangenheit abgespielt haben. Im Sinne eines »ex-currere« aus der angestammten Lernumgebung wird ihnen zugleich ein erhöhtes Motivationspotenzial zugeschrieben.[98] Weit schwieriger ist die Lage bei der »originalen« Begegnung, von der in der erziehungswissenschaftlichen Literatur mit Bezug auf die uneingeschränkt bestehende Authentizität besuchter Lernorte die Rede ist.[99] Gerade für historische Orte ist Authentizität nicht mehr gegeben, eine »reale« oder »originale« Begegnung mit dem historischen (Geschehens-)Ort ist ausdrücklich nicht mehr möglich.[100] Der aufgesuchte Ort besteht schließlich nicht mehr im Zustand des ursprünglichen Ereignisses, sondern hat sich im Verlauf von Jahren oder Jahrhunderten vielfach verändert. Die oft gebrauchte Rede von der Authentizität, die das wichtigste Kapital historischer Orte sei, ist sicherlich nicht zutreffend,[101] gerade für Gedenkstätten ist Authentizität eine ausgesprochen »problematische Kategorie«[102]. Zugleich resultiert aus dieser Veränderbarkeit des historischen Untersuchungsraums das Potenzial, bei Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein für die Historizität von Geschichte allgemein und von historischen Orten im Speziellen aufzubauen.[103] Nicht zuletzt gelingt es an besuchten Orten, den besuchten Raum als Manifestation einer öffentlichen Geschichtskultur zu studieren, da er als derartig exponiert angesehen wird, dass dort ein (mehr oder minder umfangreiches) öffentliches Erinnern an ein spezifisches Ereignis stattfindet.

      In diesem Sinn zählen ehemalige Lager, ebenso wie andere exponierte Orte des Nationalsozialismus, zur geschichtsdidaktischen Kategorie der historischen Orte – zu denken ist etwa an das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, die Stätten der »Euthanasie«, den Obersalzberg als Sitz von Hitlers »Berghof« oder die NS-Ausbildungsstätte Vogelsang in der Eifel. Seit den 1980er Jahren wurden ehemalige Stätten des Nationalsozialismus als Lernorte entdeckt.[104] Gerade die besonders bekannten KZ-Gedenkstätten – Peter Reichel nennt hier für den Osten Deutschlands Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück, für den Westen Dachau, Bergen-Belsen und Neuengamme[105] – sind inzwischen kanonische »außerschulische Lernorte« für Schulen[106] und zählen sicher zu den am häufigsten aufgesuchten Exkursionszielen des historischen Lernens an deutschen Schulen.[107] Das gilt besonders für Bayern, wo schon seit dem Jahr 1964 eine Empfehlung des Bayerischen Kultusministeriums besteht, Abschlussklassen aller Schulen sollten die KZ-Gedenkstätten in Dachau oder Flossenbürg besuchen, was aber in den ersten Jahren kaum stattfand. Zwar wuchs die Nachfrage bis in die 1980er Jahre deutlich und für das Jahr 1983 wurden beispielsweise bereits rund 6.000 Schulklassen und Jugendgruppen allein in Dachau verzeichnet,[108] doch blieb und bleibt der Ertrag derartiger Reisen weitgehend im Dunkeln. Selbst wenn die Quantitäten inzwischen nochmals gestiegen sind und die ministeriellen Vorgaben inzwischen verpflichtende Besuche für alle Lernenden weiterführender Schulen vorsehen, zählt die wissenschaftliche Begleitung des Vor- und Nachbereitens sowie der Durchführung derartiger Exkursionen nicht zu den zentralen Gegenständen der geschichtsdidaktischen Forschung.[109] Vielmehr stützt sich selbst das schuladministrative Vorgehen in Bayern mit seinen weitgehend verpflichtenden Gedenkstättenbesuchen bislang auf ein (sicher sehr umfangreiches) Erfahrungswissen von Lehrkräften, wonach die direkte Auseinandersetzung mit den Relikten der Gewalt bei Lernenden großen Eindruck hinterlasse und für das historische Lernen besonderen Ertrag zeitige.[110]

