Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch

Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch


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teils aus Granit, teils aus Backstein die kleinen wetterfesten Kirchen gebaut, von denen viele, wenn auch nicht unverändert, noch stehen und seinen Namen tragen. Unermüdlich wanderte er durch das Land und predigte, immer wieder zerstörten die Heiden, was eben aufgebaut war. Unwirtlich, öde, armselig war die Gegend, der Wind pfiff über kahle Felder und Sümpfe. Wenn die Glocke läutete, folgten nur wenig Gläubige ihrem Ruf, wenige brachten dem alten Bischof eine Gabe. Die weltlichen Gewalten erschwerten durch Härte und Habgier seine Aufgabe mehr, als daß sie ihm nützten. Sein Nachfolger, Bischof Gerold, ein Schwabe, klein von Körper, aber großen Geistes, wollte einst, es war im Jahre 1156, in Aldenburg die Weihnacht feiern. Er fand einen verödeten Ort, ohne Mauern, ohne Einwohner, ohne Kirche, nur eine kleine von Wizelin errichtete Kapelle gab es; das war sein Bischofssitz. Schaudernd vor Kälte und im Gefühl eisiger Einsamkeit zelebrierte er zwischen Haufen von Schnee das heilige Amt, wobei niemand außer Pribislaw, dem Fürsten der Slawen, und dessen Begleiter seine Gemeinde waren. Er mußte dankbar sein, daß Pribislaw ihn nach dem Gottesdienst in ein entferntes Dorf führte und zu einem reichlichen Mahl einlud. Als Gerold den Slawenfürsten aufforderte, sich taufen zu lassen, setzte ihm dieser die traurige Lage seines Volkes auseinander. Sie würden von den christlichen Fürsten so mit Abgaben überfordert, so aufs äußerste ausgepreßt, daß für sie der Tod besser als das Leben wäre. Das Land verlassen und sich anderswo ansiedeln könnten sie nicht, denn überall drohe das gleiche Elend, sie wären also gezwungen, auf das Meer zu gehen und Seeraub zu treiben. Gerold glaubte die Anklage abweisen zu müssen; sie sollten Christen werden, sagte er, wie die Sachsen und alle übrigen Völker, dann würde man sie nicht mehr quälen. Pribislaw entgegnete, wenn der Herzog wollte, daß sie den Glauben der Sachsen teilten, solle er ihnen auch die gleichen Güter geben und die gleichen Zehnten von ihnen fordern.

      Das Wort von der Liebe Gottes verhallte in den mörderischen Kämpfen wie ein menschlicher Hilferuf im Tosen von Meer und Sturm. Derjenige, der ihnen schließlich ein Ende machte, Heinrich der Löwe, ließ Gott und Christentum so ganz beiseite, daß die Geistlichen seinen Weg nicht ohne Mißbilligung verfolgten. Heinrich der Löwe, 1129 wahrscheinlich in Ravensberg geboren, erlebte als Kind die Ächtung seines Vaters, den Sturz seines Hauses und wurde durch solche Eindrücke besonders früh zur Teilnahme an den allgemeinen Angelegenheiten geführt. Mit zehn Jahren verlor er den Vater, mit zwölf Jahren die stolze, hochangesehene Großmutter, die alte Kaiserin Richenza, die ihn zum Vertreter der sächsischen Ansprüche und im Haß gegen die Staufer erzogen hatte. Mit achtzehn Jahren trat er mit seiner Forderung, in die bayrische Herzogswürde wieder eingesetzt zu werden, hervor, die sein Vetter, Friedrich I., sowie er konnte, befriedigte. Obwohl dunkel von Haar und Augen, war er mehr Sachse als Schwabe und mehr als das von dämonischem Geschlecht; unter seinem Griff und Schritt knisterte die Erde. Der Name des Löwen, den er sich gab, stand ihm wohl an: sein Wille war ihm statt Recht, was er erobern konnte, gehörte ihm. Der Jüngling ergriff die Regierung sofort wie ein Mann; soweit ihm seine Verpflichtungen gegen den Kaiser Zeit ließen, beschäftigte er sich mit der Stärkung seiner herzoglichen Macht und mit der Unterwerfung der Slawen. Vorurteile in bezug auf Rasse oder Glauben hatte er nicht; wie er sich mit dem König von Dänemark verbündete, um die Slawen zu besiegen, suchte er die Freundschaft des Slawenfürsten Pribislaw und später von dessen Sohne Niklot, ohne sich andererseits dadurch gebunden zu fühlen, wenn es ihm nicht mehr nützlich schien. Dänemark die Hälfte der gemachten Eroberungen zu überlassen, wie abgemacht wurde, war wohl von Anfang an nicht seine Absicht. Auch einem treuen Freund und Mitstreiter gegenüber, wie Adolf von Schauenburg war, mäßigte er seine Herrschsucht nicht.