      Anders als vielleicht zu erwarten, kann sich die Schulbürokratie bei ihrem Vorgehen jedoch nicht auf eine umfangreiche geschichtsdidaktische Literatur stützen. Zwar liegen zahlreiche Sammelbände oder Tagungspublikationen zum Themenfeld Geschichtsunterricht und Shoah vor,[111] daneben untersuchten vor allem die Bildungswissenschaften das Lernen über, vom und zum Holocaust,[112] jedoch fehlt es bislang an Forschungsarbeiten zur Rezeption von Gedenkstättenbesuchen. Diese Lücke reicht so weit, dass Gedenkstätten sogar in den geschichtsdidaktischen Basispublikationen erst spät als regelmäßige Ziele schulischer Exkursionen behandelt wurden.[113] Unter den dezidierten Forschungsarbeiten zum Thema ragt weiterhin die Dissertationsschrift von Meik Zülsdorf-Kersting heraus, die den Besuch Jugendlicher in der Gedenkstätte Neuengamme begleitet und ausgewertet hat.[114] Daneben sind in den letzten Jahren vor allem kleinere Studien entstanden, die vornehmlich Lernenden auf ihrem Weg durch einzelne Gedenkstätten folgen.[115] Grundlegende Fragen zur Rezeption von Gedenkstättenbesuchen, wie sie methodisch durchaus bereits früh aufgeworfen wurden,[116] blieben bislang weitgehend unbeantwortet, obwohl sich die Geschichtsdidaktik zuletzt durchaus wieder des Potenzials von Emotionen für das historische Lernen angenommen hat.[117]

      Die meisten einschlägigen Analysen zum hier besprochenen Themenfeld entstammen der Gedenkstättenpädagogik.[118] Das Fach, das sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend professionalisiert hat und mit der Zeitschrift Gedenkstättenrundbrief ein stark rezipiertes und themensetzendes Journal besitzt,[119] prägt das Wissen um schulisches Lernen an Gedenkstätten, obwohl es sich nicht im engeren Sinne über die Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler definiert.[120] Schließlich sollen gedenkstättenpädagogische Angebote sich an alle Alters- und Zielgruppen richten, obwohl Schulen durchaus als die größte »Rekrutierungsadresse«[121] für Gedenkstättenbesuche wahrgenommen werden und wohl etwa die Hälfte der Gäste stellen.[122] Demnach sind sie es eben doch in großen Teilen, die die Angebote der meisten Einrichtungen wahrnehmen.[123] Das Beispiel der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, wo aktuell Jugendliche etwa zwei Drittel der Gäste stellen, bestätigt dies.[124] Dass sich in der Öffentlichkeit das Arbeitsfeld der Gedenkstätten oftmals als eine unweigerliche Symbiose von Gedenken und Lernen darstellt, wird in der Gedenkstättenpädagogik höchst kritisch gesehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätten definieren ihr Arbeitsfeld dezidiert nicht als »staatstragende Lernorte«[125], weshalb sie sich bewusst von einem in ihren Augen ungenügenden Geschichtsunterricht abzusetzen versuchen.[126]

      Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass bislang kaum verlässlichere Untersuchungen zum Ablauf und zum Ertrag von schulischen Exkursionen in Gedenkstätten vorliegen.[127] In einer Metastudie bilanzierte Bert Pampel zum Stand der Forschung im Jahr 2011, es lägen insgesamt überraschend wenige Auswertungen vor, die sich dem Lernen von Schülerinnen und Schülern in Gedenkstätten zum Nationalsozialismus widmen.[128] Das Desiderat ist bereits lange bekannt[129] und wiederholt festgestellt worden.[130] Beseitigt ist es gleichwohl noch nicht. Die vorliegende Studie kann es sicher nicht vollständig tilgen, soll aber dazu beitragen, die bestehende Forschungslücke weiter zu schließen.

      Richtet sich das Erkenntnisinteresse auf schulische Gedenkstättenfahrten,


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