      Den Schauenburgern, einem reichen und tapferen Geschlecht, von deren Stammburg in der Gegend von Minden noch Ruinen vorhanden sind, verlieh Konrad II. die Grafenwürde. Lothar belehnte als Herzog von Sachsen den Grafen Adolf I. mit der Grafschaft Holstein, die von den Holsten, Stormarn und Dithmarschen bewohnt war und an das slawische Nordalbingien grenzte. Ihm folgte sein Sohn Adolf II., der ursprünglich zum Geistlichen bestimmt gewesen war und infolge seiner Erziehung nicht nur eine gründlichere Bildung, sondern auch eine tiefere Auffassung seiner Pflichten hatte, als bei den weltlichen Fürsten üblich war. Er sprach geläufig lateinisch und verstand auch das Slawische. Er bemühte sich, die unterworfenen Slawen für das Christentum zu gewinnen und kultivierte das neugewonnene Land in großartiger Weise durch Ansiedlung von Friesen, Holländern und Westfalen, denen er es unter vorteilhaften Bedingungen überließ. Auf einer Insel zwischen den Flüssen Wackenitz und Trave, wo die Slawen in einem heiligen Hain die Götter verehrt hatten, gründete er die Stadt Lübeck, die die günstige Lage an der Ostsee schnell erblühen ließ. Da Heinrich durch sie seine binnenländische Stadt Bardewiek benachteiligt fand, verlangte er, daß Adolf ihm Lübeck abtrete, als sich Adolf weigerte, vernichtete er Lübecks Handel; das Ende war, daß Adolf um der Stadt und um des Friedens willen nachgab und sie dem Herzog schenkte. Graf Adolf, den der Chronist sowohl wegen seiner Herzensgüte wie wegen seiner Klugheit rühmt, fiel im Jahre 1164 in der großen Slawenschlacht bei Demmin, die über seinem Leichnam in einem vollständigen Siege endete. Wenn Heinrich der Löwe ihm, seinem väterlichen Freunde, an verständiger und menschlicher Gesinnung nachstand, so überragte er ihn an Willensgewalt und Macht der Persönlichkeit. Da er sich als König geboren fühlte, behandelte er alle, die sich weigerten, ihm untertan zu sein, als Rebellen. Unterwarfen sie sich, sorgte er für sie als König. Bei seinen Städtegründungen, Lübeck und Schwerin, verfuhr er mit außerordentlicher Weitherzigkeit; denn er behielt sich nur die hohe Gerichtsbarkeit vor, übrigens gestand er den Bürgern volle Selbstverwaltung zu, in der Meinung, so am sichersten das Gemeinwesen zur Blüte zu bringen. Entsprechend dem germanischen Begriff der Eigenkirche erhielten die Bürger das Recht der Pfarrerwahl für die Pfarrkirche. Es ist nicht unmöglich, daß Heinrich in seiner Städtepolitik durch seinen Schwiegervater Konrad von Zähringen beeinflußt war, der schon vor Jahrzehnten mit großer Liberalität die Stadt Freiburg gegründet hatte; aber vor allem leitete ihn der sichere politische Blick, sein natürliches Erbe. Den kühnen Geist der sächsischen Kaufleute, die mit ihren Handelsreisen ein wirtschaftliches Netz über das Meer nach England und Skandinavien und im Osten bis Rußland spannten, erkannte er als dem seinigen verwandt, er verband sich mit ihm und machte ihn sich zunutze. Auch in der Beziehung zu den Slawen zeigte er großen Sinn. Kam es ihm mehr auf ihre Abgaben an als auf ihr Seelenheil, so wollte er sie auch nicht als Heiden vernichten, und an dem Kreuzzuge, der gegen sie unternommen wurde, beteiligte er sich nur ungern. Nationale Abneigung lag ihm fern, er überließ dem Slawenfürsten Pribislaw, der ihm treu blieb, einen Teil Mecklenburgs als Fürstentum. Pribislaw ist der Ahnherr der Dynastie, die bis 1918 in Mecklenburg regiert hat. Zwar wenn man liest, daß Graf Gunzelin von Schwerin, des Herzogs treuer Diener, jeden Slawen, der anderswo als auf der richtigen Straße angetroffen wurde, ohne sich ausweisen zu können, aufhängen ließ, so sieht man, daß der unwillkürlich verdrängende Druck, den die arbeits- und ordnungsgewöhnteren Deutschen auf die Slawen ausübten, durch gewalttätige Maßregeln verstärkt wurde. »Allenthalben sind die Slawen aufgerieben und vertrieben worden; vom Ozean ist starkes und unzähliges Volk gekommen, das der Slawen Land gewann.« So, mit wenigen Sätzen beschließt der Pfarrer Helmold zu Bösau am Plöner See, der Chronist dieser Kämpfe, die Geschichte vom Untergang der Slawen in Deutschland. »Die kläglichen Überreste der Slawen sahen sich infolge des Getreidemangels und der Verheerung ihrer Felder gezwungen, sippenweise zu den Pommern oder Dänen zu fliehen, die sie erbarmungslos an die Polen, Sorben und Böhmen verkauften.« Sie waren die Besiegten, die Schwächeren. Keineswegs fehlte es ihnen an Tapferkeit und kriegerischer Kraft; denn jahrhundertelang hielten sie sich nicht nur gegen die Deutschen, sondern warfen sie zurück und wüteten unter ihnen mit derselben Grausamkeit, die sie erlitten hatten. Weichen mußten sie schließlich der größeren Leistungsfähigkeit der arbeitsamen Deutschen und der höheren Entwicklung ihrer Landwirtschaft. Ihren krummen Pflug ohne Eisen würden sie wohl nicht so lange behalten haben, wenn sie weniger unruhig, weniger träge, mehr geneigt zu andauernder, regelmäßiger Arbeit gewesen wären. Die Deutschen empfanden, solange sie einigermaßen frei und des Ertrages ihrer Arbeit sicher waren, die Arbeit nicht als Fluch, sondern als wesentlichen Inhalt ihres Lebens und Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Wie die Tüchtigkeit der Deutschen anerkannt wurde, geht daraus hervor, daß auch slawische und andere fremde Fürsten sie zur Besiedlung ins Land riefen.

      Neben Heinrich dem Löwen und Adolf von Holstein waren Erzbischof Wichmann von Magdeburg und Albrecht der Bär große Kolonisatoren. Beide stammten aus der


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